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41. Kapitel.
Ende von Hurtig's Geschichte.

In den nächsten Tagen waren unsere Freunde damit beschäftigt, die Stümpfe der Kokosbäume, welche noch auf dem im Zickzack angelegten Pfade nach dem Magazin standen, wegzuhauen und vollends aus dem Wege zu räumen. Nach Beendigung dieser Arbeit errichtete Hurtig dicht neben dem Magazin einen Blitzableiter, und zwar ganz auf die schon früher bei dem Hause angewendete Art und Weise.

Hiemit waren denn nun auch alle Arbeiten, welche unsere Freunde während der Regenzeit auszuführen beschlossen hatten, beseitigt.

Mittlerweile hatten jedoch die Schafe Junge bekommen und sie sowohl als die Ziegen fingen jetzt an, den Mangel eines guten Weideplatzes schmerzlich zu empfinden. Seit einer Woche bereits regnete es nicht mehr, dagegen aber strömte die Sonne eine brennende Gluth aus, und Hurtig meinte, nach seiner Ansicht müsse die Regenzeit nun gänzlich vorüber sein.

William hatte indeß bedeutend an Kräften zugenommen und harrte mit Ungeduld des Augenblicks, wo die längst besprochene Reise über die Insel unternommen werden sollte; denn noch hatte er die Hoffnung, daran Theil nehmen zu dürfen, keineswegs ganz aufgegeben. Endlich wurde denn auch nach einer langen Berathung festgesetzt, daß wirklich William und Hurtig den ersten Ausflug, aber nur in südlicher Richtung machen, darauf zurückkehren, und von Allem, was sie entdeckt hätten, Bericht abstatten sollten.

An einem Sonnabend war dieser Beschluß gefaßt worden und am Montag früh sollte die Abreise vor sich gehen. Die Reisetaschen wurden also zurecht gemacht und beinahe bis oben hin mit abgekochtem Pökelfleisch und flachen Brodkuchen angefüllt, welche letztere Juno mit vieler Kunst gebacken hatte. Jeder sollte ferner eine Flinte mit Schießbedarf mitnehmen und außerdem eine wollene Decke bekommen, welche für die Nacht zu einem bequemen Ruhelager dienen konnte. Hurtig aber stellte vor Allem seinen Kompaß zurecht und vergaß auch die kleinen Handbeile nicht, um damit, wie früher, an den Bäumen des Waldes den Weg zu bezeichnen.

Der ganze Sonnabend verging unter diesen und ähnlichen Vorbereitungen, und erst nach dem Abendessen konnte sich, wie gewöhnlich, die ganze Familie wieder in Ruhe an dem runden Tische versammeln.

 

»Nu«, William,« sagte Robinson, als sie Alle still bei einander saßen, »ehe wir uns auf die Reise begeben, muß ich wohl den Faden meiner Geschichte vollends abwickeln. Die Sonne meines Glückes leuchtete nicht lange; nachdem ich eine geraume Zeit in französischer Gefangenschaft zugebracht hatte, war mein Leben eine beständige Wiederholung des Sprichworts: ›Aus dem Regen in die Traufe.‹ Merke drum auf, mein Junge; ich erzähle dir heute zum letzten Male.

Unser Schiff war sehr bald völlig ausgerüstet, und gleich darauf segelten wir mit einem großen Convoi nach Barbadoes ab. Sanders bewährte sich, wie ich schon vorher vermuthet hatte, als ein trefflicher Seemann, und ich erlernte von ihm, ehe wir noch an unsern Bestimmungsort gelangtes, alle die Kenntnisse, welche ich als Kapitän und Führer meines Schiffes nothwendig zu bedürfen glaubte. Unterwegs versuchte es Sanders oftmals, unsere früheren ernsten Gespräche zu erneuern; ich aber war durch mein Glück so leichtfertig geworden, daß ich nicht mehr auf seine wohlmeinenden Worte hörte. Als ich vollends erst fühlte, daß ich recht gut ohne seine Hilfe auskommen konnte, vernachlässigte ich ihn nicht nur, sondern ließ ihn sogar bisweilen bitter fühlen, daß ich sein Vorgesetzter sei und vergalt so, wie es nur zu oft in der Welt geschieht, seine Liebe und Treue mit der schwärzesten Undankbarkeit.

Sanders fühlte sich natürlich durch mein unverantwortliches Benehmen tief verletzt, und erklärte mir bei unserer Ankunft in Barbadoes, daß er beabsichtige, mein Schiff zu verlassen. Ich erwiederte ihm ziemlich hochmüthig: ›er könne thun, was ihm beliebe,‹ und war im Grunde meines Herzens sehr froh, seine Gesellschaft los zu werden. Ich wußte und fühlte, daß ich mich gegen ihn vergangen hatte, und da ich zu hochmüthig war, wieder gut zu machen und um Verzeihung zu bitten, so freute mich seine Entfernung mehr, als sie mich betrübte.

Sanders verließ mich. Kaum aber war er fort, so bereuete ich das Vorgefallene, und es war mir sehr übel zu Muthe. Bei alledem sah ich ein, daß die Reue zu spät kam und tröstete mich endlich auf die leichteste Weise, indem ich mir die ganze Angelegenheit aus dem Sinne schlug.

Bald nachher hatte ich mein Schiff mit einer vollen Ladung Zucker befrachtet und wartete nur noch auf das Geleit einiger Kriegsschiffe, um ohne Verzug nach England abzusegeln.

Während ich noch harrend im Hafen vor Anker lag, bot sich mir zufällig eine Gelegenheit dar, vier Drehbassen Drehbassen sind Kanonen, welche derart auf den Laffetten befestigt sind, daß sie nach jeder Seite hin gedreht werden können. zu kaufen, welche ich sogleich erhandelte. Ich pflanzte sie auf dem Verdecke meines Schiffes auf, schaffte einen guten Vorrath an Muniition an Bord und war nun, da mein schmuckes Fahrzeug sich während der ganzen Reise als ein sehr schneller Segler bewährt hatte, äußerst stolz auf seine Vortrefflichkeit. In der That segelte es auch schneller, als manches der uns begleitenden Kriegsschiffe, und ich glaubte mich daher nun, da ich vollends noch Kanonen an Bord hatte, vor jedem feindlichen Kaper völlig gesichert.

Da begab es sich, daß, während ich mit noch vielen anderen Kauffahrer-Kapitänen noch immer auf die Ankunft der Geleitschiffe wartete, plötzlich ein furchtbarer Sturm losbrach, welcher uns Alle mit einander aus der Carlisle-Bai hinaus und in's offene Meer trieb.

Der Sturm legte sich aber bald wieder, und nun wäre es eigentlich, trotz dem noch immer frisch wehenden Handwinde, unsere Pflicht gewesen, in die Bai zurückzukehren. Alle übrigen Kapitäne außer mir, thaten dieß auch; ich aber war des ärgerlichen Wartens auf die Geleitschiffe völlig, müde geworden, und dachte überdem, daß es für meinen Handel gewiß sehr vortheilhaft sein würde, wenn mein Schiff lange vor den übrigen Westindienfahrern nach England zurückkehren könne. Dieser Gedanke verblendete mich, und ich faßte wirklich den Entschluß, anstatt wieder in die Bai einzulaufen, ohne Schutz mich sofort der englischen Küste zuzuwenden. Ich rechnete theils auf die Schnelligkeit meines Schiffes, theils vertraute ich dem Schutze der Kanonen, die ich an Bord besaß, und ließ gänzlich aus der Acht, daß nur dann in England die Versicherung meines Schiffes gültig sein konnte, wenn ich unter dem Schutze eines Convoi's segelte, und ich also, wenn mir unterwegs ein Unglück zustoßen würde, keine Ansprüche auf eine Entschädigung irgend einer Art zu machen berechtigt war.

Dennoch segelte ich ab, und drei Wochen hindurch ging Alles ganz gut. Nur wenige Schiffe begegneten uns, und Alle, welche Jagd auf uns machten, ließen wir weit hinter uns zurück.

Schon glaubte ich mich geborgen, und jubelte in meinem Herzen über meinen kühnen Einfall, der sich dem besten Ende zu nähern schien, als ganz unverhofft die Sachen eine andere Wendung nahmen.

Wir segelten den Canal hinauf; der Wind wehete günstig; er schwellte meine Leinwand, und ich rechnete darauf, vor Nacht noch einen englischen Hafen zu erreichen, als plötzlich ein französischer Kaper erschien, und mit vollen Segeln hinter uns drein flog. Um seiner Verfolgung zu entgehen, mußten wir unsern Cours ändern, und gegen den Wind steuern. Dieser aber machte sich auf einmal gewaltig auf und blies bald mit einer solchen Heftigkeit, daß er plötzlich zu meinem Schrecken die große Marsstange von unserem Hauptmaste riß.

Durch diesen bösen Zufall waren wir dem Franzosen völlig preisgegeben. Er kam heran, enterte und nahm mein schönes Schiff.

So wurde ich ein französischer Gefangener, und in derselben Minute auch ein Bettler. Mein ganzes Vermögen steckte im Schiff, und für dieses, das nicht mehr mein war, konnte ich keine Versicherungssumme in Anspruch nehmen, weil ich ohne Geleitschiff von Westindien abgesegelt war.

Nur zu wohl fühlte ich, daß ich ganz allein an der unglücklichen Lage, in welche ich nun gerieth, Schuld war, und trug meine harte Strafe in Geduld. Sechs Jahre schmachtete ich in einer strengen Gefangenschaft; der ich mich endlich nur mit Gefahr meines Lebens durch eine kühne und mühselige Flucht wieder entziehen konnte. In Gesellschaft von vier Bundesgenossen entkam ich, und gelangte nach einer langen Reihe von Unfällen endlich auf ein schwedisches Schiff, und von diesem in meine Heimath zurück. Als ich die englische Küste wieder betrat, sah ich mich ganz ohne Geld, ja selbst ohne Kleider, und wußte nichts Anderes zu beginnen, als mich an Bord eines Schiffes nach Diensten umzusehen.

Ich bemühte mich, aber ohne Erfolg, um die Stelle eines zweiten Lieutenants. Ueberall wies man mich zurück, weil ich gar zu lumpig gekleidet und verwahrlost aussah, und ich mußte endlich, da ich wirklich vor Hunger beinahe verschmachtete, den Entschluß fassen, einen Dienst als gemeiner Matrose anzunehmen.

Im Hafen lag ein schönes Schiff. Ich ging an Bord, trug mich an, und wurde vom Lieutenant zum Kapitän geführt, in' welchem ich zu meinem Erstaunen augenblicklich meinen vormaligen Freund Sanders erkannte. Noch hoffte ich, er würde sich meiner nicht mehr erinnern; aber er kannte mich ebenfalls auf den ersten Blick wieder, und – reichte mir seine Hand.

Nie in meinem ganzen Leben habe ich mich wieder so beschämt gefühlt, als damals; und Sanders merkte es wohl. Er führte mich in die Kajüte hinab; dort erzählte ich ihm Alles, was mir begegnet war, und sofort vergaß er, als ein wahrhafter Christ, ganz mein früheres schlechtes Betragen gegen ihn. Er trug mir eine Stelle an Bord an, und gab mir sogar einen Vorschuß an Geld, damit ich mich mit neuen Kleidern Versehen könne.

Dieß Alles rührte mich ganz unaussprechlich, und da Er nicht von meinem ehemaligen Benehmen zu sprechen anfing, so fing ich davon an, verklagte mich selbst, gab ihm meine Scham, meine Reue zu erkennen und bat ihn endlich um Verzeihung. Sanders vergaß und vergab Alles, wir wurden wieder die besten Freunde, und bald machte er mich zu seinem zweiten Lieutenant.

Mein Mißgeschick hatte mir wieder Demuth eingeflößt. Ich las von Neuem die Bibel, und habe dieß seit jener Zeit nicht wieder unterlassen.

Leider starb Sanders, ich behielt zwar vor der Hand noch meine Stelle als zweiter Lieutenant, wurde aber bald darauf versetzt, und mußte in der Folge an Bord verschiedener Schiffe die Stelle eines gewöhnlichen Steuermanns annehmen. Uebrigens fühlte ich mich darüber nicht unglücklich. Man behandelte mich überall mit Güte und Achtung, und mehr verlangte und erwartete ich nicht. Mein vergangenes Glück betrauerte ich übrigens keineswegs; es hatte mich nur zu Thorheiten verleitet und mich vergessen lassen, daß wir das Leben in dieser Welt einzig und allein als eine Vorbereitung zu dem ewigen Leben betrachten sollen.

Dieß, lieber William, ist die Geschichte des alten Robinson Hurtig, und ich hoffe und wünsche, daß sie in manchen Stücken nützlich und lehrreich für dich gewesen sein möge. Jetzt bin ich ein greiser Mann, und kümm're mich nicht mehr um die Freuden dieser Welt. Meine ganze Hoffnung setze ich darauf, dereinst in Frieden sterben, und so lange nützlich sein zu können, bis es Gott gefallen wird, mich durch den Tod von dieser Welt abzurufen.«

»Und wahrlich, Hurtig,« rief Madame Seagrave, »nützlich habt Ihr Euch immer gemacht, besonders in der letzten Zeit. Gott möge Euch noch eine lange Lebenszeit und ein glückseliges Alter verleihen.«

»Es geschehe nach seinem Willen!« erwiederte Hurtig, »Seefahrer leben jedoch in der Regel nicht lange. Trotzdem würde ich ganz zufrieden sein, wenn ich den Rest meiner Tage auf diesem kleinen Eilande zubringen könnte. Ich weiß wohl, Ihr fühlt anders, und ich finde das das sehr natürlich. Ich, der ich ein alter Mann bin, der ich nichts habe, für das ich zu sorgen hätte, der ich keine Verwandte und keine Kinder mein nennen kann, ich verlange nichts, als eine mäßige Beschäftigung zu meinem Vergnügen, und meine Bibel, die mich lehrt, wie ich sterben soll. Ihr dagegen seid, wenigstens im Vergleiche mit mir, Alle jung, und müßt Euch vorwärts, fort von hier in das Treiben der geschäftigen Welt zurück sehnen. Um Euretwillen wünsche und hoffe ich auch aufrichtigen Herzens, daß wir aufgesucht und gefunden werden. Mögt Ihr dann in Gottes Namen in das Wogen und Drängen der Menschheit zurückkehren! Ich bleibe auf dieser lieblichen Insel, und gedenke auf ihr meine Tage zu beschließen. In der That ist mir zu Muthe, als ob einst die Wipfel der Kokosbäume über meinem Grabe rauschen würden, und gern verweile ich, mit einer milden, geläuterten Freudigkeit, bei diesem Gedanken.«

»Nein, nein, theurer Robinson!« erwiederte Herr Seagrave auf diese Worte, »an dergleichen dürft Ihr nicht denken. Ihr müßt einst mit uns zurückkehren, Ihr müßt mit uns leben, um Euch nie wieder von uns zu trennen. Ihr müßt Euer Seeleben fahren lassen, und mit uns am Kamin oder im Sonnenschein vor der Thür sitzen, wie es Euch gerade gefallen mag. Ihr bedürft der Ruhe, alter Freund, und zuversichtlich hoffe ich, daß der Abend Eures Lebens lieblich und erquickend sein wird. An mir wenigstens darf nicht die Schuld liegen, wenn das Schicksal es anders verfügen sollte.«

»Und auch an mir nicht!« setzte Madame Seagrave hinzu. »Ich würde nie ganz zufrieden und behaglich leben können, wenn ich jemals wieder Eure Gesellschaft entbehren müßte.«

»Ich danke Ihnen, lieber Herr! danke Ihnen Beiden recht von Herzen für Ihre guten Meinungen und Absichten! Aber es lebt ein Höherer über uns! Wie Er unsere Wege lenkt und über uns verfügt, so muß es uns recht und lieb sein.«

»Uebrigens, William,« wandte er sich zu dem Knaben, »müssen wir morgen bei Zeiten aufbrechen und uns bald zum Frühstück einstellen; darum denk' ich, je früher wir zu Bett gehen, desto besser wird's uns bekommen.«

»Sehr wahr,« bestätigte Herr Seagrave; »doch vorher wollen Wir ein Kapitel aus unserer Bibel lesen. Hole sie, mein Sohn.«

*


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