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33. Kapitel.
Der Fingerhut.

Schön und glänzend stieg der nächste Morgen auf. Gleich nach dem Frühstück nahmen unsere Freunde den Karren und schritten hinunter zum Schildkrötenteiche, um eine Schildkröte herauf zu holen, welche von Hurtig mit einer Heugabel, die er zu diesem Ende besonders eingerichtet und mit einem tüchtigen Widerhaken versehen hatte, auf den Rücken geworfen war. Sie zogen die Schildkröte an's Ufer, luden sie auf den Karren, banden sie fest und fuhren sie nach Hause. Hierauf wurde sie getödtet und ausgenommen, darauf löste Juno unter Anleitung Robinsons diejenigen Stücke davon ab, welche am besten zu einer guten Suppe taugten; das Uebrige ward auf die Seite gehängt. Als der Topf auf dem Feuer stand, griffen Hurtig, Herr Seagrave und William nach Säge, Beil und Hacke und schritten hinaus, um die zum Bau des Vorrathshauses nöthigen Bäume zu fällen. Wie wir uns erinnern wollen, beabsichtigten sie nämlich, darin ihre Vorräthe vom jenseitigen Ufer der Insel aufzubewahren, wenn sie dieselben nach der Regenzeit geholt haben würden.

»Das Magazin wollen wir zugleich zu einem Zufluchtsorte in der Gefahr einrichten, Herr Seagrave,« sagte Robinson bedächtig, »und ich habe dazu diesen dichten Theil des Waldes auserlesen. Er ist zwar nicht weit von unserem Wohnhause entfernt, kann aber dem Auge eines Verfolgers sehr leicht verborgen werden, wenn wir erstens den Weg dahin im Zickzack, und zwar nur so breit anlegen, daß eben unser Karren darauf hinfahren kann, und zweitens, wenn wir die Bäume, die wir fällen müssen, dicht am Boden weghauen, damit uns die Stumpen nicht verrathen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Ich fürchte zwar nicht, daß wir jemals diese Vorsicht nöthig haben werden, denke aber doch: ›bewahrt ist besser als beklagt,‹ um so mehr, als die Ausführung des Planes unsere Mühe nur um ein Geringes vermehren wird.«

»Ich bin über diesen Punkt völlig mit Euch einverstanden, Robinson,« sagte Herr Seagrave. »Man kann nie vorher wissen, was uns geschehen und zustoßen kann.«

»Ich muß Ihnen nur unter uns sagen, Herr Seagrave,« fuhr Hurtig fort, »daß die Wilden in diesen Gegenden die Gewohnheit haben, ziemlich häufig in ihren Kanoe's von Insel zu Insel zu schiffen, bloß um sich Kokosnüsse zu holen. Ob nun die nächstgelegenen Inseln bewohnt sind, kann ich freilich nicht wissen, obgleich es sehr wahrscheinlich ist; der gute oder schlimme Charakter der Eingebornen aber ist uns unbekannt und wir werden wohl thun, wenn wir uns in unserer Lage auch auf die schlimmsten Fälle gefaßt machen. Ich spreche mich hierüber nur gegen Sie und William aus, indem ich hoffe, daß Sie meine Worte für sich behalten und sie nicht etwa Ihrer lieben Frau, die sich nur ohne Noth ängstigen würde, mittheilen werden. Hörst du wohl, William? Ich zähle darauf, daß du verschwiegen sein kannst.«

»Und werdet Euch nicht verrechnen,« fügte William hinzu. »Ich werde meiner Mutter gewiß nichts sagen, was sie irgend in Angst setzen kann.«

»Wir sind nun fast zur Stelle,« sprach Hurtig weiter. »Auf dem Gipfel des Hügels hier stehen die Bäume so dicht, daß man von keiner Seite her unser Magazin bemerken wird, wenn wir es eine kleine Strecke weiter unten anlegen. Die Anhöhe ist noch immer schräg genug, dem Wasser ungehinderten und freien Abfluß zu gestatten.«

»Wie weit mögen wir wohl vom Hause entfernt sein, Hurtig?« fragte Herr Seagrave.

»In gerader Linie kaum mehr als hundert und fünfzig Ruthen,« antwortete Robinson. »Die Krümmungen des Weges aber mögen mehr als das Doppelte ausmachen.«

»Dann, glaube ich, ist dieser Ort passend für uns, und je früher wir die Arbeit beginnen, desto besser ist's,« sagte Herr Seagrave.

»Gut!« erwiederte Robinson. »Ich will sofort die Bäume aufsuchen, die stehen bleiben sollen und dann jene, die gefällt werden müssen. Nimm einmal dieß Ende von der Leine hier, William, und halt es fest, damit wir den Umfang unseres Gebäudes ausmessen können.«

William griff zu, und kaum war der richtige Platz abgesteckt, so arbeiteten alle Drei mit Aexten und Sägen munter drauf los, fällten krachend Baum auf Baum, bis die Stunde des Mittagessens herangekommen war. Da legten sie das Arbeitszeug auf die Seite und gingen mit so gutem Appetit nach Hause, daß ihnen die Aussicht auf ein Gericht Schildkrötensuppe sehr reizend erschien.

»Wie ihr erhitzt seid, Kinder!« sagte Madame Seagrave, als unsere fleißigen Leutchen in das Haus traten. »Wirklich, ihr müßt euch nicht zu sehr anstrengen, nicht gar zu viel arbeiten.«

»Ja, liebe Mutter, das geht einmal nicht anders,« erwiederte William. »Das Umhauen der Bäume ist eine Arbeit, die einem warm machen kann. Uebrigens hat ein tüchtiges Zugreifen noch Keinem geschadet, wenn er die Aussicht auf eine gute Schildkröte hatte. Du kannst glauben, wir sind hungrig, und werden Juno's Kochkunst die möglichste Ehre erweisen. Aber Tommy, was ist mit dir passirt?«

»Tommy und ich,« erklärte Madame Seagrave, »sind ein bischen in Zwiespalt gerathen. Heute Morgen nämlich, als ich bei meiner Näherei saß, wurde ich von Juno abgerufen, und ging mit Karoline hinaus. Als ich wieder hereinkomme, ist mein Fingerhut verschwunden, und Tommy, der allein zurückgeblieben war, treibt sich auf der Hausflur umher. Ich rufe ihn, frage ihn nach dem Fingerhute, den kein Anderer als er angerührt haben kann, und bekomme zur Antwort, er wolle danach suchen. Nach einem Weilchen aber kommt er wieder zu mir und erklärt, daß er ihn nicht finden könne. Ich frage ihn noch einmal und noch einmal, ob er den Fingerhut weggenommen habe, aber seine einzige Antwort lautet immer, er wolle ihn schon finden und wieder bringen. Nun weiß ich gewiß, daß er ihn genommen hat; er aber will's nicht eingestehen, und die Folge davon ist, daß ich den ganzen Vormittag nicht habe arbeiten können.«

»Tommy,« fragte Herr Seagrave mit Ernst und Strenge, »Tommy, hast du den Fingerhut genommen oder nicht?«

»Ich will ihn schon wiederfinden, Papa!« entgegnete Tommy weinerlich.

»Das ist keine Antwort auf meine Frage, Bursch!« sagte noch strenger Herr Seagrave. »Sprich, hast du den Fingerhut genommen oder nicht?«

»Ich will ihn gewiß wieder finden, Papa!« entgegnete Tommy weinerlich.

»Das ist, was er auch mir geantwortet hat,« sagte Madame Seagrave. »Es ist nichts weiter aus ihm heraus zu bringen.«

»Wohl, so soll er auch kein Mittagessen bekommen, bis sich der Fingerhut gefunden hat!« entschied der Vater.

Tommy sing bei diesem Richterspruche aus Leibeskräften zu schreien an und brüllte noch lauter, als Juno mit der Schildkrötensuppe ankam, deren lieblicher Geruch höchst angenehm seine Nase kitzelte. Man kümmerte sich jedoch nicht um ihn. Das Gebet wurde gesprochen, die Mahlzeit begann und Alle schmausten, da sie tüchtig hungrig waren, tapfer drauf los. William ließ sich zum zweiten Male seinen Teller füllen, führte seinen Löffel zum Munde, machte ein verwundertes Gesicht und brachte endlich den – Fingerhut aus dem Munde.

»Sieh da, Mutter, da steckt er in meiner Suppe,« rief er lachend. »Beinahe hätte ich ihn hinunter geschluckt.«

»Da haben wir's,« sagte Hurtig, »und Tommy hatte vollkommen Recht, als er behauptete, der Fingerhut werde sich wieder finden. Wahrscheinlich dachte er ihn selber aus der Suppe zu fischen. Na, er hat wenigstens keine Unwahrheit gesprochen, wenn ich ihn auch sonst nicht eben loben will.«

»I nun, da er nicht gelogen hat,« sagte William, »und da der Fingerhut sich wieder einstellte, so wird ihm Papa wohl verzeihen, wenn er geziemend um Vergebung bittet. Nicht wahr, Väterchen?«

»Komm her, Tommy,« sprach Herr Seagrave. »Auf welche Weise hast du den Fingerhut in die Suppe gebracht?«

»Ich wollte die Suppe kosten,« stammelte Tommy, »und den Fingerhut füllen, und da verbrannte die Suppe mir die Finger, und da ließ ich ihn hinein fallen.«

»Na, ein Fingerhut voll wäre eben nicht viel gewesen,« sagte Hurtig lächelnd. »Aber warum gestandest du deiner Mutter nicht gleich die ganze Wahrheit?«

»Ich dachte, die Mutter würde die Suppe dann wegschütten,« erwiederte Tommy, »und nachher hätten wir keine zum Mittagsessen bekommen.«

»Also das war der Grund!« rief Herr Seagrave und lachte herzlich. »Nun, da wollen wir für dieß Mal die Sache so hingehen lassen, und du sollst auch dein Essen bekommen, da sich der Fingerhut noch gerade zur rechten Zeit wieder gefunden hat. Aber in Zukunft nimm dich in Acht, Bursche! Wenn du noch einmal nicht gleich ehrlich und aufrichtig Red' und Antwort gibst, dann setzt's was. Das merke dir. Und nun iß!«

Tommy war froh, daß der Verweis so glimpflich abgelaufen war, und noch froher darüber, daß er sein Theil Schildkrötensuppe bekam. Als er den ersten Teller verspeist hatte, reichte er ihn noch einmal hin und sagte: »Tommy wird nicht wieder den Fingerhut nehmen, das nächste Mal nimmt er ein Töpfchen.«

Alle lachten, und Juno erwiederte: »Nicht, Massa Tommy, eintauchen in Etwas, das kochen! Du dich gewiß einmal ganz verbrennen, du Junge kleiner, gieriger.«

Damit wurde die Tafel aufgehoben; Alle gingen wieder an ihre Arbeit und kehrten erst mit der untergehenden Sonne wieder nach Hause zurück.

»Die Wolken sammeln sich wieder an,« sagte Hurtig auf dem Heimwege, indem er den Stand des Wetters prüfte. »Wir werden über Nacht Regen bekommen.«

»Ich glaub' es selbst,« bestätigte Herr Seagrave; »wir müssen das Unwetter eben abwarten.«

»Ja, lieber Herr,« erwiederte Robinson. »Ich fürchte nur, es wird mehrere Tage hindurch anhalten. Nun, es muß einmal ertragen werden, so gut es gehen will.«

Mit diesen Worten traten sie in's Haus, verzehrten ihr Abendbrod und setzten sich nachher traulich in die Runde um den Tisch.

»Wie wär's, Robinson,« fragte Madame Seagrave, »wenn Ihr uns heute den weiteren Verlauf Eurer Geschichte erzähltet?«

»Herzlich gern, wenn Sie es wünschen, liebe Madame Seagrave,« erwiederte Hurtig und setzte sich sogleich in Positur.

 

»Wie ich bereits erwähnt habe, befand ich mich, nachdem ich weggelaufen war, an Bord eines nach London bestimmten Kohlenschiffs. Wir hatten guten Wind und schnelle Fahrt. Dennoch wurde ich seekrank und befand mich sehr übel, bis wir endlich in die Themse einliefen. Die Menge der hier auf und ab treibenden Schiffe, das Gewimmel und Getümmel, das überall und unaufhörlich hin und her wogte, versetzten mich, wie Sie leicht denken können, in das lebhafteste Erstaunen. Alles gefiel und behagte mir, bis auf meinen Kapitän, der, wie ich immer mehr bemerkte, ein strenger und brutaler Mensch war. Einer der Lehrlinge an Bord, mit dem ich vertraute Freundschaft geschlossen hatte, gab mir daher den Rath, ohne Weiteres davon zu laufen, mich auf keinen Fall als Lehrling an unsern Kapitän zu verdingen, sondern mich lieber auf einem andern Schiffe einschreiben zu lassen. ›Er wird dich sonst,‹ fügte er hinzu, ›eben so schlecht behandeln, wie mich, und dir jeden Tag, schuldig oder unschuldig, eine Tracht Schläge zutheilen, die dir auf keine Weise groß zusagen wird. Mache dich davon, mein Junge!‹ – Der Augenschein hatte mich gelehrt, daß der Lehrbursch keineswegs die Schilderung seiner Leiden übertrieb, indem ihn der Kapitän tagtäglich wohl zwanzig Mal mit Püffen und Fußtritten mißhandelte. Die andern Leute aber sagten mir gleichfalls, es würde mir eben so ergehen, wie ihm, wenn ich erst als Lehrling eingezeichnet worden sei. Jetzt schone er mich nur noch aus Furcht, weil er glaube, ich würde den Lehrbrief nicht unterschreiben, wenn er mich nicht glimpflich und sanftmüthig behandle.

Alle diese Umstände bestimmten mich zu dem Entschlusse, nicht länger auf dem Kohlenschiffe zu bleiben, als es unumgänglich nothwendig sei. Als daher der Kapitän das erste Mal an's Land ging, nahm ich die Gelegenheit wahr, mich ein wenig umzuschauen. Ich entdeckte sogleich in der Nähe ein großes, schönes Schiff, das segelfertig auf dem Strome lag, und fragte ein Paar Schiffsjungen, die in einem Boote bei der Schiffstreppe saßen, ob ihr Kapitän nicht einen Lehrling brauchen könne. ›O ja,‹ erwiederten sie, ›lieber zwei als einen! Wenn du Lust hast, so komm herüber, und es wird dich nicht gereuen, denn wir Alle haben es in unserm Schiffe sehr gut!‹ Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, sondern ging sogleich mit den Jungen an Bord und bot dem Kapitän meine Dienste an. Er richtete viele und mancherlei Fragen an mich, die ich alle der strengsten Wahrheit gemäß beantwortete, und ihm endlich auch erzählte, warum ich nicht länger auf dem Kohlenschiffe hätte bleiben wollen. Hierauf zeigte er sich geneigt, mich anzunehmen. Er fuhr mit mir an's Land, ich unterschrieb meinen Lehrbrief, empfing von dem braven Manne eine hinreichende Menge guter Kleidungsstücke, und segelte zwei Tage später mit ihm auf Bombay und China los.«

»Aber schriebt Ihr nicht vorher an Eure Mutter, Hurtig?« fragte William. »Gewiß, Ihr thatet's! Nicht wahr?«

»Ja, ich that es, und sogar mein Kapitän forderte mich dazu auf,« erwiederte Robinson. »Ich schrieb einen langen Brief an meine gute Mutter und suchte alles Mögliche hervor, um sie zu trösten und über mein ferneres Schicksal zu beruhigen. Aber unglücklicher Weise hat sie ihn niemals empfangen, niemals gelesen. Der Kapitän schickte ihn durch den Schiffskoch an's Land. Ob dieser ihn nun verloren, ob er vergessen hat, ihn abzugeben, und ihn zerriß, als das Schiff abgefahren war, das weiß ich nicht. Auf keinen Fall ist er meiner armen, unglücklichen Mutter zu Händen gekommen.«

»Tröstet Euch darüber, Hurtig,« sagte Madame Seagrave mitleidig, als der alte Mann kummervoll vor sich hinstarrte. »An Euch lag ja doch der Fehler nicht.«

»Nein, liebe Madame Seagrave, dieser nicht,« erwiederte Robinson mit trauriger Stimme. »Aber der eigentliche Fehler war leider schon früher begangen.«

»Daran müßt Ihr nicht mehr denken, alter Freund,« sagte Herr Seagrave. »Erzählt uns lieber, wie es Euch ferner erging, als Ihr nach Ostindien segeltet.«

Robinson raffte sich gewaltsam zusammen und erzählte weiter.

»Für mein Alter,« sprach er, »galt ich für einen starken, lebhaften und rührigen Jungen und wurde deßhalb sehr bald an Bord unseres Schiffes, besonders bei den mitsegelnden Damen, recht beliebt, weil ich ihnen immer flink zu Diensten war. Ohne Unfall gelangten wir nach Bombay, setzten unsere Passagiere an's Land und nahmen drei Wochen später unsern Segelstrich nach China. Es war damals in den Kriegszeiten und oft genug wurden wir von französischen Kaperschiffen gejagt. Da wir aber eine tüchtige Mannschaft und vollständige Bewaffnung hatten, so gelang es den Franzmännern nie, uns eine Schlappe beizubringen und wir kamen glücklich nach Macao, wo wir unsere Ladung ausschifften und dafür eine tüchtige Portion Theekisten einnahmen. Nach beendigtem Geschäfte mußten wir noch einige Zeit im dortigen Hafen verweilen, um auf unsere Bedeckung, einige Kriegsschiffe, zu warten. Als sie aber endlich eintrafen, segelten wir unter ihrem Geleite wieder auf England zu.

Unterwegs, es war auf der Höhe von Isle de France, wurde jedoch unsere kleine Flotte durch einen heftigen Sturm auseinander gesprengt; wir kamen weit von den Kriegsschiffen ab und wurden drei Tage später von einer französischen Fregatte angegriffen. Wir wechselten einige Lagen, aber der Feind war uns zu stark. Nach ein paar Minuten mußten wir unsere Flagge streichen und wurden gezwungen, uns zu ergeben.

Unser Schiff war eine gute Prise und es dauerte daher auch nicht lange, so kam ein Seelieutenant mit vierzig Mann zu uns an Bord, um unsere kostbare Ladung in Empfang zu nehmen. Unser Kapitän nebst der Mannschaft mußten an Bord der Fregatte gehen; nur zehn Laskaren, das heißt, indische Matrosen und die Schiffsjungen blieben an Bord des Indienfahrers zurück, um beim Steuern nach Isle de France, welches damals noch den Franzosen gehörte, hilfreiche Hand zu leisten.

Mir war bei der ganzen Geschichte nicht ganz behaglich zu Muthe, es drückte mich hart, schon als zwölfjähriger Schiffsjunge ein Gefangener sein zu müssen. Bei alledem aber war ich doch nicht groß in Sorgen, und suchte so viel als möglich meine alte heitere Laune und Fröhlichkeit aufrecht zu erhalten.

Wir befanden uns bereits im Angesicht der Insel und waren eben im Begriff, mit vollen Segeln dem Hafen zuzusteuern, als plötzlich auf unserer Windseite ein großes Schiff in Sicht kam und unsere Feinde, die Franzosen, sofort in die lebhafteste Erregung versetzte. Ich verstand zwar nicht, was sie plapperten und plauderten, aber ich sah, daß sie sich ängstlich unter einander beriethen und ihre Ferngläser gar nicht mehr von den Augen wegbrachten.

›Höre,‹ sagte Jack Romer, ein Lehrling wie ich und einer meiner Kameraden, indem er mich freundschaftlich in die Seite stieß, ›höre, mein Junge, es scheint mir vor der Hand noch gar nicht so ganz gewiß, ob wir in ein französisches Gefängniß werden spazieren müssen. Reime ich mir Alles gehörig zusammen, so denke ich nicht eben weit fehl zu schießen, wenn ich behaupte, daß jenes Fahrzeug da ein englisches Kriegsschiff ist. Paß auf, Hurtig!‹

Das Schiff segelte mit vollem Winde heran, näherte sich uns binnen kurzer Zeit bis auf drei Seemeilen, hißte die englische Flagge auf und feuerte eine Kanone ab. Die Franzosen steckten nun ängstlich die Köpfe zusammen und brachten unser Fahrzeug vor den Wind. Es half ihnen aber nichts; das Kriegsschiff holte uns schnell ein, und die Franzosen machten sich mit vieler Hurtigkeit darüber her, ihre Kleider und alles Andere, was sie von dem Eigenthum des Kapitäns und der Mannschaft zusammengestohlen hatten, in große Bündel zu packen.

Eine Kanonenkugel strich jetzt über unsern Köpfen hin und verjagte die Franzosen vom Steuerruder. Jack Romer aber und ich sprangen hinzu, hielten das Schiff, wie sich's geziemte, vor dem Winde, und freuten uns königlich, als nun ein Boot an Bord kam und die Mannschaft desselben sich des Schiffes bemächtigte. Vor der Hand waren wir nun wieder befreit, und den Franzosen erging es schlecht. Der englische Kapitän, als er hörte, wie sie sich betragen hatten, ließ ohne Umstände ihr Gepäck untersuchen, und nahm ihnen Alles, was sie zusammen geraubt hatten, ohne Weiteres wieder ab.«

»Ei, er hätte ihnen auch ihre eigenen Habseligkeiten noch wegnehmen sollen!« rief William aus. »Das wäre ihnen zur Vergeltung ganz recht geschehen.«

»Ja, es hätte ihnen nichts schaden können,« sagte Hurtig, »aber wir würden alsdann dasselbe Unrecht, wie sie, begangen haben. Der englische Kapitän ließ den Franzosen ihr ganzes rechtmäßiges Eigenthum, sperrte sie aber, wozu er das vollkommenste Recht hatte, als Gefangene in die Vorderkajüte ein. Hierauf schickte er einen Seekadetten als Prisenmeister an Bord unseres Schiffes, übergab ihm die Führung desselben und befahl ihm, ohne Verzug nach England abzusegeln.

Sehr glücklich über die Erlösung aus unserer Gefangenschaft schifften wir davon, mußten aber leider bald darauf die französische Herrschaft mit der holländischen vertauschen, und konnten uns auf diese Weise nicht lange unserer Freiheit erfreuen.«

»Ei, wie ging das zu?« fragte William.

»Ganz einfach und natürlich auf folgende Weise,« erwiederte Robinson. »Zwei Tage nach unserer Befreiung, grade als wir im Begriff waren, um das Kap herum zu segeln, begegnete uns abermals ein französisches Schiff und nahm uns. Zum zweiten Male fand sich keine Hilfe in der Noth. Wir wurden nach der Tafelbai auf das Kap der guten Hoffnung gebracht, und dort von den Franzosen ihren guten Freunden, den Holländern, übergeben, welche zu jener Zeit gleichfalls mit England im Kriege lagen.«

»Ihr habt doch wirklich viel Unglück gehabt,« sagte Madame Seagrave, als sie dieß hörte.

»Gewiß, das hab' ich,« erwiederte Robinson, »und kann eben nicht behaupten, daß die Zeit meiner holländischen Gefangenschaft mir besonders gefallen hätte. Indeß war ich damals noch sehr jung, hatte von Gott einen leichten Sinn bekommen, und ließ mich deßhalb alle meine Sorgen und Kümmernisse nicht groß anfechten. – Aber mich dünkt, nun sei es Zeit, zu Bette zu gehen. Die kleine Karoline ist schon fest eingeschlafen, und Tommy hat vor lauter Gähnen seinen Mund nicht schließen können. Morgen mehr, wenn es Ihnen recht ist.«

Alle standen auf und begaben sich zur Ruhe.

*


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