de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundsechsundsiebzigster Brief

Frau von Volanges an Frau von Rosemonde.

Das Schicksal der Frau von Merteuil scheint nun erfüllt zu sein, meine liebe und würdige Freundin, und es ist so, daß ihre größten Feinde sich teilen zwischen der Entrüstung, die sie verdient, und dem Mitleid, das sie einflößt. Ich hatte wohl recht, als ich sagte, es wäre vielleicht ein Glück für sie, wenn sie an den Blattern stürbe. Sie ist zwar davongekommen, aber entsetzlich entstellt; und ein Auge hat sie dabei verloren. Sie können sich wohl denken, daß ich sie nicht mehr gesehen habe, aber man sagte mir, daß sie wirklich scheußlich aussehe.

Der Marquis von **, der keine Gelegenheit vorübergehen läßt, eine Bosheit zu sagen, meinte gestern, als man von ihr sprach, die Krankheit habe sie gewendet, und jetzt wäre ihre Seele auf dem Gesicht. Und es stimmte unglücklicherweise nach aller Meinung.

Ein anderes Ereignis hatte noch ihre Schuld und ihr Unglück vermehrt. In ihrem Prozeß wurde vorgestern das Urteil gefällt, und einstimmig zu ihren Ungunsten. Auslagen, Entschädigungen, Rückerstattung der Zinsen, alles ist den Minderjährigen zugesprochen worden, so daß das wenige von ihrem Vermögen, das in dem Prozesse nicht riskiert war und noch mehr als das, weit mehr als die Kosten beträgt.

Gleich nach Erhalt dieser Nachricht hat sie, obschon sie noch krank war, ihre Vorkehrungen getroffen und ist des Nachts und allein mit der Post abgereist. Ihre Leute sagen heute, daß keiner von ihnen habe mit ihr gehen wollen. Man nimmt an, daß sie nach Holland ist.

Diese Abreise erregt noch mehr Lärm als alles übrige; sie hat nämlich ihre Diamanten mitgenommen, einen sehr beträchtlichen Gegenstand, der in den Nachlaß des Mannes einbezogen werden sollte; ferner ihr Silberzeug, ihren Schmuck, kurz alles, was sie konnte. Und hat 50000 Francs Schulden hinterlassen. Ein völliger Bankerott.

Die Familie soll sich morgen versammeln, um sich mit den Gläubigern abzufinden. Obschon ich nur sehr entfernt verwandt bin, habe ich mich erboten, beizutragen. Aber ich werde nicht persönlich bei der Versammlung sein, da ich einer viel traurigeren Zeremonie beiwohnen muß. Meine Tochter legt morgen das Kleid der Postulantin an. Ich hoffe, meine liebe Freundin, Sie vergessen nicht, daß ich dieses große Opfer zu bringen keinen andern Grund habe als das Schweigen, das Sie mir gegenüber bewahrt haben.

Herr von Danceny hat Paris verlassen, es werden ungefähr vierzehn Tage her sein. Man sagt, er gehe nach Malta, und hat die Absicht sich dort niederzulassen. Wäre es vielleicht noch Zeit, ihn zurückzuhalten? ...

Meine liebe Freundin! ... Meine Tochter, ist sie also so sehr schuldig? ... Sie werden einer Mutter wohl verzeihen, daß sie nur so schwer sich in diese schreckliche Gewißheit fügt.

Was für ein Verhängnis hat sich denn um mich her verbreitet, und mich in meinen Liebsten getroffen! Meine Tochter und meine Freundin!

Wer zittert nicht bei dem Gedanken an all das Unglück, das ein einziges gefährliches Verhältnis hervorbringen kann! Und wie viele Leiden würde man sich ersparen, wenn man dies mehr bedächte. Welche Frau ergriffe nicht beim ersten Wort des Verführers die Flucht! Welche Mutter könnte ohne zu zittern ihre Tochter mit jemandem andern sprechen sehen, außer ihr selbst? Aber diese Nachbedenken kommen immer erst, wenn alles vorbei ist; und eine der wichtigsten und wohl auch anerkanntesten Wahrheiten wird erstickt und ist ohne Anwendung im Taumel unserer widersinnigen Sitten.

Gott mit Ihnen, meine liebe und würdige Freundin; ich empfinde es diesen Augenblick, daß unsere Vernunft, die schon zur Vermeidung von Unglück kaum hinreicht, noch weniger fähig ist, uns darüber zu trösten.

Paris, den 14. Januar 17..


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