de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundvierunddreissigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Was sind denn das für Opfer, meine schöne Freundin, von denen Sie glauben, ich würde sie nicht bringen und deren Lohn doch wäre, Ihnen zu gefallen? Lassen Sie mich sie wenigstens wissen, und wenn ich sie Ihnen zu bringen zögere, will ich's erlauben, daß Sie sie zurückweisen. Und was für eine Meinung haben Sie denn seit einiger Zeit von mir, wenn Sie selbst in nachsichtiger Stimmung an meinen Gefühlen oder meiner Energie zweifeln? Opfer, die ich nicht bringen möchte oder könnte! So halten Sie mich also für verliebt, für unterworfen? Auf den Erfolg habe ich doch nur Wert gelegt, und Sie verdächtigen mich, ich legte ihn auf die Person! Dank dem Himmel bin ich noch nicht so heruntergekommen, und ich erbiete mich, es Ihnen zu beweisen. Und ich werde es Ihnen beweisen, und sollte es selbst gegen Frau von Tourvel sein. Danach kann Ihnen sicher kein Zweifel mehr bleiben.

Ich durfte, glaube ich, ohne mir eine Blöße zu geben, einige Zeit einer Frau widmen, die wenigstens das Verdienst hat, von einer Art zu sein, die man selten trifft. Vielleicht ist auch die tote Saison daran schuld, in die dieses Abenteuer fällt, und hat sie mich zu mehr Hingabe veranlaßt; und auch jetzt noch, wo kaum der große Strom rückfließt, ist es nicht verwunderlich, daß es mich noch ganz beschäftigt. Aber bedenken Sie doch, daß ich erst seit acht Tagen die Frucht meiner dreimonatlichen Mühe genieße. Ich habe mich so oft länger bei Abenteuern aufgehalten, die weniger wert waren und mich nicht so viel gekostet hatten, ... und nie haben Sie daraus etwas gegen mich geschlossen.

Und dann, wollen Sie den wahren Grund meines Eifers wissen? Nämlich: Diese Frau ist von Natur schüchtern; in der ersten Zeit zweifelte sie fortwährend an ihrem Glück, und dieser Zweifel genügte, sie zu verwirren: so daß ich kaum erst anfange, mich zu vergewissern, wie weit in der Hinsicht meine Macht geht. Das war aber doch was, worauf ich sehr neugierig war; und die Gelegenheit, es herauszukriegen, findet sich nicht so oft wie man glaubt.

Erstens besteht für viele Frauen das Vergnügen immer im Vergnügen und nur darin; und bei denen sind wir, mit was für Titel man immer auch uns aufputzt, doch nur so Geschäftsbesorger, einfache Dienstmänner, deren ganzes Verdienst ihre Tätigkeit ist, und unter denen der, welcher am meisten leistet, immer auch der ist, der es am besten leistet.

In einer andern Klasse, heute vielleicht der zahlreichsten, beschäftigt die Frauen fast ganz die Berühmtheit des Geliebten, das Vergnügen, ihn einer Rivalin weggenommen zu haben, die Furcht, daß er ihr wieder ihrerseits weggenommen wird. Wir sind ja eben noch, mehr oder weniger, beteiligt bei der Art von Glück, das sie genießen, aber es kommt mehr von den Umständen als von der Person. Das Glück kommt ihnen durch uns und nicht von uns.

Ich mußte demnach für meine Beobachtung eine zartfühlende, feinempfindende Frau finden, die aus der Liebe ihr alles macht und in der Liebe wieder nur den Geliebten sah; deren Empfindungen fern von dem gewöhnlichen Weg gingen, sondern immer vom Herzen aus zu den Sinnen gelangten; die ich zum Beispiel – und ich spreche nicht vom ersten Tage – aus der Lust ganz in entsetzten Tränen auftauchen sah, und die im nächsten Augenblick darauf ganz wieder ihre Sinnlichkeit wiederfand in einem Wort, das zu ihrer Seele sprach. Dann mußte sie auch noch die volle natürliche Keuschheit in sich tragen, die unübersteiglich durch die Gewohnheit, sich ihr hinzugeben, geworden, ihr nicht erlaubte, auch nur ein Gefühl ihres Herzens zu verhehlen. So werden Sie zugeben, daß solche Frauen eine Seltenheit sind; und ich glaube, daß ich außer dieser nie eine andere getroffen hätte. Es wäre also nicht erstaunlich, wenn sie mich etwas länger festhielte als eine andere. Und wenn ich, was ich mit ihr vorhabe, erlangt habe, daß ich sie glücklich, ganz glücklich mache, warum sollte ich mich dem entziehen, zumal wenn das mir erwünscht kommt, statt unerwünscht? Aber daraus, daß der Geist beschäftigt ist, folgt doch nicht, daß das Herz Sklave ist? Doch sicher nicht. Deshalb wird der Wert, den ich zugegebenermaßen auf dieses Abenteuer lege, mich nicht hindern, auf andere auszugehen oder es angenehmeren zu opfern.

Ich bin so frei, daß ich nicht einmal die kleine Volanges vernachlässigte, an der mir doch so wenig liegt. Ihre Mutter bringt sie in drei Tagen wieder in die Stadt; und ich habe seit gestern meine Verbindungen mit ihr gesichert. Etwas Geld für den Türhüter, und ein paar Blumen für dessen Frau erledigten die Sache. Begreifen Sie es, daß Danceny dieses so einfache Mittel nicht gefunden hat? Und da sagt man, daß die Liebe erfinderisch macht! Blöd und dumm macht sie vielmehr, wen sie beherrscht. Und ich sollte mich ihrer nicht zu erwehren wissen! O, beruhigen Sie sich. Schon in einigen Tagen werde ich den vielleicht zu starken Eindruck, den ich erlitten habe, dadurch schwächen, daß ich ihn teile; und wenn eine einfache Teilung nicht genügt, so vervielfältige ich sie.

Ich werde nichtsdestoweniger bereit sein, die junge Pensionärin ihrem so heimlichen Geliebten zuzuführen, sobald Sie es für geeignet erachten. Es scheint mir, daß Sie keinen Grund mehr haben, ihn länger daran zu hindern; und ich will gerne dem armen Danceny diesen großen Dienst erweisen. Es ist wirklich das geringste, das ich ihm für alle die schulde, die er mir erwiesen hat. Er befindet sich gegenwärtig in großer Unruhe darüber, ob er von Frau von Volanges empfangen werden wird oder nicht. Ich beruhige ihn so gut ich kann mit der Versicherung, ich würde auf diese oder jene Art am ersten geeigneten Tag sein Glück machen, und fahre inzwischen fort, mich des Briefwechsels anzunehmen, den er bei Ankunft »seiner Cécile« wieder anfangen will. Ich besitze schon sechs Briefe von ihm, und werde sicher noch einen oder zwei vor diesem frohen Tag bekommen. Der Junge muß sehr wenig zu tun haben.

Aber lassen wir dieses kindliche Paar und kommen wir auf uns zurück. Ich möchte mich einzig mit der süßen Hoffnung beschäftigen, die mir Ihr Brief gegeben hat. Ja, zweifellos werden Sie mich festhalten, und ich würde Ihnen nicht verzeihen, wenn Sie daran zweifelten. Habe ich denn je in der Beständigkeit gegen Sie nachgelassen? Die Bande zwischen uns sind gelockert, aber nicht zerrissen. Unser vorgeblicher Bruch war nur ein Irrtum unserer Einbildung; unsere Gefühle, unsere Interessen sind deshalb nicht weniger eins geblieben. Gleich dem Reisenden, der enttäuscht heimkommt, sehe ich, daß ich das Glück verlassen habe, um nach der Hoffnung zu jagen. Bekämpfen Sie jetzt nicht mehr den Einfall oder vielmehr das Gefühl, das Sie zu mir zurückbringt; und nachdem wir alle Freuden auf unseren verschiedenen Fahrten genossen haben, wollen wir das Glück genießen, zu fühlen, daß keine unter ihnen mit der zu vergleichen ist, die wir um so köstlicher wiederfinden werden!

Adieu, meine bezaubernde Freundin. Ich willige ein, Ihre Rückkunft abzuwarten, aber beschleunigen Sie sie doch und vergessen Sie nicht, wie sehr ich sie ersehne.

Paris, den 8. November 17..


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