de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundvierundsechzigster Brief

Herr Bertrand an Frau von Rosemonde.

Gnädige Frau, mit großem Leidwesen erfülle ich die traurige Pflicht, Ihnen die Neuigkeit anzuzeigen, die Ihnen großen Kummer bereiten wird. Erlauben Sie mir, Sie zuvor zu der frommen Ergebung aufzufordern, die jeder schon so oft an Ihnen bewundert hat, und die allein uns die Übel ertragen läßt, deren unser elendes Leben so voll ist.

Ihr Herr Neffe – mein Gott, muß ich denn eine so ehrwürdige Dame betrüben! Ihr Herr Neffe hat das Unglück gehabt, in einem Zweikampf zu fallen, den er heute morgen mit dem Chevalier Danceny gehabt hat. Ich kenne die Ursache des Streites nicht; aber es scheint, nach dem Billett, das ich beim Herrn Vicomte in der Tasche fand und das ich die Ehre habe, Ihnen zu übersenden, es scheint mir, wie ich sage, daß nicht er der Angreifer war. Es mußte der Himmel erlauben, daß der gnädige Herr unterlag!

Ich war beim Herrn Vicomte, um ihn zu erwarten, gerade zu der Stunde, als man ihn nach Hause brachte. Stellen Sie sich mein Entsetzen vor, als ich Ihren Herrn Neffen von zwei seiner Leute getragen und ganz in seinem Blut gebadet sah. Er hatte zwei Degenstiche im Leibe und war schon sehr schwach. Herr Danceny war auch da und weinte. Ach, jawohl, der darf weinen; aber es ist gerade an der Zeit, Tränen zu vergießen, wenn man ein solches Unglück angerichtet hat!

Ich hatte mich nicht mehr in der Gewalt; und so gering ich auch bin, sagte ich ihm doch meine Meinung. Aber da hat sich der Herr Vicomte wahrhaft groß gezeigt. Er hat mir befohlen zu schweigen; und den Menschen, der sein Mörder ist, hat er bei der Hand genommen, seinen Freund genannt, ihn vor uns allen geküßt und zu uns gesagt: »Ich befehle Euch, daß Ihr dem Herrn allen Respekt erweist, den man einem tapfern und ehrenwerten Manne schuldet.« Dann hat er ihm sehr umfangreiche Papiere aushändigen lassen, die ich nicht kenne, aber auf die er, wie ich weiß, sehr viel Wert immer legte. Dann hat er gewollt, daß wir sie einen Augenblick allein lassen. Ich hatte indes um alle Hilfe geschickt, geistliche wie leibliche; aber ach! für das Übel gab es kein Mittel mehr! Nicht ganz eine halbe Stunde später war der Herr Vicomte bewußtlos. Er konnte nur noch die letzte Ölung empfangen; und die heilige Handlung war kaum beendet, da tat er seinen letzten Seufzer.

Großer Gott! Als ich diese kostbare Stütze eines berühmten Hauses bei seiner Geburt auf meine Arme genommen habe, hätte ich da voraussehen können, daß er einmal in meinen Armen sterben, und daß ich seinen Tod zu beweinen haben würde? Ein so früher und so unglücklicher Tod! Meine Tränen fließen mir gegen Willen. Ich bitte Sie um Verzeihung, gnädige Frau, daß ich es wage, in dieser Weise meine Schmerzen mit den Ihrigen zu mischen; aber in allen Ständen hat man ein Herz, das fühlt; und ich wäre sehr undankbar, beweinte ich nicht mein ganzes Leben lang einen Herrn, der mir so viel Güte erwies, und mich mit so vielem Vertrauen beehrte.

Morgen, nach Beisetzung der Leiche, werde ich überall die Siegel anlegen lassen, und Sie können sich darüber ganz auf mich verlassen. Sie werden wohl wissen, gnädige Frau, daß mit diesem traurigen Ereignis die Substitution aufhört, und Sie wieder volle freie Verfügung haben. Wenn ich Ihnen dabei von einiger Nützlichkeit sein kann, so bitte ich Sie um Ihre diesbezüglichen gütigsten Befehle. Ich werde meinen ganzen Eifer daransetzen, sie gewissenhaft auszuführen.

Ich bin in tiefster Ehrfurcht, gnädige Frau, Ihr sehr ergebener Diener

Bertrand.

Paris, den 7. Dezember 17..


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