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60. Kapitel.
Hurtig entdeckt Indianer.

Im Laufe der nächsten Woche besserte Robinson Hurtig das Boot aus, während Herr Seagrave und William das Gartenland umgruben, und im Hause große Wäsche gehalten ward. Madame Seagrave und Juno, so wie die kleine Karoline arbeiteten mit regem Eifer, und sogar Tommy wußte sich dabei nützlicher als jemals zu machen. Er trug Wasser herbei, so oft es verlangt wurde, und nahm in den Zwischenzeiten den kleinen Albert unter seine Obhut. Er zeigte sich in der That so fleißig, daß seine Mutter ihn gegen den Vater höchlich belobte, und Tommy ordentlich stolz darauf wurde.

Am Montage fuhren William und Hurtig in den kleinen Hafen nach der Südseite hinüber, und fanden nicht nur die zurückgelassenen Thiere im besten Stande, sondern bemerkten auch mit Vergnügen, daß ihre Anzahl sich nicht unbedeutend vermehrt hatte. Von den Bananen und Guyaven waren schon viele überreif und eingetrocknet, doch blieben noch immer genug übrig, um die Hälfte des Bootes damit anfüllen zu können. Die Schweine hatten nicht mehr vermogt, in das Yamsfeld einzubrechen, und die Zelte fanden sich in der genügendsten Ordnung.

»William,« sagte Hurtig, »wir können wirklich nichts Besseres thun, als die Thiere lassen, wo sie sind. Wenn es Stürme und Regengüsse gibt, finden sie im nahen Kokoswalde Schutz, und Futter ist hier mehr als genug.«

»Der Meinung bin ich auch,« erwiederte William.

»Die Zelte,« fuhr Hurtig fort, »müssen wir nach ein paar Tagen abbrechen, und zu diesem Geschäfte noch einmal herüber fahren. Während der Regenzeit dürfen sie nicht stehen bleiben. Aber wie ist's jetzt, wollen wir wieder nach Hause, lieber Junge?«

»Ja, Hurtig, mir ist's recht, und Tommy wird sich nicht wenig über unsere Ladung freuen, wenn wir ankommen;« erwiederte William. »Doch wollt Ihr nicht erst noch ein paar Yamswurzeln ausgraben?«

»Freilich, freilich, William! Sieh, die hatte ich ganz vergessen! Warte, ich will gleich einen Spaten holen – im nächsten Zelte muß einer stehen!«

Sie gruben die Wurzeln aus, legten sie in's Boot, und machten sich dann auf den Rückweg. Ehe sie aber noch die Bau erreichten, überzog sich der Himmel mit dunkeln Wolken, und ein Sturm drohte heran. Doch regnete es erst, als sie bereits gelandet hatten, und nur ein kleiner, bald vorübergehender Schauer verkündete den Anfang der Regenzeit.

Die mitgebrachten Früchte wurden von Allen willkommen geheißen, da sie nun seit langer Zeit schon keine mehr genossen hatten. Tommy besonders fiel mit solchem Heißhunger darüber her, und verschlang sie mit solcher Hastigkeit, daß sein Vater ihm endlich befehlen mußte, auch nicht eine einzige mehr zu genießen.

Der folgende Tag war wieder wunderschön, und der gefallene Regen schien die ganze Natur wahrhaft erfrischt zu haben. William und Hurtig beschlossen sogleich, das schöne Wetter zu benutzen und am nächsten Morgen wieder nach der Südseite hinüber zu fahren, um die Zelte und so viel Yams, als das Boot irgend tragen könne, herüber zu holen. Gegen Abend aber gingen sie aus, wie gewöhnlich, und schritten an den Strand hinab. Hier bemerkte Hurtig, daß der Wind nach Osten umgesprungen war.

»Das ist übel wegen unserer morgigen Fahrt, Hurtig,« sagte William. »Hinwärts freilich haben wir guten Wind, aber auf dem Heimwege, gerade mit schwer beladenem Boote, werden wir mühsam rudern müssen.«

»Ich will wünschen, daß dieser Wind nichts Schlimmeres bringen möge,« erwiederte Hurtig. »Aber laß uns nach Hause und zu Bette gehen, denn schon mit Tagesanbruch müssen wir wieder heraus. Doch brauchst du auch nicht mitzufahren, wenn du keine Lust hast, William.«

»O doch, die habe ich, und muß also auch früh aus den Federn,« entgegnete der Knabe.

»Gut, mein Junge!« sagte Hurtig; »es freut mich um so mehr, wenn du mich begleiten willst.«

Ehe am nächsten Morgen der Tag graute, öffneten Hurtig und William schon die Pallisadenthür, und begaben sich an den Strand hinab. Noch stand der Wind aus Osten, und blies frisch und scharf. Der Himmel war zum Theil mit Wolken überzogen.

Als die Sonne aufging, griff Hurtig zu seinem Fernrohre, das er, wie immer, bei sich trug, und schaute damit auf das offene Meer hinaus. Lange Zeit hielt er das Rohr unbeweglich vor dem Auge, und starrte, ohne ein Wort zu sprechen, immer auf einen und denselben Fleck.

»Bemerkt Ihr Etwas, Hurtig?« fragte William endlich. »Ihr schaut so lange nach Einer Richtung hinüber.«

»Leider ja, William, wenn meine alten Augen mich nicht trügen;« erwiederte Hurtig seufzend. »In wenigen Minuten muß sich's entscheiden.«

Gegen Osten zog sich ein dunkler Streif von Wolken am Horizonte hin, und verdüsterte in Etwas die Aussicht. Sobald sich aber die Sonne darüber erhob, wußte Hurtig, der noch immer das Fernrohr in der Hand hielt, daß er sich nicht getäuscht habe.

»Nun, William,« sagte er, »leider Gottes hab' ich Recht. Ich dachte gleich, daß die dunkeln Flecke, die ich sah, ihre braunen Mattensegel wären.«

»Was für Segel, Hurtig?« fragte William hastig.

»Die Segel der Indianer-Kanoe's, mein Junge!« erwiederte Hurtig. »Ich wußte recht gut, daß sie kommen würden. Da, nimm das Glas, und schau selber ein bischen. Meine Augen sind von der langen Anstrengung schon ganz trübe.«

»Ah, da sind sie! Ich habe sie, Hurtig!« rief William, indem er durch das Teleskop schaute. »Es sind gewiß ihrer dreißig oder vierzig.«

»Und jedes mit zwanzig bis dreißig Mann Besatzung, William!« fügte Hurtig mit finsterem Ernste hinzu.

»Gott im Himmel, was machen wir da!« rief William. »Wie angst wird meine Mutter werden, Hurtig, denn gegen solche Menge läßt sich nichts ausrichten.«

»O doch, mein Junge,« erwiederte Robinson gefaßt. »Es kann viel gethan werden, und es muß viel gethan werden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß wir hier Hunderte von Wilden vor uns sehen; aber erinnere dich auch, daß wir erstens gute und starke Pallisaden haben, die sie nicht so leicht überspringen werden, und daß wir zweitens mit Feuergewehr und Munition zur Genüge versehen sind. Wenn wir tapfern und entschlossenen Widerstand leisten, so schlagen wir sie vermuthlich zurück, da sie nichts als Keulen und Spieße besitzen.«

»Wie lange dauert's wohl noch, bis sie heran sind, Hurtig?« fragte William. »Können sie in einer Stunde schon hier sein?«

»Nein, William,« entgegnete Robinson; »kaum in zwei Stunden, da sie, wie ich sehe, lauter große Kanoe's haben. Trotzdem aber dürfen wir keine Sekunde Zeit verlieren. Während ich hier noch ein bischen Acht gebe, um Alles genau zu erforschen, könntest du hinauf laufen, deinen Vater bitten, zu mir zu kommen, nachher die Gewehre zurecht machen, und die Pulverfässer und fertigen Patronen aus dem alten Hause hinter die Pallisaden schaffen. Laß dir von Juno helfen, und übereile dich nicht; wir haben noch Zeit genug, um Alles in gehörigen Stand zu setzen. Wenn Ihr fertig geworden seid, dann kommt herunter und schließt Euch an uns an. Hörst du, William?«

»Ja, ja, Hurtig!« rief der Knabe und rannte davon. Wenige Minuten nachher erschien Herr Seagrave.

»Hurtig, es ist irgendwo Gefahr im Anzuge,« sagte er. »William wollte nicht mit der Sprache heraus, weil er vermuthlich seine Mutter zu ängstigen fürchtete, aber ich sah ihm Alles an den Augen ab. Was gibts, alter Freund?«

»Weiter nichts, Herr Seagrave,« erwiederte Robinson, »als daß eben jetzt die Wilden in einem Gewalthaufen von fünf bis sechs hundert Mann gegen uns anrücken, und daß wir uns nun mit der möglichsten Kraft und Tapferkeit vertheidigen müssen.«

»Glaubt Ihr irgend einen Vortheil über solche Uebermacht erringen zu können, Hurtig?« fragte Herr Seagrave bestürzt.

»Warum nicht?« erwiederte Robinson. »Ich hege sogar keinen Zweifel, daß wir die Bande zurückschlagen werden. Nur wird's freilich vorher, ein paar Tage wenigstens, scharf hergehen.«

Herr Seagrave griff nach dem Teleskope, und richtete es in die Ferne, um die heransegelnde Flotte in näheren Augenschein zu nehmen.

»Wahrlich es ist eine furchtbare Uebermacht, die wir bekämpfen müssen!« sagte er seufzend.

»Das ist wahr, Herr Seagrave,« entgegnete Hurtig, »und es wäre Thorheit, es läugnen zu wollen; – aber drei Musketen hinter den Pallisaden sind zum Mindesten eben so viel werth, als alle ihre hölzernen Spieße und Keulen. Nur darf Keiner von uns verwundet und kampfunfähig gemacht werden.«

»Hurtig, ich sehe, wir müssen unser Vertrauen auf Gott setzen, und unser Bestes zu thun versuchen,« sagte Herr Seagrave. »Ich für mein Theil will Euch nach Kräften unterstützen, und William wird sicherlich ebenfalls seine Schuldigkeit thun. Ich fechte für Weib und Kind, und das wird meinen Arm stählen, – Ihr aber, Hurtig, Ihr kennt solche Bande nicht!«

»Nein, lieber Herr, das nicht,« erwiederte Robinson; »aber ich werde für mein Leben fechten, das ich am wenigsten durch der Indianer Hände verlieren mögte, und dann auch für Sie und für Ihre Familie, der ich von ganzem Herzen zugethan bin. Zählen Sie auf mich, Herr Seagrave. Jetzt aber würden wir besser thun, an die Arbeit zu gehen, anstatt hier noch länger unthätig zu harren. Wir müssen noch einige von den starken Balken an der inneren Seite der Pallisaden befestigen, damit wir bei einem Angriffe uns darauf stellen und beobachten können, was der Feind draußen beginnt. Zunächst aber wollen wir uns zum alten Hause begeben, und von Mundvorräthen, so wie andere Sachen, die wir am nöthigsten gebrauchen, hinter die Pallisaden schaffen, was irgend möglich ist. Denn Sie können sich darauf verlassen, Herr Seagrave, daß die Wilden zuerst nach dem Hause gehen und Alles zerstören werden, was in ihren Bereich kommt. Die Fässer z. B. gewiß, schon der eisernen Reifen wegen. Wenn wir uns ein wenig beeilen, können wir in einer Stunde, da die Entfernung nicht groß ist, viel thun. Alles Uebrige, was wir sonst noch bedürfen werden, haben wir schon in den Pallisaden. Juno hat für Brennholz gesorgt, das große Wasserfaß reicht wenigstens für ein paar Wochen hin, und an Mundvorrath mangelt es auch nicht. Doch kann ich für den Nothfall noch ein paar Schildkröten holen.«

»Aber was soll dann aus unserem Teiche werden, Hurtig?« fragte Herr Seagrave. »Wir würden die Schildkröten späterhin sehr vermissen.«

»Es ist immer besser, wir essen sie, als die Wilden,« antwortete Robinson. »Wenn's möglich ist, hole ich sie Alle. Wenn wir sie nicht essen, schadet es nicht, denn sie leben, wenn wir sie an einem schattigen Orte auf den Rücken legen, mehrere Wochen.«

Sie begaben sich jetzt nach dem neuen Hause und fanden hier, daß William und Juno bereits alles Pulver und die Patronen herauf geschafft hatten. Herr Seagrave begab sich sogleich zu seiner Gattin, um sie zu trösten und zu beruhigen, indem er fürchtete, daß sie von dem unwillkommenen Ereignisse nicht wenig erschreckt worden sein mögte.

»Beunruhige dich meinetwegen nicht, lieber Mann,« unterbrach Madame Seagrave ihren Gatten schon bei den ersten Worten. »Die Ankunft der Indianer kommt mir nicht unerwartet, da ja schon öfters die Rede davon gewesen ist. Was eine schwache Frau vermag, dem Ungewitter zu widerstehen, werde ich thun, und lebhaft fühle ich, daß es mir nicht an Muth mangeln wird, meine geliebten Kinder zu vertheidigen.«

»Das freut mich herzlich, und erleichtert mich sehr,« sagte Herr Seagrave. »Bleibe so gefaßt und ergeben, und ich werde keine Bangigkeit fühlen und mit Freuden wieder an die Arbeit gehen.«

»Komm, lieber Mann, ich will dir helfen, und, was mir an Kraft abgeht, durch regen Eifer zu ersetzen suchen.«

Beide schlossen sich ohne Zögern dem alten Hurtig, William und Juno an, und Alle begaben sich sofort zum alten Hause hinüber. Die Kinder schliefen noch ruhig, und es brauchte deßhalb Niemand zu ihrer Obhut zurückzubleiben.

*


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