de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundeinunddreissigster Brief

Frau von Rosemonde an Frau von Tourvel.

Und warum, meine liebe Schöne, wollen Sie nicht mehr meine Tochter sein? Warum künden Sie mir an, daß unser Briefwechsel abgebrochen werden soll? Ist es etwas, um mich dafür zu strafen, daß ich nicht erraten habe, was gegen jede Wahrscheinlichkeit war? Oder haben Sie mich im Verdacht, ich hätte Sie absichtlich gekränkt? Nein, ich kenne Ihr Herz zu gut, um zu glauben, es dächte so von dem meinigen. So geht denn auch der Schmerz, den mir Ihr Brief bereitet hat, mehr Sie als mich selbst an.

O, meine junge Freundin! Ich sage es Ihnen mit Schmerz, aber Sie sind viel zu wertvoll, als daß die Liebe Sie je glücklich machen könnte. Denn, welche wirklich fein empfindende Frau hat nicht Mißgeschick in eben dem Gefühl gefunden, das ihr so viel Glück versprach! Wissen denn die Männer die Frau, die sie besitzen, zu schätzen? Nicht, daß nicht viele ehrbar wären und beständig in ihren Neigungen: aber selbst unter denen, wie wenige verstehen es, sich mit unserem Herzen in Einklang zu setzen! Glauben Sie nicht, mein liebes Kind, daß ihre Liebe der unseren gleicht. Sie empfinden wohl denselben Rausch, oft sogar mit noch größerer Heftigkeit, aber sie kennen diese Unruhe nicht, nicht diese bekümmerte Sorge, die in uns diese zärtlichen und fortgesetzten Aufmerksamkeiten hervorruft, und deren einziges Ziel immer der geliebte Mann ist. Der Mann genießt das Glück, das er empfindet, und die Frau das, das sie verschafft. Dieser so wesentliche und so wenig bemerkte Unterschied beeinflußt auf deutlich empfindbare Art das ganze Verhalten der beiden zueinander. Das Vergnügen des einen ist, seine Begierden zu befriedigen, das der andern ist vor allem, sie hervorzurufen. Zu gefallen ist für ihn nur ein Mittel zum Erfolg; während es für die Frau der Erfolg selber ist. Und die Koketterie, die man den Frauen so oft vorwirft, ist nichts anderes als der Mißbrauch dieser Empfindungsweise und beweist gerade deren Vorhandensein. Und schließlich ist dieser ausschließliche Geschmack an einem Wesen, der besonders die Liebe charakterisiert, beim Manne nur eine Vorliebe, dazu meistens nur geeignet, sein Vergnügen zu vergrößern, das ein anderer Gegenstand vielleicht schwächen, aber nicht zerstören würde. Bei den Frauen aber ist dieser Geschmack ein tiefes Gefühl, das nicht nur alle fremde Begierde vernichtet, sondern das, stärker als die Natur und ganz ihrer Herrschaft entzogen, sie nur Widerwillen und Abscheu sogar dort empfinden läßt, wo scheinbar Wollust vorhanden sein müßte.

Glauben Sie nicht, daß mehr oder weniger Ausnahmen, die man anführen kann, diesen allgemeinen Wahrheiten entgegengehalten werden können! Diese Wahrheiten haben als Bürge die öffentliche Meinung, die nur für die Männer Untreue von Unbeständigkeit unterscheidet: eine Unterscheidung, aus der sie Vorteil ziehen, statt daß sie sich davon gedemütigt fühlen. Bei unserem Geschlecht ist sie nur bei den verderbten Frauen in Aufnahme gekommen, die auch die Schande des Geschlechts und denen alle Mittel gleich gut sind, wenn sie ihnen nur die Hoffnung geben, sie könnten dem peinlichen Gefühl ihrer Niedrigkeit dadurch entgehen.

Ich dachte, meine liebe Schöne, es könnte Ihnen vielleicht nützlich sein, wenn Sie diese Betrachtungen der Chimäre vom vollkommenen Glück entgegenzuhalten hätten, womit die Liebe immer unsere Phantasie betrügt. Trügerische Hoffnung, an die man sich selbst dann noch hängt, wenn man sich gezwungen sieht sie aufzugeben, und deren Verlust den von einer echten Leidenschaft untrennbaren Schmerz noch reizt und vermehrt. Diese Aufgabe, Ihre Leiden zu lindern, oder einige zu verhüten, ist die einzige, die ich jetzt haben will und kann. Bei Krankheiten, die nicht zu heilen sind, können Ratschläge nur noch auf die Lebensweise sich beziehen. Was ich nur von Ihnen verlange ist, Sie möchten bedenken, daß einen Kranken bedauern, nicht ihm Vorwürfe machen heißt. Wer sind wir denn, daß wir einander Vorwürfe machen dürften! Überlassen wir das Recht zu richten dem, der in unserem Herzen liest; und ich wage selbst zu glauben, daß in seinen väterlichen Augen eine Menge Tugenden eine Schwäche gut machen können.

Aber ich flehe Sie an, meine liebe Freundin, wehren Sie sich vor allem gegen gewaltsame Entschließungen, die weniger Kraft als gänzliche Entmutigung verraten. Vergessen Sie nicht, daß Sie, als Sie einen andern zum Eigentümer Ihres Daseins machten, – um mich Ihres Ausdruckes zu bedienen, – doch Ihre Freunde nicht um das bringen können, was sie schon vorher besessen, und das sie unaufhörlich zurückfordern werden.

Gott mit Ihnen, meine liebe Tochter; gedenken Sie zuweilen Ihrer zärtlichen Mutter und glauben Sie mir, daß Sie immer und über alles der Gegenstand ihrer liebsten Gedanken sein werden.

Schloß . . ., den 4. November 17..


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