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25. Kapitel.
Die Beeren.

Herr Seagrave und Hurtig schritten an der Bucht entlang bis zur Stelle, welche Robinson bereits als zu Anlegung eines Gartens am geeignetsten ausgesucht hatte. Sie fanden daselbst einen ganz vortrefflichen Boden. Der felsige Grund war, wenn auch nicht sehr hoch, doch hinreichend mit fruchtbarer Dammerde bedeckt und die Landzunge an dieser Stelle so schmal, daß es nur eines kleinen Zaunes bedurfte, um die Ziegen und Schafe von einem unzeitigen und unerwünschten Besuch des Gartens abzuhalten.

»Für den Nothfall,« sagte Robinson nach einer genauen Besichtigung des Ortes, »können wir, lieber Herr Seagrave, mit der Aufführung des Zaunes warten, bis die Regenzeit vorüber ist, und während derselben die nöthigen Pfähle zurecht schnitzeln, wozu wir Platz und Zeit genug haben werden. Die Sämereien und Kartoffeln gehen erst auf, wenn das schöne Wetter wieder eintritt, und ehe sie aus dem Boden hervordringen, ist das Stacket längst gemacht. Wir haben jetzt blos das Buschwerk wegzuschaffen, was, da das Erdreich sehr locker ist, keine große Mühe macht, und müssen nachher bald möglichst unsere Aussaat dem mütterlichen Boden anvertrauen.«

»In einer einzigen Woche,« sagte Herr Seagrave, »grabe ich allein, wenn wir den Zaun bis nach der Regenzeit ruhen lassen, so viele Beete um, wie wir irgend mit unseren kleinen Vorräthen bestellen können.«

»Das glaube ich selbst,« erwiederte Hurtig, »da wir nur das kleine und niedrige Strauchwerk auszuroden brauchen, und die wenigen großen Bäume ruhig stehen lassen können. Hier könnte sogar Tommy helfen, wenn er die Stauden, die Sie ausgraben, auf die Seite brächte. Wir wollen ihn später dazu gebrauchen, und wenn es Ihnen recht ist, jetzt in den Wald gehen und den Platz auslesen, wo die Bäume gefällt werden sollen. Eine Stelle habe ich mir schon gemerkt. Sie liegt nur etwa hundert und fünfzig Schritte seitwärts von den Zelten im Walde, und ist wegen der geringen Entfernung selbst einer Besseren, die wir auffinden könnten, vorzuziehen.«

Sie spazierten auf die Stelle zu, und gelangten nach kurzer Wanderung auf einen kleinen Hügel, wo die Bäume so dicht neben einander gedrängt standen, daß sie sich nur mit Mühe zwischen ihnen durchwinden konnten.

»Hier ist der Ort, den ich meine,« sagte Hurtig, »und ich schlage vor, alle Balken, die wir zu unserem Hause nöthig haben, hier auszuhauen und auf diese Weise einen viereckigen Platz herzustellen, in dessen Mitte wir Raum für unsere Vorrathskammern gewinnen. Ich habe dabei noch eine besondere Absicht. Für den Fall der Noth nämlich könnten wir diesen Ort mit geringem Aufwande von Mühe in Vertheidigungszustand versetzen, und ihn durch Pallisaden zu einer Art von Festung umgestalten. Wenige Pfähle, zwischen die Bäume eingeschlagen, würden genügen, diesen Zweck zu erreichen.«

»Sehr wahr und klug gedacht, lieber Robinson,« erwiederte Herr Seagrave auf diesen Vorschlag; »doch will ich hoffen, daß wir diese friedliche Stelle nie zu solchem Zwecke gebrauchen werden.«

»Das hoffe ich selbst,« sagte Hurtig, »und denke auch nicht daran, Hand an das Werk zu legen, so lange wir noch so, wie eben jetzt, mit Geschäften überhäuft sind. Bei alledem aber geht nichts über gehörige Vorsicht, und später müssen wir uns auf jeden Fall einen zweckmäßigen Rückzug und Vertheidigungsplatz sichern. Doch mein Magen meldet sich, und das Mittagsessen wird fertig sein; lassen Sie uns deßhalb langsam wieder zu den Zelten schlendern, und gleich nach Tische unsere Arbeiten beginnen. Ein Anfang muß immer gemacht werden, wenn er auch noch so klein ist.«

Sie trafen mit Juno und William beim Mittagsessen, das Madame Seagrave bereitet hatte, zusammen. Die Beiden waren von ihrer anstrengenden Arbeit sehr erhitzt; ihr Eifer jedoch, den Teich zu vollenden, hatte mehr zu- als abgenommen, da der gute Erfolg ihrer Bemühungen sie ungemein erfreute.

Tommy aber war mittlerweile während des ganzen Vormittags sehr unartig gewesen, hatte seine Aufgabe nicht gelernt, und obendrein der kleinen Karoline mit einem Stücke glimmenden Zunders die Hand verbrannt. Sein ungezogenes Betragen wurde natürlich dem Vater mitgetheilt, und dieser verurtheilte ihn in die Strafe, fasten zu müssen, während die Uebrigen sich das gut zubereitete Mittagsmahl schmecken ließen. Stumm und mürrisch nahm Tommy seinen Platz am Tische ein, und stierte mit gierigen Augen die Speisen an, von deren Genusse er ausgeschlossen sein sollte. Man sah ihm an, daß er sehr hungrig war; aber dennoch beharrte er in einem kindischen starrsinnigen Trotze, und verlangte weder zu essen, noch bat er, wie es sich für ein gesittetes Kind geziemt hätte, die Eltern um Verzeihung für seine Unarten.

Nach Tische ersuchte Madame Seagrave ihren Mann, den Knaben mit sich zu nehmen, da sie wegen überhäufter Geschäfte ihn nicht so gut, wie den kleinen Albert und Karoline beaufsichtigen könne. Augenblicklich nahm Herr Seagrave Tommy bei der Hand, griff nach einem Spaten und einer kleinen Haue, und ging die Landspitze hinunter zu dem Orte, wo der Gartenplatz zurecht gemacht werden sollte. Hier befahl er dem Knaben, sich ruhig in der Nähe niederzusetzen, und begann darauf mit vielem Eifer das wuchernde Strauchwerk auszuroden und umzuhacken.

Wenn Herr Seagrave ein Stückchen Land von den Büschen gesäubert hatte, so ließ er diese von Tommy auf die Seite schaffen und in einen Haufen übereinander schichten. Tommy that es, aber nur mit großem Widerwillen, da er sich noch immer in äußerst übler Laune befand. Späterhin legte jedoch Herr Seagrave die Haue weg, griff nach dem Spaten, um das vom Gesträuch gesäuberte Land umzugraben und das Wurzelwerk herauszuschaffen, überließ Tommy seinem eigenen Vergnügen, und kümmerte sich in der nächsten Stunde fast gar nicht um ihn, da er sehr eifrig seinem Geschäfte oblag. Plötzlich aber ward er durch ein heftiges Geschrei des Knaben aufgeschreckt, lief zu ihm, und fragte mit väterlicher Besorgniß, was ihm zugestoßen sei. Tommy gab keine Antwort, sondern schrie nur noch mehr, legte zuletzt seine Hände auf den Bauch und heulte ganz mörderlich. Es war nicht zu verkennen, daß er große und heftige Schmerzen leiden müsse, und Herr Seagrave ließ deßhalb in der Angst seines Herzens Alles stehen und liegen, und geleitete den Knaben nach den Zelten, wo er auch seine Mutter durch sein Geheul in die größeste Bestürzung versetzte. Sie fragte ihn ebenfalls, was ihm fehle, aber Tommy verweigerte jede Antwort, und öffnete den Mund nur, um immerwährend fortzuschreien, so daß seine Eltern die Ursache und den Sitz seiner Schmerzen nicht zu errathen vermogten. Endlich kam auch der alte Hurtig, der das Gebrüll Tommy's in der Ferne gehört hatte, herbei gerannt, und ließ sich von den bestürzten Eltern erzählen, was vorgegangen sei.

»Der unartige Junge hat irgend Etwas gegessen, was ihn krank gemacht hat,« sagte er ohne Besinnen. »Erzähle mir, Tommy, was hast du genascht, als du unten auf der Landspitze warst?«

»Beeren!« heulte Tommy.

»Hab's doch gedacht, Madame Seagrave,« sagte Hurtig. »Ich muß nur schnell hinlaufen und untersuchen, was für Beeren es gewesen sein mögen.«

Mit schnellen Schritten eilte er an den Ort hinab, wo Herr Seagrave gearbeitet hatte, während die arme Mutter des unartigen Jungen in ihrer Todesangst glaubte, der Knabe habe sich vergiftet und müsse nun sterben. Ihr Gemahl rannte davon und suchte in der Hausapotheke nach einem Arzneimittel.

Hurtig kehrte in dem Augenblicke zurück, als auch Herr Seagrave mit einer mächtigen Medicinflasche in das Zelt trat, und dem Knaben ein Brechmittel eingeben wollte. Hurtig hielt ihn davon zurück.

»Geben Sie dem Burschen nichts, als ein wenig warmes Wasser,« sagte er. »Tommy hat nichts weiter verschluckt, als ein paar Körner vom Ricinusstrauche, und die haben ihm Schmerzen verursacht und unwohl gemacht. Sag' selbst, Tommy,« wandte er sich an diesen und hielt ihm einen abgebrochenen Zweig eines Ricinusstrauches vor, »sag' selbst, hast du nicht solche Beeren gegessen, wie hier an dem Strauche sitzen?«

»Ja! ja!« heulte Tommy, und legte beide Hände auf seinen Bauch.

»Nun, da haben wir's, Madame Seagrave,« sagte Hurtig;

»Sie brauchen sich weiter nicht zu ängstigen. Es ist eben kein großes Unglück geschehen, und die Schmerzen werden den Kleinen lehren, künftighin weder Beeren noch sonst eine Frucht anzurühren, deren Unschädlichkeit ihm nicht zur Genüge bekannt ist.«

Der Erfolg lehrte, daß Hurtig recht hatte. Tommy aber befand sich den ganzen Tag sehr übel, und mußte bald zu Bette gebracht werden.

*


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