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3. Kapitel.
Das Kap der guten Hoffnung und die Kapstadt.

Am nächsten Morgen stand William mit seinem Freunde Hurtig auf dem Verdecke, und schaute nach der Kapstadt hinüber, welche sich deutlich erkennbar vor seinen Augen ausbreitete.

»Es ist hübsch hier,« wandte er sich zu Robinson; »die Aussicht vom Meere auf das Land gefällt mir außerordentlich; doch mögte ich bei alledem lieber auf dem Ufer umherspazieren.

»Geduld, Geduld, William!« sagte Robinson Hurtig gemütlich; »ein Seefahrer muß immer und jederzeit einen absonderlich großen Vorrath von dem Kräutlein Geduld als Ballast bei sich führen, und da du jetzt ein halber Seemann bist, mußt du es eben so machen. Uebrigens werden wir binnen einer Viertelstunde in der Tafelbai dort die Anker auswerfen, und dein Wunsch kann alsdann befriedigt werden.«

»Warum nennt man jene Bucht die Tafelbai?« fragte William, nachdem er seine Freude über die baldige Erlösung vom Schiffe ausgedrückt hatte.

»I nun, William,« antwortete Hurtig, »vermuthlich wegen des hohen Berges dort, den sie hier zu Lande den Tafelberg nennen. Schau hin, mein Junge! Bemerkst du wohl, wie flach sein Gipfel ist?«

»Gewiß!« erwiederte William. »Er sieht beinahe aus, wie ein Tisch.«

»Richtig, mein Junge!« sagte Robinson; »und an einem Tischtuche, das zu der großen Tafel paßt, fehlt's auch nicht. Es ziehen nämlich zuweilen leichte weiße Wölkchen auf ganz eigenthümliche Weise über die Tafel weg, und lagern sich darüber hin. Diese Erscheinung nennen wir Seefahrer: ›die Tafel decken,‹ freuen uns eben nicht darüber, weil in der Regel schlechtes Wetter darauf folgt.«

»Na, dann will ich nur den lieben Gott bitten, daß er die Tafel nicht decken möge, so lange wir hier sind, denn schlechtes Wetter haben wir zur Genüge gehabt, sollte ich meinen, und ich spüre gar keinen Appetit darauf,« sprach William.

Mittlerweile war der Pacific in die Bai gesegelt, und hier wurden nun auf das Kommando des Kapitäns die Segel gerefft und die gewichtigen Anker ausgeworfen. Nach kurzer Zeit waren diese Geschäfte beseitigt, und Kapitän Osborn trat zu Herrn Seagrave und dessen Gattin, welche vom Verdeck aus einen Blick auf die köstliche, vor ihnen ausgebreitete Landschaft warfen.

»Wir werden hier zwei Tage verweilen, Sir,« sagte der Kapitän zu Seagrave. »Vielleicht macht es Ihnen Vergnügen, diese Zeit mit Ihrer Frau Gemahlin am Lande zuzubringen.«

»Was meinst du, mein Kind?« fragte Herr Seagrave seine Frau. »Wollen wir hinüber, oder ziehst du es vor, an Bord zu bleiben?«

Madame Seagrave schwankte, entschied sich aber doch endlich für das Letztere.

»Ich fühle mich noch zu schwach, um das Schiff verlassen zu können,« sagte sie, »und will deßhalb, wenn es dir recht ist, lieber Mann, mit Karoline und dem kleinen Albert an Bord zurückbleiben, während du mit den andern Kindern das Land besuchst.«

Bei dieser Bestimmung blieb es, und am nächsten Morgen ward ein großes Boot ausgesetzt, in dem Herr Seagrave, William, Tommy und Kapitän Osborn an das Ufer ruderten. Vor der Abfahrt hatte Thomas seiner Mutter das feste Versprechen geben müssen, sich recht artig zu benehmen, und nicht, wie gewöhnlich, dumme Streiche zu machen. Bald aber werden wir sehen, wie er das Versprechen hielt.

Vom Landungsplatze aus führte Kapitän Osborn seine Begleiter in das Haus eines alten Bekannten, erquickte sie dort, da es ein brennend heißer Tag war, mit einigen Gläsern Limonade, und machte ihnen dann den Vorschlag, sie in die Gärten der Kompagnie zu führen, und ihnen die daselbst gefangen gehaltenen wilden Thiere zu zeigen. Mit großer Freude wurde dieser Vorschlag, besonders von den beiden Knaben, angenommen, und man machte sich ohne längeres Zögern sogleich auf den Weg.

»Was sind das eigentlich für Gärten, die Gärten der Kompagnie?« fragte William unterwegs seinen Vater.

»Man nennt sie so,« erwiederte Herr Seagrave, »weil sie zur Zeit, wo das Kap noch ein Besitzthum der Holländisch-Ostindischen Kompagnie war, von selbiger angelegt wurden. Eigentlich sind es botanische Gärten, doch befinden sich auch wilde Thiere darin, und besonders in früheren Zeiten hielt man deren eine große Menge. Neuerdings vernachlässigt man sie jedoch, weil wir jetzt in England selbst genug dergleichen haben.«

»Erzähle mir doch, was wir alles zu sehen bekommen werden,« bat Tommy den Kapitän Osborn.

»Eine ganze Menge großer, wilder Löwen wirst du sehen, mein Jüngelchen,« erwiederte der Kapitän, »und ich rathe dir freundschaftlich, nicht zu nahe an den Käfig zu treten, in dem sie aufbewahrt werden. Hörst du wohl, Tommy?«

»Ja, ich hör's, und werde gewiß nicht hingehen,« entgegnete der Knabe. »Aber auf die Löwen freue ich mich recht; ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen gesehen.«

Mittlerweile kamen sie alle in den Gärten an, hatten aber kaum das Eingangsthor hinter sich, als unser Tommychen ganz still und heimlich davon schlüpfte, um so bald als möglich zu den Löwen zu kommen. Zum Glück bemerkte es Kapitän Osborn noch zu rechter Zeit, und eilte dem kleinen Ausreißer nach.

»Du bist mir ein schöner Bursch!« sagte er, ihn ergreifend und bei, der Hand festhaltend. »Komm nur ruhig wieder mit, und bleib hübsch bei uns, wenn du nicht augenblicklich auf das Schiff zurückgeschickt werden willst.«

Tommychen schwieg beschämt still, und verhielt sich vor der Hand ein Weilchen sehr artig und gesittet.

Indessen gesellte sich ein Aufseher der Gärten zu unsern Freunden, und machte sie auf die besondern Sehenswürdigkeiten aufmerksam.

»Hier erblicken Sie,« sagte er, »ein Paar sehr beachtenswerthe Vögel, die wegen des kleinen Federbusches am Hinterkopfe Sekretäre genannt werden. Sie befreien uns von einer sehr lästigen Plage, von den giftigen Schlangen nämlich, deren es in unserem Klima eine große Menge gibt. Die Sekretäre sind ihre gefährlichsten Feinde. Wo sie eine erblicken, fallen sie über sie her, packen sie mit ihren Krallen, und tödten sie durch gewaltige Flügelschläge und durch kräftige Bisse mit ihrem scharfen Schnabel.

»Also gibt es Schlangen in dieser Gegend?« fragte William bescheiden den Aufseher.

»Gewiß, mein lieber Knabe,« erwiederte freundlich der Führer. »Es gibt ihrer eine große Menge, und sie sind meist durch ihr tödtliches Gift sehr gefährlich, so daß uns die Sekretäre durch ihre Ausrottung eine große Wohlthat erweisen.«

»Wunderbar ist es,« rief Herr Seagrave aus, »mit welcher Weisheit Gott alle Dinge auf der Erde eingerichtet hat! Ueberall ist dafür gesorgt, daß kein Geschöpf, und besonders kein schädliches, sich im Uebermaße vermehren kann. Wo man viele Thiere einer besonderen Gattung findet, da findet man stets auch andere, die jene bekämpfen und vertilgen. Hier z. B. gibt es eine Menge giftiger Schlangen; sie würden sich bis in's Unendliche vermehren, wenn nicht der Sekretärvogel von Gott dazu bestimmt wäre, sie zu verfolgen und zu vernichten. Was würde dieser nützliche Vogel für Dienste thun können, wenn England seine Heimath wäre? Gar keine! Hier ist sein rechter Platz, und darum eben bestimmte es Gottes unendliche Weisheit, daß er diese Gegenden bewohnen und sich nützlich machen muß.«

»Wie aber, Vater, ist es mit den Elephanten und Löwen und anderen, ebenso starken und gewaltigen Thieren?« fragte William. »Wer kann sie bezwingen und ausrotten?«

»Der Mensch, das edelste Geschöpf Gottes, kann es und thut es,« erwiederte Herr Seagrave. »Abgesehen davon aber hat Gott selbst wieder dafür gesorgt, daß auch die Zahl der stärksten und reißendsten Thiere nicht allzusehr überhand nehmen kann. Der Elephant bekommt in einem Zeitraume von zwei und mehr Jahren nur ein einziges Junges, wo hingegen Kaninchen, Hasen, Rebhühner und andere solche Thierchen, die größeren Geschöpfen zur Nahrung dienen, sich auf die erstaunlichste Weise vervielfältigen. Ich habe gelesen, daß ein einziges Paar Kaninchen in einem einzigen günstigen Jahre mehrere Hundert Nachkommen in die Welt setzen kann. Schaue umher in der Schöpfung, mein Sohn! Ueberall wirst du gewahren, daß eine unfehlbare und weise Hand unabänderlich das nothwendige Gleichgewicht erhält, und daß es niemals und nirgends einem lebendigen Geschöpfe je an Nahrung fehlt, um seinen Hunger zu stillen. Alles ist weise und väterlich eingerichtet, und je mehr wir die Geheimnisse der Natur erforschen, desto lebendiger wird in unserer Seele die Erkenntniß von Gottes unendlicher und liebevoller Weisheit aufgehen.«

Unter solchen und ähnlichen Gesprächen setzten unsere Freunde ihre Wanderung fort, bis sie an den Behälter der Löwen gelangten. Ein stattliches, langes Gebäude, von breiten Quadersteinen aufgeführt, zeigte sich ihren Blicken. Auf drei Seiten erschien es geschlossen, und nur die vierte Seite, welche von oben bis unten mit starken eisernen Stangen vergittert war, vergönnte den Besuchern einen freien Blick in das Innere des Raumes. Die Stangen waren hinreichend weit von einander entfernt, daß die Löwen ohne große Beschwerde ihre breiten Pranken hindurch stecken konnten, und Kapitän Osborn warnte daher den kleinen Tommy noch einmal sehr ernstlich, sich dem Gitter mehr, als die größeste Vorsicht erlaubte, zu nähern. Tommy versprach, die Warnung zu befolgen, und bewunderte mit seinem Bruder William die schöne, kraftvolle und majestätische Gestalt der gefangenen Wüstenkönige, die in verschiedenen Stellungen auf dem Boden des Käfigs lagen, und sich wenig um ihre neugierigen Beschauer zu kümmern schienen. Es wurden ihrer im Ganzen acht gefangen gehalten. Sie sonnten ihre breiten Rücken, wedelten langsam mit dem Schweife, und hatten, da das helle Tageslicht sie blendete, die großen, glühenden Augen halb geschlossen.

Eine Weile hielt sich Thomas in gemessener Entfernung vom Gitter, indem er wußte, daß Kapitän Osborn ein wachsames Auge auf ihn hatte, und dann auch wohl, weil er vor den trotzigen und wilden Gestalten der Löwen einige Furcht empfand. Als aber der Führer im Fortgehen unseren Freunden einige anziehende Geschichtchen von den Löwen erzählte, als alle aufmerksam seinen Worten lauschten, und selbst Kapitän Osborn auf einige Augenblicke den kleinen Tommy vergaß, da machte sich der vorwitzige Bursch in aller Stille aus dem Staube, und lief zum Löwenzwinger zurück, um sich noch einmal des herrlichen Anblicks der wilden Geschöpfe zu erfreuen. Dreister geworden durch die majestätische Ruhe der edeln Thiere, schlich er näher und immer näher an das Gitter heran, und ergriff endlich einen Stein, um sie damit aus ihrer unbeweglichen Muhe aufzuschrecken.

»Das muß ein Spaß sein, wenn sie so recht wüthend und brüllend in die Höhe fahren,« dachte er, und schleuderte den Stein wohl gezielt nach einem eben ausgewachsenen jungen Löwen, der zunächst dem Gitter lag und seine Pranke halb aus dem Gitter herausstreckte. Der Stein streifte des Löwen Mähne, und mit dumpfem Murren drehte das gewaltige Thier langsam den Kopf zu seinem Beleidiger um, und schaute ihn mit wildglühenden Augen zornig an.

Tommy fuhr zurück und erschrak. Doch bald faßte er sich wieder, nahm abermals einen Stein auf und schlich immer näher an das Gitter, um den Löwen noch empfindlicher, als das erste Mal, zu treffen.

»Er kann dir ja nichts anhaben,« dachte er, schleuderte den Stein und traf den Löwen an die Schulter. Ein noch grollenderes Murren als das erste, tönte dumpf und hohl aus des gewaltigen Thieres breiter Brust. Es peitschte mit dem Schweife seine Seiten, schüttelte die dichte Mähne und heftete seine rothgelben, großen Augen fest auf Tommy's Gesicht.

»Brumme du nur und blicke mich an, du alter Bursche!« rief Tommy, immer dreister werdend, dem Löwen zu. »Ehe du mir nicht den Willen thust und aufstehst, laß ich dich nicht in Ruhe.«

Und abermals flog ein Stein in das Gitter, und noch einer und wieder einer, bis endlich das gereizte Thier furchtbar brüllend aufsprang, seinen blutrothen Rachen aufriß, sich an den Eisenstäben des Gitters in die Höhe richtete, und sie mit solcher furchtbaren Gewalt erschütterte, daß große Stücken Kalk von ihrer Befestigung oben herabstürzten. Zu gleicher Zeit sprangen auch die übrigen Löwen in die Höhe, und erfüllten die Luft weit umher mit ihrem zornigen, donnerähnlichen Gebrüll.

Tommy, der sich dieser plötzlichen und furchtbaren Wuth des geneckten Thieres nicht versah, taumelte alsbald vor lauter Schrecken zur Erde nieder, und erhob ein jammervolles, gellendes Geschrei. Ein Glück für ihn war es übrigens, daß er rückwärts niederstürzte; denn er befand sich bei dem plötzlichen Aufruhre in der Löwenhöhle nahe genug am Gitter, um von den Tatzen des Löwen gepackt werden zu können, wenn er vorn über gefallen wäre. Und in solcher Lage mögte ihm sein Vorwitz übel genug bekommen sein.

Auf das Gebrüll der wilden Thiere kehrten unsere vorausgegangenen Freunde sofort eiligst zum Zwinger zurück, und sahen dort Tommychen, noch immer mörderlich schreiend, an der Erde liegen. Kapitän Osborn sprang sogleich zu und hob ihn vom Boden auf. Der erschreckte Knabe zitterte am ganzen Leibe, und konnte sich kaum auf den Füßen halten. Sein Gesicht war blaß, und Thränen, von Furcht und Angst ausgepreßt, strömten über seine Wangen.

»Fort von hier!« schrie er gellend. »Fort! Ich will auf's Schiff! Auf's Schiff! Ich mag hier nicht länger bleiben!«

Ohne daß man aber groß auf sein Geschrei geachtet hätte, wurde er aus der Nähe des Löwenkäfigs fortgebracht, und erhielt von seinem Vater eine tüchtige Strafpredigt.

»Ich werde dich nicht wieder mit an's Land nehmen, Thomas,« sagte Herr Seagrave, als er des Knaben Geständnisse vernommen hatte, »denn du bist ein höchst unartiger und gedankenloser Bursch, der vor der Hand noch gehörig die Ruthe der Mutter kosten muß. Schweige jetzt still, und schreie nicht mehr, wenn du mich nicht ernstlich böse machen willst.«

Tommy unterdrückte seine Thränen, und schlich demüthig und betrübt neben seinem Bruder her. Die Löwen hatten ihm aber eine so derbe Lection gegeben, daß er sich fortan von allen übrigen Thieren, die in den Gärten zu sehen waren, in sehr respectvoller Entfernung hielt, und sogar kaum zu bewegen war, ein unschuldiges Schaf mit einem breiten Fettschwanze, wie sie auf dem Kap der guten Hoffnung vorkommen, mit den Händen zu berühren. Er wurde daher tüchtig ausgelacht, und war herzlich froh, als es endlich wieder zum Schiffe ging, wo er der guten Mutter sein bitteres Herzeleid klagen konnte.

Madame Seagrave jedoch, als sie seine Abenteuer vernommen hatte, erklärte ganz ernsthaft, daß sie den unartigen Tommy nun und nimmer wieder aus den Augen lassen werde, bis sie genügende Beweise von seiner vollkommenen Besserung erhalten hätte.

Das schmerzte Tommy sehr, und er nahm sich vor, anders zu werden.

*


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