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52. Kapitel.
Hurtig und William reisen ab.

Am folgenden Morgen bot Tommy's Gesicht einen wahrhaft jämmerlichen Anblick dar. Seine Backen und Lippen waren dick aufgeschwollen und spielten in allen möglichen Farben, und der Verlust der beiden Vorderzähne trug auch eben nicht viel zur Verschönerung seines Angesichtes bei. Zum Glück hatte er noch die Milchzähne, sonst würde die Sache von ernsteren und schmerzhafteren Folgen gewesen sein.

Als Tommy zum Frühstück kam, sah er ein wenig niedergeschlagen aus, obgleich er noch kurz zuvor gegen Juno ganz grausam geprahlt hatte. »Ich habe das Schwein geschossen,« sagte er, »und werde, sobald dieses hier verzehrt ist, von Neuem auf die Jagd gehen und ein anderes schießen.«

Zum Frühstück gab es Schweinebraten, und der Geruch desselben schmeichelte Tommychen's Nase auf's Anmuthigste. Als er daher von seinem Vater, außer einer tüchtigen Strafpredigt, die Entscheidung vernahm, daß er auch nicht den kleinsten Bissen davon bekommen werde, so fing er dermaßen zu jammern, zu schreien und zu weinen an, daß er weit von den Zelten entfernt werden mußte, bis sich der Ausbruch seiner heftigen Gefühle für den Schweinebraten in Etwas gemindert hatte.

Gleich nach dem Frühstück machte Hurtig den Vorschlag, daß man sogleich damit anfangen mögte, die Vorräthe von der Rettungsbucht in die Nähe des Hauses zu schaffen, indem er zugleich darthat, wie unumgänglich nothwendig dieses Geschäft, und wie wenig Zeit dabei zu verlieren sei. Der Vorschlag ward angenommen. Juno hatte bereits ein tüchtiges Stück kalten Schweinebraten und eine große Portion abgekochtes Pökelfleisch eingepackt; Herr Seagrave erbot sich, den Graben und die Hecke vollends fertig zu machen, und so stand denn also der Abreise Hurtigs und Williams weiter nichts im Wege.

»Aber, Hurtig,« fragte Madame Seagrave, »wie lange wird wohl eure Abwesenheit dauern?«

»Nun, heute ist Mittwoch, liebe Madame Seagrave, und ich denke daher, daß wir zu Sonnabend Nacht wieder zurück sein können. Unsere Arbeit muß beendigt werden, und das so schnell als nur möglich.«

»Der Gedanke, dich so lange nicht zu sehen, mein guter Sohn,« wandte sich Madame Seagrave an William, »ist mir wirklich recht schwer auf's Herz gefallen, und da du fast immer auf dem Wasser umher fahren mußt, werde ich in Angst und Sorge schweben, bis du zu uns heimgekehrt bist.«

»Nun, Mütterchen,« erwiederte William scherzend, »ich will dir alle Tage mit der Briefpost schreiben, damit du stets weißt, wie es mir ergeht.«

»Spaße nicht so, William! Ich mögte wohl wünschen, daß es eine Briefpost hier gäbe, damit du mir wirklich alle Tage schreiben könntest.«

Hurtig und William beendigten nun so schnell als möglich ihre Vorbereitungen zur Abreise. Sie packten außer mehrfachen anderen Dingen auch ihr Bettzeug und einen kleinen Kochtopf mit ein, und nahmen sodann von den Uebrigen Abschied, während Juno ihnen das Gepäck in's Boot hinunter trug.

Ihre erste Fahrt sollte nach der Bay bei dem Hause gehen. Dort wollten sie ihr Gepäck zurücklassen und darauf weiter nach der Rettungsbucht fahren.

Als sie Abschied genommen hatten, und eben das Boot besteigen wollten, rief William den Remus, einen der beiden Schäferhunde, zu sich.

»Warum willst du den Hund mitnehmen, William?« fragte Hurtig. »Uns ist er zu gar nichts nütze, wohingegen er hier durch die Vertreibung der Schweine den größten Vortheil gewährt.«

»Man kann das manchmal nicht wissen, Hurtig!« erwiederte William. »Es ist mir so zufällig ein Gedanke durch den Kopf gefahren, und darum laßt mir nur heute einmal meinen Willen. Der Hund muß mit.«

Der alte Hurtig schüttelte den Kopf, ließ aber den Knaben gewähren. »Wenn du ihn mitnehmen willst, so thu's in Gottes Namen,« sagte er. »Aber ich mögte wohl wissen, was in aller Welt du damit anfangen willst. Na, behüt' dich Gott, Juno!«

»Euch Gott behüten. Massa Hurtig!« rief Juno. »Euch Gott behüten, Massa William! Ihr Samstag wieder kommen und Fisch mitbringen.«

»Wenn auch nicht Fische, so doch eine Schildkröte, Juno,« erwiderte Hurtig. »Sie kommen jetzt schon wieder aus dem Meere an's Land, und wir werden, denk' ich, eine Menge fangen.«

Sie zogen das Segel auf, und hatten, da eine günstige, frische Brise wehte, in kurzer Zeit die Bai erreicht. Sofort trugen sie ihre Lebensmittel und anderen Vorräthe nach dem Hause hinauf, legten sie darin nieder, und verschlossen dann von außen die Thür. Hierauf riefen und lockten sie die Hühner, um ihnen etwas Futter vorzustreuen, und bemerkten, als sie flatternd und schreiend herbei gelaufen kamen, zu ihrer großen Freude, daß sie sich mittlerweile schon um einige vierzig junge Küchlein vermehrt hatten, die alle prächtig zu gedeihen schienen, und bereits so groß und fett waren, daß sie einen köstlichen Braten abgegeben hätten. Da jedoch unsere Freunde ohnehin schon frisches Fleisch genug hatten, so beschlossen sie, keins von den Küchlein zu tödten. Die Eier, welche sie von ihnen erwarten konnten, hatten auf alle Fälle mehr Werth für sie, als das bischen Fleisch.

Vom Hühnerstalle aus gingen sie jetzt wieder zum Boote hinab, und ruderten nach der Rettungsbucht hinüber. Der Wind wehte frisch; da sie ihn aber im Gesichte hatten, so mußten sie um so angestrengter rudern, um seine und der Wellen Gewalt besiegen zu können. Sie arbeiteten übrigens mit frohem Muthe, denn, wie Hurtig sagte, kam ihnen auf der Rückfahrt bei beladenem Boote der Wind besser zu Statten, als jetzt, wo sie mit leerem Boote dagegen ankämpfen mußten.

In der Rettungsbucht angekommen, machten sie sich ohne Zeitverlust darüber her, ihr Boot von hinten bis vorn hin voll zu laden. Die Nägel, anderes Eisenwerk aller Art und verschiedene Werkzeuge bildeten den Haupttheil der Ladung. Außerdem aber packten sie noch ein Faß Mehl, eine Kiste mit Lichtern, so wie einige Rollen Segeltuch hinzu, riefen Remus, der ruhig am Ufer lag, zu sich, sprangen an Bord, stießen vom Lande ab, zogen das Segel auf, durchfuhren glücklich die Klippen und kamen nach etwa einer Stunde wieder bei'm Hause an.

»Ich bin froh, daß wir ohne Verlust hergekommen sind, William!« sagte Hurtig. »Gerade die heutige Ladung ist von großem Werthe für uns, und ich mögte nur ungern selbst den kleinsten Theil davon missen. Heute wollen wir sie noch herauf schaffen, und dann feiern bis morgen, wo wir, wenn's möglich ist, zwei Fahrten machen müssen. Wirst du's wohl aushalten, alter Junge?«

»O gewiß, wenn wir nur früh genug aufbrechen,« erwiederte William. »Für jetzt aber mögte ich vor allen Dingen, ehe wir die Sachen ausladen, ein bischen Mittagsbrod genießen; denn ich bin gewaltig hungrig geworden.«

Hurtig packte sogleich den Schnappsack auf.

Während sie ihr Mittagsbrod verzehrten, und auch dem Hunde sein reichlich Theil zukommen ließen, sagte Robinson plötzlich: »Höre William, was war denn das eigentlich für ein Gedanke, der dich Remus mitzunehmen veranlaßte?«

»Ich will's Euch sagen, Hurtig,« erwiederte der Knabe. »Seht, ich will den Versuch machen, ihn mit einem Briefe an meine Mutter zu schicken, und hoffe ziemlich zuversichtlich, daß es gelingen wird. Wie Ihr wißt, läuft Remus immer nach Hause, wenn man es ihm befiehlt, und ich habe deßhalb gleich ein Stück Papier und ein Bleistift mitgenommen. Vielleicht trabt er zu den Zelten hinüber, wenn ich's ihm heiße.«

William schrieb folgendes Briefchen:

Liebe Mutter!

So eben sind wir mit unserer ersten Ladung glücklich angekommen, und befinden uns wohl.

Dein zärtlicher Sohn William.

Dieses Briefchen band er mit einem Stückchen Segelgarn am Halse des Hundes fest, führte ihn eine kleine Strecke vom Hause fort auf den Weg nach den Zelten, und rief ihm hier zu: »Remus, zurück! Marsch, Remus! Zurück!«

Der Hund sah William aufmerksam an, wie wenn er seine Meinung noch nicht recht verstanden hätte und unsicher wäre, was er beginnen solle. William aber nahm einen Stein von der Erde auf und that, als ob er den Hund damit werfen wolle. Nun lief Remus fort, blieb aber in einer kleinen Entfernung stehen, und guckte noch einmal unentschlossen zurück.

»Fort, Remus! Fort! Willst du nach Hause!« schrie William, und hob drohend einen zweiten Stein auf.

Nun aber verstand ihn der kluge Hund, drehte um, und rannte, so schnell seine flüchtigen Beine ihn tragen wollten, durch die Kokoswaldung davon.

»Na, fort wär' er!« sagte William, als er sich wieder zu Hurtig begeben hatte. »Ich bin nun nur neugierig, ob er nach Hause kommen wird.«

»Das müssen wir abwarten, mein Junge,« erwiederte Hurtig. »Aber wie ist's? Wollen wir wieder an die Arbeit gehen, und die Sachen vollends herauf schaffen?«

»Gewiß! Wo wollen wir sie aufstapeln?«

»Im Vorrathshause, William. 'S ist ein schwer Stück Arbeit, denn die Nageltönnchen und dort die Kisten sind verteufelt gewichtig, und werden uns viele Mühe machen. Bei alledem haben wir noch drei bis vier Stunden Tag, und werden also wohl noch zu rechter Zeit fertig werden.«

*


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