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42. Kapitel.
Die Entdeckungsreise.

Der Morgen des andern Tages dämmerte kaum, als unsere Freunde schon wach und munter waren, und früher als gewöhnlich ihr Frühstück einnahmen. Die gebratenen Fische, welche aufgetragen wurden, schmeckten vortrefflich, aber Tommy wäre beinahe an einer Gräte erstickt, weil er so gar gierig und hastig die köstliche Speise hinunterschlang. Juno brachte jedoch die Gräte glücklich wieder heraus, nachdem man dem unartigen Jungen lange genug den Rücken geklopft, und seine arme Mutter nicht wenig Angst ausgestanden hatte.

Alle zur Wanderung nöthigen Bedürfnisse, die Reisetaschen, die Flinten und sonstigen Kleinigkeiten lagen bereit. Hurtig und William standen vom Tische auf, nahmen zärtlich Abschied von den Zurückbleibenden, und begaben sich dann wohlgemuth auf die Reise.

Prachtvoll leuchtete die Sonne; die Luft war ungemein klar und durchsichtig; die leise wogenden Gewässer des Oceans schimmerten glänzend und blitzend aus der Ferne herüber, und lieblich rauschten die Wipfel der Kokosbäume, vom Winde durchfächelt, über ihren Häuptern.

Ganz entzückt über die Lieblichkeit und wundervolle Pracht der Natur, verfolgten Hurtig und William ihren Weg. Romulus und Remus tanzten vor ihnen her, Vixen aber wurde, obgleich er auch gern von der Parthie gewesen wäre, ohne Gnade wieder nach Hause gejagt.

Sie gingen am Magazine vorüber, bestiegen den jenseits gelegenen Hügel, und hielten nun ihre Handbeile bereit, um auf ihrem Wege fortan die Bäume zu bezeichnen. Hurtig holte seinen Kompaß hervor, bestimmte die Richtung, welche eingeschlagen werden sollte, und dann ging es frisch und muthig durch die grünen Waldungen, im Schatten des grünen Laubdaches vorwärts.

Eine geraume Zeit lang wanderten unsere Freunde, ohne ein Wort zu sprechen, neben einander hin, und schlugen ihre Zeichen in die Baumrinden ein, dann aber machte Hurtig Halt, und schaute wieder nach dem Kompaß.

»Ich glaube,« begann William, »hier ist der Wald dichter, als wir ihn jemals gesehen haben.«

»Das glaube ich selbst, mein Junge,« erwiederte Robinson, »und bin beinahe der Meinung, daß wir uns eben jetzt so recht auf der Mitte der Insel und gerade im dichtesten Dickicht des Waldes befinden. Es wird sich dieß bald genug ausweisen, wenn wir jetzt ein wenig von der südlichen Richtung abweichen. Ich hoffe, wir werden alsdann leichtere Arbeit haben, und können um so besser mit einander plaudern.«

Eine halbe Stunde lang setzten sie ihren Weg in etwas veränderter Richtung fort, und bemerkten bald, daß die Waldung, wie Hurtig vorausgesagt hatte, ein wenig lichter wurde. Doch sahen sie trotzdem noch immer nichts anderes, als nur lauter Kokospalmen, die sich in endlosen Reihen vor ihren Augen ausbreiteten.

Es war dieß eine gar mühselige Wanderung, und alle Augenblicke rannten sie bald da, bald dort gegen die Baumstämme.

»Höre, William,« sagte Hurtig endlich, »ich denke, es mag gut sein, wenn wir ein paar Minuten ausruhen. Du wirst dich ermüdet fühlen, da du doch noch immer nicht wieder so kräftig bist, als vor deiner Krankheit.«

»Ja, die Uebung fehlt mir, Hurtig,« erwiederte William, indem er seine Flinte an einen Baum lehnte, und sich mit dem Taschentuche die perlenden Schweißtropfen von seiner Stirne wischte. »Die Anstrengung wird mir fühlbar, und ein wenig Ruhe soll mir vortrefflich bekommen. Aber glaubt Ihr nicht, Robinson, daß wir nun bald das Ende des Waldes erreichen müssen?«

»In einer halben Stunde denk' ich, vielleicht noch früher,« erwiederte Hurtig; »doch läßt sich natürlich nicht mit Gewißheit bestimmen, wie groß gerade hier die Ausdehnung des Waldes sein mag.«

»Was werden wir wohl finden und entdecken, Hurtig?« fragte William.

»Das läßt sich schwer beantworten, mein Junge,« erwiederte Robinson. »Was ich zu finden wünsche, ist eine gute Strecke freien Landes zwischen Strand und Wald, wo wir unsere Schafe und Ziegen weiden lassen können. Außerdem aber entdecken wir vielleicht noch verschiedene Baumarten, was mich, da wir bis jetzt nichts als Kokospalmen und Ricinusstauden vorgefunden haben, ungemein erfreuen würde. Doch scheint es kaum, als ob durch Vögel, oder durch Wind und Wellen noch andere Sämereien hierher gekommen wären.«

»Keimt denn Samen, der auf solche Weise verbreitet wird?«

»Gewiß, William. Ich habe sogar sagen hören, daß selbst, Sämereien, die hunderte von Jahren wie todt gelegen hatten, sproßten und aufkeimten, als sie der mütterlichen Erde und den wärmenden Sonnenstrahlen ausgesetzt wurden.«

»Richtig!« sagte William. »Denn eben fällt mir ein, was mir der Vater einst erzählte, daß nämlich Weizenkörner, die man im Grabe einer vielleicht viertausend Jahre alten ägyptischen Mumie fand, richtig aufgegangen wären, als man sie ausgesäet hatte.«

»Was ist eigentlich eine Mumie?« fragte Robinson. »Von Aegypten habe ich schon gehört und gelesen, aber von einer Mumie noch nicht.«

»Eine Mumie ist ein mit allerlei Spezereien einbalsamirter Leichnam, der sich Jahrtausende hindurch erhält, ohne der Verwesung anheim zu fallen. Ich selbst habe nie eine gesehen, aber das weiß ich, daß die Aegyptier die Körper ihrer verstorbenen Verwandten einbalsamirten, und sich ganz vorzüglich auf diese Kunst verstanden.«

»Gut, mein Junge; ich danke dir für die Erklärung,« sagte Hurtig. »Aber nun werden wir uns wohl ziemlich wieder erholt haben, und wollen uns deßhalb, wie man zu sagen pflegt, von Neuem auf die Beine machen. Je früher wir durch den Wald kommen, desto besser ist's. Komm, William!«

Sie standen auf, griffen wieder nach ihren Flinten, setzten ihren Weg fort, und waren kaum eine Viertelstunde gegangen, als William ausrief:

»Ich sehe den blauen Himmel, Hurtig! Jetzt müssen wir bald in's Freie kommen, und ich will froh sein, wenn wir die Bäume nicht mehr zu bezeichnen brauchen! Mir ist der Arm schon ganz lahm davon geworden.«

»Ja, ja, ich glaube gern daß du müde bist!« erwiederte Robinson lächelnd. »Trotzdem aber dürfen wir doch dieß mühsame Geschäft nicht unterlassen, wenn wir unsern Weg wieder zurückfinden wollen.«

Noch zehn Minuten gingen sie vorwärts, und traten endlich aus der Kokoswaldung heraus. Doch sahen sie sich jetzt wieder von mannshohem Buschwerk eingeschlossen, und konnten noch immer nicht erkennen, wie weit sie noch vom Ufer des Meeres entfernt sein mußten. Trotzdem war William sehr vergnügt und warf sogleich ohne Umstände sein Handbeil auf die Erde.

»Gut, daß wir hier sind!« sagte er. »Nun wollen wir uns aber auch gleich ein bischen hinsetzen, und ausruhen; ich bin so matt, wie eine Fliege.«

Beide warfen sich auf die Erde und streckten recht behaglich ihre müden Glieder aus.

»Ich bin wahrhaftig mehr erschöpft, als damals, als wir unsere erste Reise durch die Waldung unternahmen,« sagte Hurtig. »Das Wetter muß daran Schuld sein. – Romulus! Remus! Kommt her! Legt Euch!«

»Das Wetter ist doch aber so schön, Hurtig!«

»Jetzt allerdings,« erwiederte Robinson. »Ich meinte auch eigentlich nur die Regenzeit, die immer die Gesundheit angreift, und von der ich mich noch nicht ganz erholt habe. Du selber bist nicht so kräftig, wie früher, weil du ein tüchtiges Fieber aushalten mußtest, und ich, wenn ich auch kein Fieber bekomme, werde doch immerhin von der Witterung ein wenig mitgenommen. Ich bin ein alter Mann, William, und der Einfluß der Jahre meldet sich.«

»Wie wär's Hurtig, wenn wir unser Mittagsbrot verzehrten, ehe wir weiter gehen?« fragte William. »Ich sollte meinen, das würde uns gut thun.«

»Ich habe nichts dagegen,« erwiederte Robinson. »Wir werden dabei zugleich eine von unsern Wasserflaschen los, und können nachher unsern Reisebündel nebst Allem, was uns sonst belästigt, hier unter den Bäumen zurücklassen. Nur die Flinten müssen wir, der Vorsicht halber, mitnehmen. Auch können wir die Nacht hier zubringen, da ich deinem Vater mit Bestimmtheit erklärte, daß wir heute nicht mehr zurückkommen würden. Deiner Mutter verschwieg ich diesen Umstand, aber nur, weil sie immer so ängstlich ist.«

Sie öffneten ihre Reisetaschen, hielten Mittag, und gaben auch den Hunden ihren Antheil, als sie schnell herbeigesprungen kamen und schwanzwedelnd zu ihnen aufschauten. Nachher aber machten sie sich wieder auf, und setzten ihre Reise fort.

Etwa noch zehn Minuten mußten sie sich mühevoll einen Weg durch das dichte Buschwerk bahnen; dann aber gelangten sie auf eine weite Ebene, und blickten, sprachlos vor Entzücken, eine geraume Weile umher.

Die See lag nur eine halbe Stunde weit von ihnen entfernt, und die Strecke Landes bis zum Ufer glich einer großen Wiese, auf welcher das frischeste, saftigste Gras üppig hervorsproßte. Wie einen Teppich von vielen hundert Morgen breitete sich die Ebene vor ihnen aus, hin und wieder mit regellos zerstreuten, niedrigen Gruppen von Buschwerk und Bäumen bedeckt. Die Küste bildete keine sandige Bucht, wie jenseits der Insel, sondern Felsen von zwanzig bis dreißig Fuß Höhe starrten gerade aus dem Meere auf, und zeigten an mehreren Punkten eine schneeähnliche, weiße Masse, die hell in den Strahlen der Sonne schimmerte.

»Nun, Hurtig,« sagte William endlich, »hier fehlt es nicht an Weideplätzen, und wenn sich unsere Heerden auch um das Doppelte und Dreifache vermehren.«

»Nein, wahrlich nicht!« rief Robinson aus. »Und das ist ein großes Glück für uns, und eine rechte Gnade von Gott. Gerade das nur fehlte uns noch. Aber laß uns näher gehen, und jene Büsche untersuchen. Dort erblicke ich ein glänzend grünes Blatt, das mir, wenn mein Auge nicht trügt, schon früher vorgekommen ist.«

Als sie sich der Baumgruppe näherten, und Hurtig sie untersucht hatte, sagte er: »Richtig, es ist ein Bananenbaum! Er sproßt schnurgerade aus der Erde hervor, und wird in kurzer Zeit seine zehn bis eilf Fuß in die Höhe wachsen. Seine Früchte werden uns vortrefflich schmecken, und außerdem geben Rinde und Blätter ein Hauptfutter für unsere Thiere. Gott sei Dank gebracht für diesen Fund!«

»Und hier ist eine Pflanze, die ich nie zuvor erblickte!« sagte William. »Diese kleine da; seht nur, Hurtig!«

Er brach einen Zweig davon ab, und reichte ihn Robinson hin.

»Ei, ich kenne sie wohl,« rief der Alte. »Es ist spanischer Pfeffer, sogenannter Cayennepfeffer, und hat wahrhaftig schon Schoten. Na, darüber wird sich Juno freuen, weil er ihr ein prächtiges Gewürz, das uns bisher fehlte, in die Küche liefert. Sieh, sieh, es muß doch Geflügel genug hier herum geben, weil nur dadurch die Samenkörner all' dieser Pflanzen und Bäume auf die Insel gekommen sein können. Bananen und Cayennepfeffer werden von einigen Vögeln gefressen, und wo diese dann ein Körnchen fallen lassen, sproßt eine Pflanze hervor und streut wieder Samen aus. Das wiederholt sich von Jahr zu Jahr, und ist der Grund, warum die Gewächse hier so gruppenweise umher stehen. Schau nur diese Menge sproßender Bananenbäume! Wahrhaftig, in wenigen Wochen werden sie schon ein ordentliches Wäldchen bilden.«

»Hurtig, was ist das für ein struppicht aussehendes Gesträuch dort?« fragte William.

»Laß uns näher herangehen; meine Augen sehen nicht mehr so gut in die Ferne, wie deine,« erwiederte Robinson. »Ach, jetzt kenne ich das Gewächs schon! Es ist die westindische Stachelbirne, und ich bin recht froh, daß wir auch sie gefunden haben, da sie uns sehr nützlich sein wird.«

»Kann man sie essen, Hurtig?«

»Man kann wohl, aber man sticht sich dabei leicht an ihre kleinen scharfen Stacheln in die Finger, die schwer wieder heraus zu kriegen sind. Uebrigens ist die Frucht nicht eben schlecht, und überdieß, was die Hauptsache ist, wird uns die Staude eine vortreffliche Einfriedigung für unsere Gärten liefern. Sie wächst sehr schnell, gedeiht überall, und bildet in kurzer Zeit einen lebendigen Zaun, den nicht leicht irgend ein Thier durchbrechen wird. Sieh nur, hier wächst beinahe ein halber Morgen davon, und schon brechen die Blüthen hervor. Doch laß uns jetzt zu jener Baumgruppe gehen und schauen, was wir dort finden werden.«

»Was ist dieß für eine Pflanze?« fragte William unterwegs.

»Die kenne ich nicht,« erwiederte Robinson. »Ich habe sie noch niemals gesehen.«

»Nun, so will ich sie mitnehmen und dem Vater zeigen,« sagte William. »Wir thun am Besten, wenn wir es auch mit den Uebrigen, die wir nicht kennen, so machen, weil der Vater ein guter Botaniker ist, und beinahe alle Pflanzen in der Welt kennt.«

»Thue das, William,« erwiederte Robinson. »Es ist ein guter Gedanke von dir.«

William brach einen Zweig von der Pflanze ab, und steckte ihn zu sich. Als sie darauf zur nächsten Baumgruppe gelangten, blieb Hurtig stehen, und schaute sie nachdenkend ein Weilchen an.

»Es ist mir doch, als müßte ich dieß Gewächs kennen,« sagte er, sich besinnend. »Ich habe es jedenfalls schon oft in heißen Klimaten gesehen. – Halt! – Jetzt weiß ich's – es ist der Guavabaum.«

»Was? Derselbe, aus dessen Früchten man Guavengelée bereitet?« fragte William.

»Ja, mein Junge, ganz der Nämliche!« erwiederte Hurtig.

»Na, da wird sich Tommy nicht schlecht die Finger lecken, wenn er das hört!« rief William lachend. »Kapitän Osborn gab uns einmal während der Reise ein wenig von solchem Gelée, und das schmeckte dem Tommy so köstlich, daß er nicht genug davon bekommen konnte, und immer mehr haben wollte.«

»I nun, das wundert mich eben nicht,« entgegnete Hurtig. »Solchen kleinen Burschen geht nichts über gut Essen und Trinken, und da müssen wir auch unserem Tommy ein wenig Naschhaftigkeit zu gut halten. Ich hoffe doch, er soll noch ein wackerer Bursche werden. Verlaß dich darauf, William.«

»Ei, das hoffe ich auch, Hurtig,« erwiederte William. »Er ist ja nicht böse von Natur, sondern nur ein bischen leichtsinnig. – Aber wollen wir nicht weiter gehen?«

»Nach welcher Richtung zu wollen wir wandern?«

»Erst auf jene fünf oder sechs Bäume dort zu, und von da nach jenen Felsen hinab, weil ich gern wissen mögte, warum sie so weiß aussehen.«

»Gut, so laß uns vorwärts gehen,« sagte Hurtig.

»Robinson, horcht!« rief William plötzlich und blieb stehen. »Was ist das für ein Lärm? Ist das ein Geschnatter und Geschrei! Es müssen Affen sein.«

»Nein, mein Junge, Affen sind's nicht,« erwiederte Hurtig; »aber ich kann dir sagen, was es ist: es sind Papageien. Sieh, es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Affen hierher kommen sollten, weil sie weder fliegen noch schwimmen können. Aber den Vögeln ist's möglich, und ihnen verdanken wir eben die Bananen, Guava's und andere Früchte, die hier herum wachsen.«

In diesem Augenblicke traten sie unter die Bäume, und vernahmen sogleich ein Geflatter und Flügelklatschen, als ob sie mitten in einem großen Vogelhause wären, dessen Bewohner sie muthwillig aufgestört hätten. Unter lautem Gekreisch erhob sich ein Schwarm von mindestens dreihundert Papageien in die Luft, deren prachtvoll gefärbte grüne, blaue und rothe Federn herrlich in den Strahlen der Sonne schimmerten und glänzten.

»Hab' ich dir's nicht gesagt, William?« rief Hurtig aus. »Das wird prächtige Pasteten geben!«

»I was! Kann man gute Pasteten davon machen?«

»Ja gewiß! Ganz vorzüglich wohlschmeckende; in Westindien und Südamerika haben mir die Papageien oft genug eine gute Mahlzeit geliefert. – Laß uns doch ein bischen näher dort hinübergehen; ich sehe da ein Blatt, das ich gern näher untersuchen mögte.«

»Kommt es Euch nicht so vor, als ob der Boden unter unseren Tritten nachgebe?« fragte William, während sie vorwärts gingen.

»Allerdings!« erwiederte Hurtig. »Es muß eine Menge Wasser hier unter dem Boden stecken, und darum, wenn wir unser Vieh herüber bringen, wollen wir auch einen hübschen Teich graben. – Aber hier ist das Wahre!« rief er jetzt plötzlich sehr vergnügt aus. »Schau her, William! Das ist das Beste von Allem, was wir heute gefunden haben. Jetzt brauchen wir nicht mehr bange zu sein, daß unsere Kartoffeln ausgehen!«

»Was ist's denn, Hurtig?«

»Es sind Yamswurzeln, die man in Westindien statt der Kartoffeln gebraucht. Ein herrlicher Fund, William, da in heißen Klimaten immer die Kartoffeln ausarten und schlecht werden.«

»Wie geht das zu?«

»Nach ein Paar Ernten verwandeln sie sich in sogenannte wilde Kartoffeln, die einen widerlich süßen Geschmack haben, und deßhalb kaum zu genießen sind. Jedenfalls ist nach meinem Geschmacke die Yamswurzel bedeutend besser.«

In diesem Augenblicke sprangen plötzlich die Hunde vor, stürzten in raschem Laufe zwischen die breiten Yamsblätter hinein, und fingen an furchtbar zu bellen. In den Blättern regte es sich und raschelte, und ein dumpfes Grunzen und Murren wurde vernehmbar.

»Himmel, was ist das?« schrie William, und sprang erschreckt von der Erde auf, wo er eben die Yamswurzel in näheren Augenschein genommen hatte.

»'S ist nichts, mein Junge,« erwiederte Hurtig herzlich lachend. »Dieselben Geschöpfchen haben dich schon einmal in Schrecken gesetzt; erinnere dich nur.«

»Was! Sollten's wieder unsere Schweine sein?« fragte William überrascht. »Gewiß, sie sind es!«

»Ohne allen Zweifel!« entgegnete Hurtig. »Sie liegen auf dem Yamsfelde umher, und halten da eine köstliche Mahlzeit. Paß auf!«

Hurtig stieß ein lautes Hussahgeschrei aus, und plötzlich raschelte und grunzte und quieckte es lauter in dem Geblätter, und wenige Augenblicke nachher rannten, anstatt der bisherigen sechs, nicht weniger als dreißig Schweine heraus, und setzten schnaubend und tobend quer über die Ebene hinweg dem Kokoswalde zu, in dessen Dickicht sie nach einigen Minuten verschwanden.

»Ei, was sie wild sind, Hurtig!« rief William aus.

»Ja, und werden mit jedem Tage noch mehr verwildern,« erwiederte Robinson. »Das Yamsfeld müssen wir auf alle Fälle einfriedigen, wenn sie uns nicht alle Knollen wegfressen sollen.«

»Es wird nur nicht viel helfen,« entgegnete William. »Sie werden die Hecke in Grund und Boden treten, ehe sie aufgewachsen ist.«

»Darum müssen wir einen ordentlichen Zaun von Kokospfählen machen, und rings herum Stachelbirnen pflanzen, damit diese eine undurchdringliche Wand bilden, ehe noch die Pfähle verfaulen und zu Grunde gehen. Das wollen wir schon Alles machen. Aber jetzt komm mit an das Meer herunter, William.«

Als sie den Felsen am Ufer näher kamen, erkannte Hurtig sogleich, was er wissen wollte.

»Jetzt bin ich über die weißen Flecke auf den Felsen nicht mehr im Zweifel,« sagte er. »Es sind die Nester von Seevögeln, die alljährlich auf diese Stelle kommen, um zu nisten und ihre Jungen aufzuziehen. Wenn man sie nicht stört, kehren sie von Jahr zu Jahr auf denselben Ort zurück. Siehst du, alle die weißen Stellen dort rühren von Vogelfedern mit Unrath vermischt her.«

»Das bemerk' ich wohl,« erwiederte William, »aber wo sind die Nester? Ich kann kein einziges entdecken.«

»Sehr richtig! Wo keine sind, kann man auch keine sehen,« sagte Hurtig lächelnd. »Du mußt wissen, mein Junge, daß diese Vögel gar keine Nester bauen, sondern nur eine kleine, etwa zolltiefe Höhlung in den Boden kratzen, und da hinein ihre Eier legen. Diese Löcher sind so nahe bei einander, daß beim Brüten die Vögel sich mit ihren Schwingen berühren. Gewiß werden sie bald wieder hier sein, um Eier zu legen, und diese wollen wir uns dann nicht schlecht schmecken lassen. Sie geben ein gutes und nahrhaftes Essen.«

»Na, Hurtig,« sagte William, »beklagen können wir uns eben nicht. Wir haben schon jetzt eine solche Menge guter Sachen gefunden, daß unsere Reise in der That eine sehr glückliche genannt werden kann.«

»Gewiß, und wir wollen Gott von Herzen dafür dankbar sein, daß er selbst in der Wildniß so überschwenglich reich für uns gesorgt hat. Wenn wir nur einigermaßen fleißig sind, werden wir von Jahr zu Jahr unseren Wohlstand vermehren können.«

»Hurtig, da fällt mir ein, daß wir eigentlich hier unser Haus hätten bauen müssen.«

»Nein, nein, William! Du mußt bedenken, daß wir an dieser Stelle hier weder unsere treffliche Quelle, noch auch Gelegenheit haben würden, einen Fischteich und Schildkrötenweiher anzulegen. Du siehst ein, daß zu solchem Zwecke die Seeküste hier viel zu felsig ist. Nein, nein! Hier wollen wir unsere Heerden füttern, Früchte einsammeln, Vögel schießen, Yamswurzeln pflanzen und alles Gute, was sich sonst noch darbieten mag, auf das Sorgsamste benutzen und ausbeuten, aber unser Haus und unsere Heimath, die wollen wir lassen, wo sie ist!«

»Ihr mögt Recht haben, Hurtig,« erwiederte William; »aber es ist doch ein weiter Weg bis hierher.«

»Nicht so weit, als du denkst; laß uns nur erst einen ordentlichen Pfad ausgehauen haben! Und übrigens besitzen wir doch auch das Boot! Ich will mir doch gleich den Strand ein wenig beschauen, ob wir's auch herüber bringen können.«

Sie gingen etwa eine halbe Viertelstunde längs dem Strande hin, und gelangten dann an eine Stelle, wo die Felsen weniger hoch über dem Wasser hervor ragten. Hier entdeckten sie ein kleines Becken, ganz von Klippen eingefaßt, die nur an einer Stelle den Zugang gestatteten.

»Sieh, William, das ist ein niedlicher Hafen für unser kleines Boot,« sagte Hurtig. »Hier können wir Yams einladen und nach unserer Bucht herüber fahren, wenn wir, wie ich hoffe, dort durch die Korallenriffe einen Durchgang finden. Wir müssen uns gleich danach umsehen, wenn wir wieder nach Hause kommen.«

»Das ist hier freilich ein recht niedlicher und sicherer Landungsplatz für unser Boot,« sagte William; »doch fürchte ich, wir werden ihn am Ende nicht auffinden, wenn wir von der Seeseite auf ihn zusegeln.«

»O, da läßt sich helfen!« erwiederte Hurtig. »Ich brauche nur einen Flaggenstock zum Merkzeichen aufzurichten.«

»Richtig!« rief William. »Aber seht, was liegt da für ein sonderbares Ding auf dem Grunde des Meeres?«

Er deutete mit dem Finger daraus, und Hurtig erwiederte sogleich: »Es ist ein kleiner Seekrebs, mein Junge, und schmeckt zum Mindesten eben so gut, als die Hummern. Wir könnten vielleicht noch einen Krebsteich anlegen, und hätten dann immer welche, wenn wir sie bedürfen. Sie würden uns gar nicht übel munden, das kannst du glauben.«

»Und was sind das für kleine rauhe Dinger am Felsen dort?« fragte William wieder, dessen scharfe Augen rastlos umherschweiften.

»Wart' ein bischen,« entgegnete Hurtig. »Sieh, das sind Austern! Eine recht nette, kleine, schmackhafte Art, viel besser als die Englischen. 'S ist ein wahrer Leckerbissen, William!«

»Das behagt mir, Hurtig!« sagte William. »Da haben wir gleich noch ein Paar gute Sachen mehr für unsern Tisch. Wir müssen wirklich mit der Zeit reiche Leute werden.«

»Ja, mein Junge,« sprach lächelnd der alte Robinson. »Aber vor allen Dingen müssen wir die Austern fangen. Bedenke, daß man in dieser Welt nichts ohne Mühe und Arbeit bekommt. Gott gab uns eine Menge nützlicher Dinge, aber er sprach auch: ›Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brod essen.‹«

»Wahr, Hurtig; aber bei alledem hat uns der liebe Gott seine Gaben, hier zum Wenigsten, ziemlich nahe gelegt,« entgegnete William.

»Uebrigens,« fuhr er fort, »bleiben uns noch drei Stunden Tag übrig. Was meint Ihr, Robinson, wenn wir noch heute zu Hause gingen und Alles erzählten, was wir erlebt und gesehen haben; meine Eltern würden sich gewiß sehr darüber freuen.«

»Einverstanden, mein Junge!« rief Hurtig. »Wir haben für einen Tag genug gethan, und können ganz ruhig zurück spazieren. Nächste Woche, oder noch früher müssen wir aber wieder her, da mir die Yamswurzeln sehr am Herzen liegen, und durchaus eingefriedigt und gegen die Schweine geschützt werden müssen. Doch können wir das näher mit deinem Vater überlegen. Komm, William!«

Auf dem Rückwege nach dem Kokoswalde pflückte William, von jeder Pflanze, die er nicht kannte, einen Zweig ab, und bewahrte ihn auf, um ihn seinem Vater mitzubringen. Bald erreichten sie hierauf die Stelle, wo sie ihre Reisetaschen und Beile zurückgelassen hatten, schritten dann durch die Waldung zurück, und gelangten noch eine Stunde vor Sonnenuntergang glücklich wieder bei dem heimathlichen Hause an. Bei ihrer Ankunft trafen sie Williams Eltern auf der Rasenbank vor dem Eingange, und Juno stand mit den beiden Kindern an der Bucht, wo die Kleinen sich vergnügten, bunte Muscheln von dem sandigen Ufer aufzulesen. Mit Jubel wurden unsere Reisenden begrüßt, und William erzählte nun, was ihm und Hurtig unterwegs aufgestoßen war. Endlich zeigte er dem Vater auch die mitgebrachten Gewächse, und fragte nach ihren Namen und ihren Eigenschaften.

»Dieß,« sagte Herr Seagrave, »ist eine wohlbekannte Pflanze, und ich wundere mich, daß Hurtig sie nicht zu nennen weiß; es ist Hanf!«

»Hanf, lieber Herr?« erwiederte Hurtig. »Ja, sehen Sie, den habe ich nie anders, als nur in Gestalt von Tauen und Stricken kennen gelernt. Den Samen davon kenne ich übrigens auch.«

»Und ich weiß, wie er gepflanzt werden muß,« entgegnete Herr Seagrave. »Nun, William, was hast du weiter?«

»Hier, dieß sonderbare, rauhe Gewächs,« sagte William, indem er eine andere Pflanze hinreichte.

»Das ist die Eierpflanze, William. Sie trägt eine Frucht von blauer Farbe, die man, wie ich gehört habe, in den heißen Klimaten genießen kann.«

»Ja, gewiß, Herr Seagrave,« fiel Hurtig ein. »Mit Pfeffer und Salz geschmort nennt man sie Bringal, und das Gericht ist so übel nicht.«

»Wollen es später einmal versuchen, Hurtig! – Aber, William, dieß solltest du doch kennen; sieh' es einmal recht an.«

»Es sieht fast aus, wie eine Weintraube!«

»Und ist's auch!« bestätigte Herr Seagrave. »Ist der wilde Weinstock, dessen Trauben wir jedenfalls genießen, und am Ende gar Wein davon machen können.«

»Nun habe ich nur noch eine Pflanze, Vater. Diese hier.«

»Es ist die gewöhnliche Senfpflanze, mein Sohn, die wir in England zur Mostrichbereitung und zu einem recht wohlschmeckenden Salate benutzen. Du hast sie nur nicht erkannt, weil ihre Blätter so ungewöhnlich gross und breit gewachsen sind. – Ich muß gestehen, Kinder, daß Ihr ein schönes Tagewerk vollbracht, und euer Nachtessen, das eben Juno anrichtet, redlich verdient habt. Kommt herein, speiset und ruhet aus. Die Sonne geht schon unter, und in wenigen Minuten wird es dunkel sein.«

Sie gingen Alle in's Haus, und hielten nach dem Abendbrode eine allgemeine Berathung über den Arbeitsplan, welcher zunächst befolgt werden sollte. Nach reiflicher Ueberlegung hielt man für das Beste, vor allen Dingen das Boot in Stand zu setzen, und darauf eine Untersuchung des Korallenriffes anzustellen, um eine Durchfahrt nach der neuentdeckten südlichen Küste der Insel zu finden. Würde eine solche erspäht, so sollten Herr Seagrave, Hurtig, William und Juno durch den Wald wandern, auf dem neuen Grund und Boden ein Zelt aufschlagen, bei dem kleinen Hafen einen Flaggenstock errichten, und am selbigen Tage noch wieder zurückkehren, um Madame Seagrave mit den Kindern während der Nacht nicht allein und ohne Schutz zu lassen. Nachher sollten Hurtig und William den Karren und mehrere andere Sachen, wie Sägen, Beile, Spaten und dergleichen in das Boot bringen, auf die Südspitze der Insel zuschiffen, den kleinen Hafen aufsuchen, dort die Anker auswerfen, und wenn das Boot in Sicherheit gebracht war, zu Fuße durch den Wald zurückkehren.

Ferner hatte man beschlossen, späterhin die Yamswurzeln mit Stachelbirnen einzufriedigen und so einstweilen vor den Schweinen zu schützen; dann die Schafe und Ziegen durch den Wald zu treiben, damit sie sich auf den neuen Weideplätzen belustigen und Futter suchen könnten; dann Gras abzumähen und Heu daraus zu machen; eine hinreichende Zahl Kokosbäume zu fällen, und Pfähle für den Zaun zu schnitzen; die Pfähle an Ort und Stelle zu schaffen und einzurammen, und endlich den Garten vom Unkraute zu säubern, und Vorbereitungen zu treffen, auch ihn mit einer festen, lebendigen Hecke zu versehen.

Alle diese Geschäfte sollten unter die Mitglieder der Familie vertheilt werden, damit ein Jeder dabei Hand anlegen könne. In einem Monate, hoffte Hurtig, sollte Alles beseitigt und Zeit gewonnen sein, nach den Vorräthen zu sehen, welche noch jenseits der Insel auf dem ersten Landungsplatze lagen. Sie sollten untersucht, das Nöthige ausgewählt, herüber gebracht und im Magazine aufgestapelt werden. Dann aber wollten sie die ganze Insel zu Land und zu Wasser von Grund aus untersuchen, und eine Karte davon entwerfen, welche Herr Seagrave so genau wie möglich auszuführen versprach.

Dieß war vor der Hand die ganze Geschäftsordnung für die schöne Jahreszeit. Aber der Mensch denkt und Gott lenkt! Bald genug erlitt sie durch eine unerwartete Begebenheit, die wir im nächsten Kapitel erzählen werden, eine nicht geringe Unterbrechung.

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