de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Zweiundneunzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Frau von Tourvel.

Noch ganz bestürzt durch Ihren Brief, gnädige Frau, weiß ich wirklich nicht, wie ihn beantworten. Ohne Zweifel, wenn zwischen Ihrem Unglück und dem meinen gewählt werden muß, so ist es an mir, mich zu opfern, und ich zaudere nicht. Aber so wichtige Dinge verdienen, scheint mir, vor allem besprochen und aufgeklärt zu werden, aber wie das erreichen, wenn wir uns weder sehen noch sprechen sollen?

Wie? Während uns die zärtlichsten Gefühle vereinen, soll eine eingebildete Furcht uns vielleicht für immer voneinander trennen? Vergebens sollen die zärtliche Freundschaft, die glühendste Liebe ihre Rechte verlangen und ihre Stimmen sollen nicht gehört werden? Und warum? Was ist denn das für eine Gefahr, die Sie bedroht? Ach, glauben Sie mir, solche Furchtanfälle, die so leicht kommen, sind, scheint mir, nur ein hinreichender Grund, sich sicher zu fühlen.

Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen sage: ich finde hier wieder die Spur der ungünstigen Meinungen, die man Ihnen über mich gegeben hat. Man zittert nicht in der Nähe des Mannes, den man schätzt; man vertreibt besonders nicht den, den man einiger Freundschaft würdig hielt; einen gefährlichen Menschen, den fürchtet und flieht man.

Wer aber war je respektvoller und ergebener als ich? Schon, Sie sehen es, beherrsche ich mich in meiner Sprache; ich erlaube mir nicht mehr jene süßen Worte, die meinem Herzen so lieb sind, und die es Ihnen im Geheimen immer weiter gibt. Es ist nicht mehr der treue und unglückliche Geliebte, der von der zärtlichen und gütigen Freundin Ratschläge und Tröstungen erhält, es ist der Angeklagte vor dem Richter, der Sklave vor dem Herrn! Diese neuen Titel erfordern ohne Zweifel neue Pflichten. Ich verpflichte mich, sie alle zu erfüllen. Hören Sie mich an, und wenn Sie mich verurteilen, werde ich zu Boden blicken und abreisen. Ich verspreche noch mehr: ziehen Sie den Despotismus vor, der verurteilt, ohne zu hören! Haben Sie den Mut zur Ungerechtigkeit! Befehlen Sie und ich gehorche auch dann noch.

Aber dieses Urteil oder diesen Befehl, ich will ihn aus Ihrem Munde hören. Warum? werden Sie fragen. Ach! wenn Sie so fragen, wie kennen Sie die Liebe und mein Herz wenig! Ist es denn nicht, Sie noch einmal zu sehen? Und wenn Sie die Verzweiflung in meine Seele bringen, wird vielleicht ein tröstender Blick sie davor bewahren, zu brechen. Wenn ich schon auf Liebe verzichten muß und auf Freundschaft, für die allein ich lebe, so werden Sie wenigstens Ihr Werk sehen, und Ihr Mitleid wird mir bleiben. Diese geringe Gunst, wenn ich sie selbst nicht verdiente, bezahle ich wohl und bereitwillig teuer genug, um zu hoffen, sie zu erlangen.

Wie! Sie wollen mich aus Ihrer Nähe entfernen! Sie lassen es zu, daß wir einer dem andern fremd werden! Was sage ich? Sie wünschen es! Und während Sie mir versichern, daß meine Abwesenheit Ihre Gefühle nicht verändern wird, beschleunigen Sie meine Abreise nur, um leichter an die Zerstörung dieser Gefühle gehen zu können.

Schon sprechen Sie mir davon, daß Sie diese Gefühle durch Dankbarkeit ersetzen wollen. Also ein Gefühl, das ein Fremder von Ihnen für eine kleinste Gefälligkeit bekäme, ja selbst Ihr Feind, wenn er aufhörte, Ihnen zu schaden, das ist es, was Sie mir bieten! Und Sie wollen, daß mein Herz sich damit begnügt! Befragen Sie das Ihrige. Wenn Ihr Geliebter, Ihr Freund, eines Tages zu Ihnen käme, Ihnen von Dankbarkeit reden wollte, würden Sie dem nicht entrüstet sagen: »Gehen Sie, Sie sind undankbar« –?

Ich schließe und rufe Ihre Nachsicht an. Verzeihen Sie den Ausdruck des Schmerzes, den Sie hervorrufen. Er wird meine treue Unterwerfung nicht hindern. Aber ich beschwöre Sie meinerseits, im Namen dieser süßen Gefühle, auf die Sie selbst sich berufen, weigern Sie sich nicht, mich anzuhören! Und aus Barmherzigkeit wenigstens für den tödlichen Zustand, in den Sie mich gestürzt haben, schieben Sie den Augenblick nicht auf. Adieu, gnädige Frau.

den 27. September 17.. Abend.


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