de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertfünfundsiebzigster Brief

Der Chevalier Danceny an Frau von Rosemonde.

Sie haben Recht, gnädige Frau, und gewiß werde ich Ihnen, soweit es von mir abhängt, nichts abschlagen, worauf Sie nur einigen Wert legen. Das Paket, das ich Ihnen zuzustellen die Ehre habe, enthält alle Briefe von Fräulein von Volanges. Wenn Sie sie lesen, werden Sie vielleicht nicht ohne Erstaunen sehen, welche Naivität sich mit so viel Perfidie vereinigen konnte. Das hat mich wenigstens am seltsamsten berührt, als ich sie eben wieder und zum letztenmal las.

Kann man sich aber der lebhaftesten Empörung über Frau von Merteuil erwehren, wenn man sieht, mit welchem niederträchtigen Vergnügen sie alle Mühe darauf verwandt hat, so viel reine Unschuld zugrunde zu richten?

Nein, ich empfinde keine Liebe mehr. Ich bewahre nichts mehr von einem Gefühl, das so unschuldig verraten wurde, und nicht aus diesem Gefühl heraus suche ich Fräulein von Volanges zu rechtfertigen. Und doch hätte dieses einfache Herz, diese sanfte und so leicht zu lenkende Natur sich nicht leichter noch zum Guten führen lassen als wie jetzt zum Bösen? Welches junge Mädchen, das aus dem Kloster kommt, ohne Erfahrung, ohne Gedanken, das nichts in die Welt mitbringt als eine gleich große Unkenntnis von Gut und Böse, – welches junge Mädchen hätte so niederträchtigen Künsten besser widerstehen können? Ach, um nachsichtig zu werden, genügt es, darüber nachzudenken, an wie vielen von uns unabhängigen Umständen dieses schreckliche Entweder-Oder hängt: Empfindung – Verdorbenheit. Sie haben mir also Gerechtigkeit widerfahren lassen, gnädige Frau, wenn Sie meinten, daß mir das lebhaft empfundene Unrecht, das Fräulein von Volanges mir antat, keine Gedanken an Rache eingeben werde. Es ist genug, daß ich sie nicht mehr lieben kann! Es fiele mir zu schwer, sie zu hassen.

Es bedurfte keiner Überlegung, um zu wünschen, daß alles, was sie betrifft und was ihr schaden könnte, für immer der Welt verborgen bleibe. Wenn es so aussah, als ob ich einige Zeit zögerte, Ihren Wunsch in dieser Beziehung zu erfüllen, so brauche ich Ihnen, glaube ich, meine Gründe dafür nicht zu verhehlen: ich wollte vorher sicher sein, daß man mich infolge dieser unglücklichen Sache nicht beunruhigen würde. Während ich um Ihre Nachsicht bat, während ich sogar einiges Recht darauf zu haben glaubte, fürchtete ich, Sie könnten glauben, ich wollte diese Nachsicht durch diese Nachgiebigkeit meinerseits erkaufen; und der Reinheit meiner Motive sicher, war es, wie ich gestehe, mein Stolz, daß Sie nicht daran sollten zweifeln können. Ich hoffe, Sie werden diese vielleicht zu große Empfindlichkeit der Hochschätzung verzeihen, die Sie mir einflößen, und dem Wert, den ich auf Ihre Achtung lege.

Dasselbe Gefühl läßt mich Sie als letzte Gunst bitten, mir gütigst sagen zu wollen, ob ich Ihrer Meinung nach alle meine Pflichten erfüllt habe, die mir die unglücklichen Umstände, in denen ich mich befand, auferlegt haben. Bin ich darüber erst beruhigt, so ist mein Entschluß fest: Ich reise nach Malta. Ich will dort das Gelübde ablegen und halten, das mich von einer Welt trennen wird, über die ich, so jung ich bin, schon so sehr zu klagen gehabt habe. Ich werde unter fremdem Himmel den Gedanken an alle die Greuel zu vergessen suchen, deren Erinnerung meine Seele nur betrüben und schänden würde.

Ich bin in Ehrfurcht, gnädige Frau, Ihr sehr ergebener

Danceny.

Paris, den 26. Dezember 17..


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