de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Achtundneunzigster Brief

Cécile Volanges an die Marquise von Merteuil.

Ach, mein Gott, liebe gnädige Frau, wie bin ich betrübt! Wie bin ich unglücklich! Wer wird mich in meinem Schmerz trösten? Wer wird mir in meiner Verwirrung raten? Dieser Herr von Valmont ... und Danceny! Nein, der Gedanke an Danceny bringt mich zur Verzweiflung ... Wie soll ich es Ihnen nur erzählen? Wie es sagen? ... Ich weiß nicht, wie es tun. Und mein Herz ist so voll ... Ich muß mit jemandem sprechen, und Sie sind die einzige, zu der ich es kann, der ich mich anzuvertrauen wage. Sie sind so gut gegen mich! Aber seien Sie es jetzt nicht, denn ich bin es nicht wert: – was sage ich, ich wünsche es gar nicht. Alle waren heute gut zu mir – und alle haben meinen Schmerz noch vermehrt. Ich fühlte zu sehr, daß ich es nicht verdiente. Zanken Sie mich aus, zanken Sie mich ordentlich aus, denn ich bin sehr schuldig; nachher aber retten Sie mich. Wenn Sie nicht die Güte haben mir zu raten, so sterbe ich vor Kummer.

Erfahren Sie also ... meine Hand zittert, wie Sie sehen, ich kann fast nicht schreiben, ich fühle mein Gesicht ganz in Feuer ... Ach! es ist Schamröte. Ja, ich will sie leiden, das ist die erste Strafe für meinen Fehltritt. Ich will Ihnen alles sagen.

Sie sollen also wissen, daß Herr von Valmont, der mir bisher die Briefe Herrn von Dancenys zustellte, plötzlich fand, es sei dies zu schwierig. Er wollte einen Schlüssel zu meinem Zimmer haben. Ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht wollte; aber er schrieb es Danceny, und Danceny wollte es auch; und mir macht es so viel Kummer, wenn ich ihm etwas abschlage, besonders seit meiner Abreise, die ihn so unglücklich macht, so daß ich endlich nachgab. Ich sah das Unglück nicht voraus, das daraus entstehen sollte.

Gestern benutzte Herr von Valmont diesen Schlüssel, um in mein Zimmer zu kommen, als ich schlief. Ich erwartete das so wenig, daß ich sehr erschrak, als er mich weckte. Da er aber gleich mit mir sprach, habe ich ihn erkannt und nicht geschrien. Und dann kam mir der Gedanke, daß er mir villeicht Briefe von Danceny bringt. Aber es war was ganz anderes. Etwas später wollte er mich küssen; und während ich mich wehrte, wie es ganz natürlich ist, hat er es so gut angestellt, – ich wollte nicht um alles in der Welt . . . aber er wollte zuvor einen Kuß. Ich mußte wohl, was sollte ich tun? Um so mehr, als ich schon versucht hatte zu rufen. Aber abgesehen davon, daß ich nicht konnte, wußte er mir auch klarzumachen, daß, wenn jemand käme, er die ganze Schuld leicht auf mich schieben könne, und das war auch wirklich sehr leicht, wegen dieses Schlüssels. Dann ist er aber noch immer nicht gegangen. Er wollte einen zweiten Kuß, und ich weiß nicht, wie es mit dem war, aber er hat mich ganz verwirrt gemacht, und dann kam es noch schlimmer als zuvor. Oh! Nein, nein, es ist ganz schlimm. Kurz, nachher . . . Sie ersparen mir's wohl, das übrige zu sagen, aber ich bin so unglücklich, wie man nur sein kann. Was ich mir am meisten vorwerfe, was ich Ihnen noch sagen muß, daß ich fürchte, ich habe mich doch nicht genug verteidigt, so wie ich es hätte tun hönnen. Ich weiß nicht, wie es geschah. Sicher liebe ich Herrn von Valmont nicht, ganz im Gegenteil; nur es gab Momente, wo mir war, als liebte ich ihn ... Sie können sich denken, daß mich das nicht abhielt, ihm immer noch nein zu sagen, aber ich fühlte wohl, daß ich nicht tat, was ich sagte; nur das war wie gegen meinen Willen; dann war ich auch so schrecklich verwirrt! Wenn es immer so schwer ist, sich zu wehren, muß man sehr daran gewöhnt sein. Es ist ja wahr, Herr von Valmont hat eine Art, die Dinge zu sagen, daß man nicht weiß, wie man ihm antworten soll. Und wieder würden Sie glauben, als er endlich gegangen war, tat es mir förmlich leid, und ich hatte die Schwäche gehabt, einzuwilligen, daß er heute abend wiederkomme. Das macht mich noch verzweifelter als alles andere.

Aber trotzdem verspreche ich Ihnen, daß er nicht kommen soll. Er war noch nicht draußen, als ich schon fühlte, daß ich unrecht getan hatte, es ihm zu versprechen. Drum habe ich auch die ganze übrige Zeit durch geweint. Es war besonders Danceny, der mir leid tat; jedesmal, wenn ich an ihn dachte, flössen meine Tränen stärker, so daß es mich fast erstickte ... und ich dachte immer an ihn ... Jetzt noch, sehen Sie es – das ganze Papier ist naß. Nein, ich werde mich nie trösten, und wäre es auch nur seinetwegen ... Endlich konnte ich nicht mehr, und ich habe doch keinen Augenblick schlafen können. Und diesen Morgen, wie ich aufstand und in den Spiegel sah, konnte ich einem Angst machen, so verändert sah ich aus.

Mama hat es gleich gemerkt, wie sie mich sah, und mich gefragt, was ich hätte. Ich fing gleich an zu weinen. Ich glaubte, sie würde mich schelten, und das hätte mir vielleicht weniger Schmerz gemacht; aber im Gegenteil, sie sprach so sanft zu mir! Und ich verdiene es doch nicht! Sie sagte, ich solle mich nicht so betrüben, und sie wußte gar nicht, warum ich's war, und daß ich mich krank machen würde! Es gibt Augenblicke, wo ich tot sein möchte. Ich hab' nicht mehr an mich halten können. Ich warf mich schluchzend in die Arme und sagte:»Ach, Mama, Ihre Tochter ist sehr unglücklich« Mama konnte sich nicht enthalten, auch ein wenig zu weinen; und alles das vermehrte noch meinen Schmerz. Glücklicherweise fragte sie mich nicht, warum ich so unglücklich sei, denn ich hätte nicht gewußt, was ihr antworten.

Ich bitte Sie, gnädige Frau, schreiben Sie mir sobald als möglich, und sagen Sie mir, was ich tun soll. Denn ich habe nicht den Mut, an irgend etwas zu denken, und tue nichts, als mich immer grämen. Wollen Sie mir bitte Ihren Brief durch Herrn von Valmont zukommen lassen; aber ich bitte Sie, wenn Sie ihm gleichzeitig schreiben, sagen Sie ihm nichts davon, daß ich Ihnen etwas gesagt habe.

Ich habe die Ehre, gnädige Frau, mit stets großer Freundschaft zu sein Ihre ganz untertänige und gehorsame Dienerin. Ich trau mich nicht, den Brief zu unterzeichnen.

Schloß . . ., den 1. Oktober 17..


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