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53. Kapitel.
Der Postbote.

Sobald die ganze Ladung mit manchem sauern Schweißtropfen heraufgeschafft worden war, befestigten unsere beiden Freunde sorgfältig das Boot am Ufer, und gingen dann nach dem Hause hinauf, um sich schlafen zu legen. Eben aber, als sie die Thür öffnen wollte», kam Remus mit einem Briefe um den Hals wieder auf sie zugesprungen.

»Da, William!« rief Hurtig, »da ist der Hund. Der hat keine Lust, wie's scheint, nach Hause zu laufen.«

»I, das ist ja ärgerlich!« sagte William voller Verdruß. »Ich glaubte schon ganz gewiß, daß er hinüber wäre, und sehe mich nun so gänzlich getäuscht. Aber warte, Remus! du sollst nun auch so lange nichts zu fressen kriegen, bis du von selber nach Hause rennst! – Doch, Himmel! was ist das? Hurtig, das ist das Papier nicht, was ich ihm um den Hals band! Laß sehen, Remus! Komm her, mein Hundchen!«

Remus kam schwanzwedelnd herbei, William nahm ihm den Zettel ab, öffnete ihn, und las voller Freude:

Lieber William!

Dein Brief ist glücklich angekommen, und wir sind sehr erfreut, daß es Euch wohl geht. Schreib' jeden Tag! Gott segne dich! Sehr hübsch ist's, daß du den braven Remus zum Postboten gemacht hast.

Deine zärtliche Mutter Selma Seagrave.

»Nein, das ist wirklich allerliebst!« rief der alte Hurtig. »Ich glaubte wahrlich nicht einmal, daß er gehen würde, und nun bringt das gute Thier gar noch eine Antwort wieder!«

»Komm her, mein Hundchen!« sagte William vergnügt, indem er das gehorsame Thier liebkoste. »Komm her, alter Bursch! du hast deine Sache vortrefflich gemacht, und sollst dafür ein vortreffliches Abendbrod haben! Komm, mein gutes Viehchen, du hast es reichlich verdient!«

»Ja, ja, das hat er, William,« rief Hurtig aus. »Es war übrigens wirklich ein trefflicher Gedanke von dir, auf diese Weise eine regelmäßige Postverbindung einzurichten, und sie kann sich uns noch äußerst nützlich beweisen.«

»Auf alle Fälle gereicht sie meiner Mutter, zu einer großen Beruhigung,« sagte William; »und das ist schon viel werth.«

»Ja freilich, lieber Junge!« bestätigte Hurtig. »Besonders wenn wir erst an's Magazin gehen und die beschlossenen Veränderungen in's Werk richten müssen. Denn alsdann muß auch dein Vater und Juno herüber kommen, und da würde deine gute Mutter Sorge genug ausstehen, wenn wir den Hund nicht hätten. Aber nun laß uns in die Federn kriechen, William! Morgen früh müssen wir, wie man in England zu sagen pflegt, schon mit den Lerchen wieder auf sein.«

»Und hier zu Lande mit den Papageien, Hurtig, da's weiter keine Vögel auf der Insel gibt« – erwiederte William lächelnd.

»Halt, alter Junge! du vergißt die Tauben und die Hühner. Aber 's ist Alles eins, früh heraus müssen wir auf jeden Fall. – Gute Nacht, William!«

Am andern Morgen brachen sie schon vor dem Frühstück auf, und fanden mit Vergnügen, daß sie heute nicht so angestrengt als gestern zu rudern brauchten, da der Wind weniger frisch und heftig wehete. Sie schafften eine tüchtige Ladung an Bord, und fuhren unter aufgehißtem Segel zurück. Dann frühstückten sie, ließen, um keine Zeit zu verlieren, die herausgetragenen Sachen einstweilen am Ufer liegen, machten sich von Neuem auf den Weg, und kamen mit einem zweiten Transport, noch ein paar Stunden vor Einbruch der Nacht, in die Bay wieder zurück. Die Ladung wurde schnell ausgeschifft, das Boot am Strande befestigt, und unsere Freunde begaben sich nach dem Hause. Hier schrieb William folgendes Briefchen:

Liebe Mutter!

Wir haben heute zwei Ladungen herüber gebracht. Alles steht wohl, aber Hurtig und ich sind gewaltig müde.

Dein William.

Der Brief wurde wie gestern dem Hunde um den Hals gebunden, und Remus bedurfte heute keiner weiteren Belehrung. William klopfte ihn freundlich auf den Rücken, sagte: »Remus, fort! Lauf nach Hause, gutes Thier!« und der Hund rannte schwanzwedelnd und vergnügt in raschem Laufe davon. Ehe die Zurückbleibenden im Bette lagen, war er schon wieder mit einer Antwort zurück.

»Nein, wie schnell muß das gute Thier gelaufen sein, Hurtig!« rief William verwundert aus. »Kaum zwei Stunden ist es unterwegs gewesen.«

»Ja, Remus hat flinke Beine,« erwiederte Robinson. »Aber was schreibt deine Mutter?«

»Weiter nichts, als Alles ist wohl! Wir wollen den Boten nicht aufhalten;« entgegnete William. »Doch komm nun, Remus! du sollst ein anständiges Abendbrod bekommen, und gehörig gehätschelt und geschmeichelt werden. Komm her, du kleines, gescheites, gutes Thier!« –

Da am nächsten Tage die gestrigen Ladungen in das Haus hinauf geschafft werden mußten, so konnten Hurtig und William nur Eine neue Ladung aus der Rettungsbucht herüber holen. Gegen Abend wurde der Briefträger nach den Zelten abgeschickt, und die Antwort kam, wie früherhin, richtig zurück.

Am Sonnabend wurde ebenfalls nur Eine Fahrt gemacht, da unsere Freunde an diesem Tage nach den Zelten zurückkehren wollten. Ehe sie aber dahin absegelten, schafften sie erst noch eine Schildkröte in's Boot, und machten sich dann auf den Weg. Glücklich langten sie im kleinen Hafen an, und fanden daselbst die ganze Familie versammelt und zu ihrem Empfange bereit.

»Willkommen, Hurtig! willkommen, William!« rief Madame Seagrave den Nahenden entgegen. »Du hast dein Versprechen trefflich gehalten, lieber Sohn, und mir Briefe geschickt, die nicht einmal Porto gekostet haben. Es war mir wirklich äußerst angenehm und überraschend, und künftig werde ich keine Furcht haben, wenn Ihr auch Alle mit einander mich verlassen müßt.«

»Nun, wenn es dir Spaß macht, Mütterchen, so will ich Romulus und Vixen eben so abrichten,« erwiederte William, herzlich erfreut.

»Und ich will die jungen Hunde abrichten, und dann auch Briefe schreiben!« rief Tommy.

»Gut, gut, Naseweis!« sagte Hurtig lachend. »Bis du schreiben gelernt hast, werden die jungen Hunde wohl alt genug sein, um deine Briefe tragen zu können. Aber komm doch einmal her! Ich sehe, dein Gesicht ist noch immer nicht wieder ganz gut, und ich denke drum, daß du fortan keine todten Schweine mehr schießen wollen wirst. Was?«

»Nein, das will ich bleiben lassen!« erwiederte Tommy. »Aber essen will ich desto mehr davon, wenn Ihr wieder eins todt macht.«

»Das ist ein gescheiter Vorsatz von dir, Sohnemann!« sprach Hurtig, und wendete sich zum kleinen Albert. »Komm her, mein Schatz,« sagte er zu ihm. »Komm, Albert, ich will dich hinauf an die Zelte tragen. Wir haben ohnehin seit lange schon kein Späßchen zusammen gemacht. Hucke dich auf – so! Und nun, Herr Seagrave, wie steht's mit dem Graben und der Hecke?«

»Recht gut, Hurtig!« erwiederte Herr Seagrave. »Zwei Seiten sind schon beinahe vollendet, und ich denke gewiß in der nächsten Woche mit dem ganzen Gehäge fertig zu werden.«

»Na, lieber Herr, da müssen Sie furchtbar gearbeitet haben,« sagte Hurtig. »So arg dürfen Sie sich nicht mehr anstrengen, da ja die ganze Sache keine so große Eile hat. William und ich können Ihnen später auch helfen.«

»Arbeit ist einmal meine Pflicht, Hurtig, und, wie ich wohl sagen kann, auch mein Vergnügen,« erwiederte Herr Seagrave. »Aber geht ein bischen schneller, Kinder; das Abendbrod ist schon fertig!«

Während des Nachtessens wandte sich das Gespräch auf Remus, und die Klugheit und Geschicklichkeit des treuen Hundes ward von Allen höchlich belobt. Herr Seagrave nahm die Gelegenheit wahr, einige Beispiele von dem Scharfsinne verschiedener Thiere zum Besten zu geben, und erzählte mancherlei Anziehendes von ihren verschiedenen Eigenschaften, als er von William durch die Frage unterbrochen ward, »worin eigentlich der Unterschied zwischen Vernunft und Instinkt bestünde?«

»Ehe ich diese Frage beantworte,« erwiederte Herr Seagrave, »muß ich bemerken, daß man bisher immer behauptet hat, der Mensch würde allein durch die Vernunft, das Thier aber nur durch den Instinkt geleitet. Dieß ist ein Irrthum. Dem Menschen ist Vernunft sowohl, wie auch Instinkt eigen, und die Thiere besitzen außer dem Instinkte wenigstens eine gewisse Urtheilskraft.«

»Inwiefern zeigt der Mensch, daß er auch durch den Instinkt geleitet wird?« fragte William.

»Das ganz kleine Kind z. B., folgt nur den Eingebungen seines Instinktes, da seine Vernunft noch nicht entwickelt ist,« erwiederte Herr Seagrave. »Je nachdem es größer wird, wachsen auch seine geistigen Fähigkeiten, bilden sich nach und nach aus, und gewinnen am Ende über den Instinkt, in gleichem Maße, wie dieser sich vermindert, die Oberhand.«

»Dann würde also im gereiften Alter keine Spur von Instinkt zurückbleiben können?«

»O doch, mein Sohn; der Instinkt ist dem Menschen zu tief eingepflanzt, als daß er, so lange er lebt und athmet, jemals von ihm verlassen werden könnte. Er zeigt sich in der Furcht, nicht vor dem Tode selbst, sondern vor einer gänzlichen Vernichtung, vor einem Zurücksinken in das Nichts nach dem Tode. Dieß instinktartige Gefühl wurzelt tief in unserem Innern, und gibt uns die Gewißheit, daß unsere Seelen im Jenseits fortleben werden, wenn auch der Körper in Staub und Asche zerfällt. Wir können es den sichersten Beweis eines zukünftigen Lebens nennen.«

»Sehr wahr und richtig, Herr Seagrave!« bemerkte Hurtig.

»Der Instinkt der Thiere nun, William,« fuhr Herr Seagrave fort, »beruht in einem dunkeln Gefühle, welches sie zwingt, ihre Handlungen gedankenlos und ohne vorherige Ueberlegung auszuführen. Von dem Augenblicke ihrer Geburt an ist er in seiner vollsten Kraft. Der Allmächtige hauchte ihn den Thieren ein, er leitet sie dadurch, und eben deßhalb ist also der Instinkt schon von Beginn der Welt an vollkommen ausgebildet gewesen, und hat sich bis auf den heutigen Tag niemals verändern können. Heute noch baut die Schwalbe ihr Nest, zieht die Spinne ihr Gewebe, formt die Biene ihre Zellen genau so, wie vor tausend und aber tausend Jahren, in derselben Regelmäßigkeit und Schönheit, mit derselben Zweckmäßigkeit. Erstaunenswürdig ist namentlich die Form der Bienenzellen, die eins der größten Wunder des Instinkts ist. Genaue Untersuchungen haben bewiesen, daß nur allein durch die regelmäßige Gestalt derselben, wie sie in jedem Bienenstocke vorliegt, die größtmöglichste Ersparniß an Zeit, Arbeit und Stoff gewonnen werden kann. Ueberhaupt lassen sich die Wunder des Instinktes besonders an solchen Geschöpfen beobachten, die heerdenweise oder in großen Gesellschaften zusammen leben.«

»Wie kommt das, Vater? Erkläre es mir,« sagte William.

»Nun, betrachte z. B. die verschiedenen Arten von Vögeln, die Schwalben, die wilden Tauben, die Mandelkrähen und Raben, und die Kraniche. Der Instinkt leitet sie, gleich dem besten Wegweiser, auf dem geradesten Wege von einem Theile der Welt in den andern; er lehrt sie eine Flugweise, bei welcher sie am besten den Widerstand der Luft überwinden können; er weist jedem einzelnen Vogel mit der größten Genauigkeit und Sicherheit den Platz an, welchen er in der fliegenden Schaar einnehmen muß; er lehrt sie Schildwachen auszustellen, die Lärm machen und die Schlafenden aufwecken müssen, wenn eine Gefahr herannaht; und noch viel Anderes mehr. – Das Alles ist höchst wunderbar, aber trotzdem immer nur das Ergebniß des reinen, angebornen Instinktes, den man, wie bei den Vögeln, so auch bei den vierfüßigen Thieren beobachten kann.« –

»Wie ist's nun mit den Thieren, die in großen Gesellschaften zusammen leben, Vater?«

»Zu diesen gehören die Ameisen, die Bienen und viele andere Insektenarten, so wie auch, unter den Quadrupeden, die Biber. Nichts ist bewundernswerther, als die Genauigkeit ihrer Arbeiten, die Art und Weise ihres Verkehrs, und die sorgfältige Pflichterfüllung jedes einzelnen Thierchens.«

»Aber ist dieß Alles die Frucht des bloßen Instinktes, Vater? du sagtest doch vorhin, daß die Thiere auch Urtheilskraft hätten? Wie geben sie letztere zu erkennen? Bitte, das erkläre mir.«

»Sehr gern, mein guter William – doch glaube ich, thun wir besser, diese Erörterung auf einen andern Abend zu verschieben. Es ist schon spät geworden, und wir müssen zu Bette gehen. Sieh nur, wie Tommy gähnt! Und Karoline schläft schon.«

»Ja, ja, ich sehe wohl, daß Beider Vernunft und Instinkt mir vollkommen entgegen ist!« versetzte William mit herzlichem Lachen. »Da werd' ich wohl warten müssen, obgleich ich sehr gespannt auf deine ferneren Mittheilungen bin, liebster Vater.«

»Und auch ich,« setzte Hurtig hinzu. »Trotzdem bin ich über die Verzögerung nicht böse, indem ich durch sie Zeit gewinne, über das Vernommene nachzudenken. Es ist viel zu bewundern dabei.«

»Wie bei Allem, Hurtig, wenn wir die Werke Gottes betrachten. – Gute Nacht!«

*


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