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46. Kapitel.
Tommy und der Krebs.

Die gefaßten Entschlüsse wurden während des Frühstücks der Madame Seagrave mitgetheilt, und erhielten deren vollständige Zustimmung, da sie einsah, um wie viel sicherer sie auf der Südseite der Insel wohnen werde. Gleich nachher bestiegen Hurtig und William das Boot, steuerten zwischen den Riffen und Felsen umher, und fanden, indem sie sich immer zwei bis drei Kabellängen vom Ufer entfernt hielten, nach kurzer Zeit die sehnlichst gewünschte Durchfahrt.

»Das ist in Wahrheit ein glücklicher Umstand, William,« sagte der alte Hurtig vergnügt; »wir haben nun nichts weiter nöthig, als einige untrügliche Merkzeichen zu suchen, die uns jederzeit unsern Weg wieder auffinden helfen. Schau einmal dort hinüber! Da der große schwarze Felsen liegt genau in Einer Linie mit der Gartenspitze; – wenn wir also unsern Strich gerade fort halten wie jetzt, so wissen wir immer auf's Haar, daß wir im richtigen Fahrwasser sind, und brauchen nun nichts mehr, als gerade der Einfahrt gegenüber noch ein Merkmal aufzufinden, um allezeit, ohne zu irren, hineinkommen zu können.«

»Zu diesem Zwecke mag die Ecke des Schildkrötenteichs dienen,« antwortete William; »sie liegt mit der Einfahrt und der rechten Mauer unseres Hauses genau in einer Linie.«

»Richtig, mein Junge!« entgegnete Hurtig; »und nun wir dieß ausgeklügelt haben, laß uns unsern gehörigen Strich fortrudern, damit wir bei guter Zeit wieder nach Hause kommen.«

Sie griffen nach den Rudern, holten tüchtig aus, und fuhren sehr bald an der Südseite des Eilandes längs dem Ufer hin.

»Wie groß mag die Entfernung zu Wasser sein, Hurtig?« fragte William.

»Das läßt sich so genau nicht sagen, mein Junge,« erwiederte Hurtig; »aber eine bis zwei Stunden sind's gewiß, und wir können uns nur darauf gefaßt machen, immerhin eine gute Stunde zu rudern. Auf dem Rückwege haben wir aber den Wind im Rücken, und können, ob er gleich nur schwach weht, die Segel aufziehen.«

Schweigend ruderten sie weiter.

»Wir sind hier in sehr tiefem Wasser, Hurtig;« bemerkte William nach einer langen Weile, das Stillschweigen unterbrechend.

»Allerdings, William,« erwiederte Robinson; »es ist auf dieser Seite der Insel kaum anders zu erwarten, da die Korallen immer nur leewärts wachsen. Uebrigens dünkt mich, können wir unmöglich mehr weit von unserem kleinen Hafen entfernt fein. Sieh' nur, wir befinden uns schon den grünen Weideplätzen und den vielen zerstreuten Baumgruppen gegenüber. Zieh' einmal das Ruder ein, lieber Junge, damit wir uns ein bischen genauer umsehen können.«

»Dort drüben sehe ich zwei Felsen, dicht am Ufer, Hurtig, die mir sehr bekannt vorkommen,« sagte William, indem er mit dem Finger auf den bezeichneten Punkt hindeutete. »Wie ich mich erinnere, lagen zwei oder drei gerade solche Felsen an der Außenseite des Hafens.«

»Ganz richtig, William,« bestätigte Hurtig. »Es sollte mich wundern, wenn wir nicht genau am rechten Flecke wären. Laß uns doch drauf zuhalten.«

Sie ruderten vorwärts, und bemerkten zu ihrem Vergnügen sehr bald, daß sie auf der richtigen Fährte waren. Nach wenig Minuten befanden sie sich in dem kleinen Hafen, dessen Wasser so ruhig und durchsichtig, wie in einem Weiher, erschien.

»Na, das ist schön!« sagte Hurtig. »Nun wissen wir Bescheid, und können uns sachte auf den Rückweg machen. Aber stille! halt ein bischen, mein Junge, und reiche mir 'mal den Bootshaken her. Ich sehe da in einer Felsenspalte ein Ding, das mir wohl gefällt.«

William reichte den Bootshaken hin, und Hurtig senkte ihn ohne viel Geräusch tief in's Wasser ein. Als er ihn wieder herauszog, zappelte ein großer Krebs daran, den er an der eisernen Spitze des Bootshakens aufgespießt hatte.

»So, mein Alter,« sagte Robinson lächelnd. »Das ist eine gute Zugabe zu unserem Mittagsbrode, und wir werden zu Hause um so willkommener sein, wenn wir nicht mit ganz leeren Händen zurückkehren. Nun aber greife scharf zu, William; hilf mir den Mast aufrichten, das Segel aufziehen, und tummle dich. Wir müssen diesen Nachmittag, und zwar mit beladenem Boote, noch einmal herüber.«

Der Mast wurde aufgerichtet, und, sobald das Boot wieder auf offenem Meere war, das Segel gespannt. Wie ein Vogel flog der Nachen über die kristallklare Fluth dahin, und ehe eine halbe Stunde verging, lag er schon wieder, dem Wohnhause gegenüber, vor Anker.

William schleppte den Krebs an's Land, und brachte ihn Juno, die sogleich noch einen Topf an's Feuer setzte, um eine so willkommene Zugabe zum Mittagsessen, das beinahe schon fertig war, noch mit auf den Tisch bringen zu können. Mittlerweile kamen Tommy und Karoline herbeigelaufen, um das Thier zu besehen, und Tommy hatte sehr bald wieder seine gewöhnlichen Streiche im Kopfe. Als der große Krebs genugsam von ihm bewundert worden war, fing er an, das unglückliche Geschöpf auf alle mögliche Weise zu quälen und zu peinigen, gerade wie er es vormals auf dem Kap mit den Löwen gemacht hatte. Er suchte sich ein spitziges Stäbchen, stippte damit den Krebs in die Augen, und suchte es unter die harte Rückenschale zu bohren. Da ihm dieß, zum Glücke des armen Thiers, nicht gelang, zupfte er es mit aller Gewalt am Schwanze, erhielt aber dafür einen so derben Schlag auf die Finger, daß er erschrocken ein Paar Schritte zurücksprang. Halb aus Rache, halb aus Muthwillen gab er sich jetzt die möglichste Mühe, seinen spitzen Stock der armen gemarterten Kreatur in das Maul zu stecken. Der Krebs wand und krümmte sich dabei vor Schmerzen auf der Erde; plötzlich aber erhob er seine große Scheere, packte zu, ergriff Tommychens Handgelenk, und kneipte dieses mit solcher Gewalt zusammen, daß der unnütze Bube vor Schmerzen laut aufschrie, auf Einem Beine umhertanzte, und den Arm schlenkerte, wie besessen.

Zu seinem Glücke war die Kraft des Thieres schon gebrochen, und die eiserne Spitze des Bootshakens hatte ihm bereits die Hälfte des Lebens genommen; sonst würde es dem naseweisen Burschen sehr übel ergangen sein. Auf das mörderische Geschrei desselben lief Hurtig schnell herzu, befreite ihn von der Kneipzange des Krebses, und tödtete das Thier. Tommy jedoch war dermaßen in Furcht gesetzt worden, daß er auf's Eiligste das Hasenpanier ergriff und nicht eher wieder stille stand, als bis er sich wenigstens auf ein paar hundert Schritte von seinem Feinde entfernt hatte. Hurtig und Juno lachten darüber, daß ihnen die hellen Thränen über die Backen liefen. Tommy aber, der über das Gelächter vollends in Wuth gerieth, ließ sich nicht eher wieder blicken, als bis die Mittagstafel gedeckt worden war. Da erst kam er langsam wieder anspaziert, setzte sich mürrisch an den Tisch nieder, und aß für zwei Mann.

Auf einmal fuhr er erschreckt zusammen, und fing beinahe an zu weinen. Juno nämlich hatte den gekochten Krebs auf den Tisch gesetzt, und dieser Anblick jagte dem albernen Jungen von Neuem eine solche Furcht ein, daß er beinahe wieder davon gelaufen wäre.

»Na, Tommy,« sagte Herr Seagrave herzlich lachend, »mich dünkt, du wirst heute nichts von dem Krebse essen wollen?«

»Und warum nicht?« entgegnete mit keckem Wesen und muthiger Stimme Tommy, da er mittlerweile eingesehen hatte, daß der Krebs wirklich und wahrhaftig todt sei. »Gerade erst recht will ich ihn essen, weil er mich selber hat auffressen wollen.«

»Nun, so sag' an, mein Söhnchen, auf welches Stück du besondern Appetit verspürst,« sprach Herr Seagrave gutmüthig spottend; »soll ich dir vielleicht die Scheere vorlegen?«

»Ja, gerade die Scheere will ich essen,« erwiederte Tommy patzig. »Gerade die Scheere, dem garstigen Thiere zum Trotz, das mich damit gekniffen hat.«

»Warum ließest du das Thier nicht in Ruhe, Tommy?« entgegnete der Vater. »Dir geschah ganz recht; quältest du das arme Geschöpf nicht, so kniff es dich auch nicht. Uebrigens aber scheint es mir jetzt sehr zweifelhaft, ob du noch überhaupt ein Stückchen davon bekommen wirst, da du es nur aus Trotz und Aerger genießen willst, wie du sagst. Was der Himmel uns schenkt, sollen wir mit Freude und Dankbarkeit empfangen und gebrauchen, nicht aber mit Gefühlen, wie du sie zu empfinden scheinst. Was spricht dein Tischgebet dazu, Tommy? Sag' einmal an.«

»Was der Herr uns bescheert,

Des Dankes ist's werth!«

betete Tommy, ein wenig niedergeschlagen.

»Richtig,« sprach der Väter, »und du wirst einsehen, mein Bürschchen, daß zu diesem Spruche deine vorige Rede wenig paßt. Ich denke darum, daß du von dem Krebse nichts bekommen wirst.«

»Ich mag auch nichts,« rief Tommy mit trotzig aufgeworfenem Munde. »Schweinefleisch schmeckt besser als Krebs.«

»Gut, gut, mein Lieber,« sagte der Vater. »Zwingen will ich dich nicht, der Krebs soll daher unter uns Uebrige vertheilt werden.«

Tommy schien durch diese Entscheidung nicht besonders zufrieden gestellt, denn innerlich lechzte er nach einem Stückchen des Krebses, der Allen ganz vortrefflich zu munden schien. Mürrisch wendete er sich ab, und brach beinahe in Thränen aus, als Hurtig nach aufgehobener Tafel mit lächelndem Spotte sagte, »daß er sein Theil vom Krebse in reichlichem Maaße schon vor Tische bekommen habe.«

*


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