de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundneunundsechzigster Brief

Frau von Volanges an Frau von Rosemonde.

Es gehen hier, meine liebe Freundin, über Frau von Merteuil recht seltsame und ärgerliche Gerüchte um. Sicherlich bin ich weit entfernt davon, daran zu glauben, und ich wollte wetten, daß es nur eine häßliche Verleumdung ist, aber ich weiß zu gut, wie leicht Boshaftigkeiten, selbst die unwahrscheinlichsten Festigkeit bekommen, und wie schwer der Eindruck, den sie zurücklassen, sich wieder verwischt; und darum bin ich über diese hier doch sehr beunruhigt, so leicht sie auch, wie ich glaube, zu zerstören sind. Ich wünschte vor allem, daß man ihnen rechtzeitig Einhalt täte, ehe sie zu weit verbreitet sind. Aber ich habe erst gestern, und sehr spät, all diese Abscheulichkeiten erfahren, die man zu verbreiten erst anfängt; und als ich heute morgen zu Frau von Merteuil schickte, war sie gerade aufs Land gereist, wo sie zwei Tage bleiben soll. Man konnte mir bei ihr nicht sagen, zu wem sie gegangen ist. Ihre zweite Kammerfrau, die ich mir kommen ließ, hat mir gesagt, ihre Herrin habe nur den Auftrag gegeben, sie kommenden Donnerstag zu erwarten; und von ihren Leuten, die sie hier gelassen hat, weiß keiner mehr. Ich selbst kann mir nicht denken, wo sie sein kann. Ich weiß niemanden aus ihrer Bekanntschaft, der so spät noch auf dem Lande wäre.

Wie dem auch sei, Sie werden mir vielleicht bis zu ihrer Rückkunft einige Aufklärungen geben können, die ihr nützlich sein können. Denn man gründet diese häßlichen Geschichten auf die Umstände, die mit dem Tode des Herrn von Valmont zusammenhängen sollen, von denen Sie vielleicht unterrichtet sind, wenn sie wirklich wahr sind, oder über die Sie sich leicht erkundigen können, um welche Gefälligkeit ich Sie sehr bitte. Ich will Ihnen sagen, was man hier herumspricht, oder richtiger, was man hier herumflüstert, was aber sicher bald geräuschvoller gesagt werden wird.

Man sagt also, daß der Streit zwischen Herrn von Valmont und dem Chevalier Danceny das Werk der Frau von Merteuil ist, die alle beide betrog; daß, wie es ja fast immer geht, die beiden Rivalen sich zuerst geschlagen haben, und sich erst nachher Aufklärungen gaben; daß diese eine vollkommene Versöhnung herbeiführten; und um den Chevalier Danceny Frau von Merteuil vollauf erkennen zu lehren und um sich ganz und gar zu rechtfertigen, hat Herr von Valmont seinen Worten eine Menge Briefe beigefügt, einen regelrechten Briefwechsel, den er mit ihr unterhalten habe, und worin sie über sich selbst in freiester Sprache die skandalösesten Anekdoten erzähle.

Es wird noch weiter erzählt, daß Danceny in seiner ersten Empörung diese Briefe jedem zeigte, der sie sehen wollte, und daß sie jetzt in Paris umlaufen. Man führt besonders zwei Briefe an: einer, worin sie die ganze Geschichte ihres Lebens und ihrer Grundsätze erzählt, und der das Höchste an gemeiner Niedertracht sein soll, und ein anderer, der Herrn von Prévan – an dessen Geschichte Sie sich wohl erinnern – vollständig rechtfertigt durch den darin enthaltenen Beweis, daß er im Gegenteil nur dem Entgegenkommen der Frau von Merteuil nachgegeben hat, und daß jenes Stelldichein mit ihr eine abgemachte Sache war.

Ich habe nun zum Glück die stärksten Gründe zu der Annahme, daß diese Bezichtigungen ebenso falsch wie gehässig sind. Erstens wissen wir beide doch nur zu gut, daß Herr von Valmont sich sicher nicht mit Frau von Merteuil abgab, und ich habe auch allen Grund anzunehmen, daß Danceny sich ebensowenig mit ihr einließ; somit scheint es mir erwiesen, daß sie weder Ursache noch Anstifterin des Streites hat sein können. Ich verstehe auch nicht, welches Interesse Frau von Merteuil, die man im Einverständnis mit Herrn von Prévan vermutete, daran gehabt haben soll, eine solche Szene herbeizuführen, die doch für sie nur Unangenehmes haben und sehr gefährlich für sie werden konnte, weil sie sich dadurch einen unversöhnlichen Feind in einem Manne schuf, der nun einmal Mitwisser ihres Geheimnisses war und der sehr viele Anhänger hatte. Es ist außerdem zu bemerken, daß sich seit diesem Abenteuer keine Stimme zugunsten Prévans erhoben hat, und daß selbst von seiner Seite kein einziger Einspruch stattgefunden hat.

Diese Erwägungen könnten mich auf den Verdacht bringen, daß er der Urheber dieser Gerüchte ist, und daß diese Verdächtigung das Werk der Rache und des Hasses eines Mannes ist, der sich verloren sieht und auf diese Weise wenigstens Zweifel zu verbreiten und eine ihm vielleicht nützliche Ablenkung zu bewirken hofft. Von welcher Seite aber auch diese Böswilligkeiten kommen, das Nächste und Dringendste ist, sie zu zerstören. Sie würden von selbst hinfällig werden, wenn es sich, wie es wahrscheinlich ist, herausstellte, daß Herr von Valmont und Herr von Danceny sich nach der unglücklichen Affäre nicht mehr gesprochen haben, und daß gar keine Papiere ausgefolgt worden sind.

In meiner Ungeduld, diese Tatsache auf ihren Inhalt zu prüfen, habe ich heute morgen zu Herrn von Danceny geschickt; er ist aber auch nicht in Paris. Seine Leute sagten meinem Kammerdiener, er sei diese Nacht abgereist auf eine Mitteilung hin, die er gestern empfing, und sein Aufenthalt sei ein Geheimnis. Offenbar fürchtet er die Folgen des Duells. So kann ich nur von Ihnen, meine liebe und würdige Freundin, die Einzelheiten erfahren, die mich interessieren, und die Frau von Merteuil so nötig haben kann. Ich wiederhole meine Bitte, sie mir so schnell als möglich zukommen zu lassen.

P. S. Das Unwohlsein meiner Tochter hatte keine weiteren Folgen; sie entbietet Ihnen ihre Ehrerbietung.

Paris, den 11. Dezember 17..


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