de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hunderundvierter Brief

Frau von Rosemonde an Frau von Tourvel

Ich war über Ihre Abreise mehr betrübt, meine liebe, schöne Frau, als überrascht von Ihrer Ursache. Eine lange Erfahrung und das Interesse, das Sie einflößen, hatten genügt, mich über den Zustand Ihres Herzens aufzuklären; und wenn ich alles sagen soll, so haben Sie mir in Ihrem Brief nichts, oder fast nichts Neues mitgeteilt. Wenn ich erst durch diesen Ihren Brief hätte aufgeklärt werden müssen, so wüßte ich noch nicht, wer der ist, den Sie lieben; denn während Sie mir die ganze Zeit hindurch von »ihm« reden, haben Sie nicht ein einziges Mal seinen Namen geschrieben. Ich hatte es aber nicht nötig; denn ich weiß wohl, wer es ist. Aber ich bemerke es nur, weil ich mich erinnerte, daß das immer der Stil der Liebe ist. Ich sehe, es ist damit immer noch wie in der vergangenen Zeit.

Ich glaubte nicht, daß ich jemals auf Erinnerungen zurückkommen sollte, die so fern von mir liegen und zu meinem Alter gar nicht mehr passen. Seit gestern habe ich mich aber sehr viel damit beschäftigt, in dem Wunsche, etwas zu finden, was Ihnen nützlich sein könnte. Aber was kann ich machen, als Sie bewundern und bedauern? Ich lobe den klugen Entschluß, den Sie gefaßt haben, und doch erschreckt er mich, weil ich daraus schließe, daß Sie ihn für nötig gehalten haben; und wenn man einmal so weit ist, dann ist es sehr schwer, sich dauernd von dem fern zu halten, dem uns unser Herz immer nahebringt.

Doch verlieren Sie den Mut nicht. Nichts kann Ihrer reinen Seele unmöglich sein; und sollten Sie eines Tages das Unglück haben zu unterliegen – was Gott verhüte! – glauben Sie mir, liebe, schöne Frau, bewahren Sie sich für den Fall wenigstens den Trost, mit aller Macht gekämpft zu haben. Und dann, was die menschliche Vernunft nicht vermag, vollführt die göttliche Gnade, wenn es ihr gefällt. Vielleicht sind Sie am Vorabend dieses ihres Beistandes, und Ihre Tugend, die in diesem harten Kampf erprobt wurde, wird daraus reiner und leuchtender hervorgehen. Die Kraft, die Sie heute nicht haben, hoffen Sie immer, sie morgen zu empfangen. Rechnen Sie nicht damit, sich ganz auf sie zu verlassen, aber fassen Sie neuen Mut daraus, um alle Ihre Kräfte zu brauchen.

Wenn ich auch der Vorsehung die Sorge überlasse, Ihnen in einer Gefahr beizustehen, gegen die ich nichts vermag, so behalte ich mir doch vor, Sie zu unterstützen und zu trösten, soviel es in meiner Kraft steht. Ich werde Ihre Schmerzen nicht lindern, aber ich werde sie teilen. So will ich gerne übernehmen, was Sie mir vertrauen. Ich fühle, Ihr Herz hat Aussprache nötig; ich öffne Ihnen das meine; das Alter hat es noch nicht so weit abgekühlt, daß es für die Freundschaft unempfindlich wäre. Sie werden es immer bereit finden, Sie aufzunehmen. Es wird nur eine schwache Erleichterung für Ihre Schmerzen sein, aber Sie werden wenigstens nicht allein weinen. Und wenn diese unglückliche Liebe zu viel Gewalt über Sie bekommt und Sie zwingt, von ihr zu sprechen, so wird es besser mit mir als mit »ihm« sein. Sehen Sie, jetzt spreche ich wie Sie, und ich glaube, wir bringen es beide nicht fertig, seinen Namen zu nennen. Aber wir verstehen uns, nicht wahr?

Ich weiß nicht, ob ich wohl daran tue, Ihnen zu sagen, daß er mir durch Ihre Abreise sehr betroffen schien; es wäre vielleicht vernünftiger, Ihnen nicht davon zu sprechen. Aber ich mag diese Vernünftigkeit gar nicht, mit der man seine Freunde betrübt. Aber doch bin ich gezwungen, nicht länger davon zu sprechen. Meine schwachen Augen und meine zitternde Hand erlauben mir keine langen Briefe, wenn ich sie selbst schreiben muß.

Adieu also, meine schöne Liebe, adieu, mein liebes Kind. Ja, ich nehme Sie gerne als meine Tochter an, Sie haben ja alles, was den Stolz und die Freude einer Mutter ausmachen kann.

Schloß . . ., den 3. Oktober 17..


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