de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundneunter Brief

Frau von Tourvel an Frau von Rosemonde.

O meine nachsichtige Freundin, wie bin ich Ihnen Dank schuldig, und wie sehr bedurfte ich Ihres Briefes! Ich las ihn und las ihn immer wieder; ich konnte mich nicht davon trennen. Ich verdanke ihm die einzigen wenigen schmerzlichen Momente, die ich seit meiner Abreise zubrachte. Wie sind Sie gütig! Ehrbarkeit und Tugend können also doch mit der Schwäche Mitleid fühlen! Sie haben Mitleid mit meinen Schmerzen! Ach! Wenn Sie sie kennten ...! Sie sind schrecklich. Ich glaubte, die Schmerzen der Liebe überwunden zu haben; aber die unaussprechliche Qual, die man gefühlt haben muß, um sie zu kennen, ist die, sich von dem trennen zu müssen, was man liebt, – sich auf ewig von ihm trennen zu müssen! ... Ja, der Schmerz, der mich heute niederdrückt, wird morgen wiederkommen, und übermorgen, all mein Leben lang! Mein Gott, wie ich noch jung bin, und wie viel Zeit mir noch zum Leiden bleibt!

Selbst der Urheber seines Unglückes sein zu müssen, mit den eigenen Händen das Herz zu zerreißen; und während man diese unerträglichen Schmerzen leidet, zu fühlen, daß man sie mit einem einzigen Wort beenden kann, und daß dieses Wort ein Verbrechen ist! – Ach Freundin! ...

Als ich diesen so schmerzlichen Entschluß faßte, um seiner Nähe zu entfliehen, da hoffte ich, die Abwesenheit würde meinen Mut und meine Kraft vermehren. Aber wie sehr habe ich mich getäuscht! Sie scheinen im Gegenteil vollends vernichtet und gebrochen. Ich hatte vorher gegen mehr zu kämpfen, es ist wahr, aber selbst während ich widerstand, war doch nicht alles Entbehrung. Wenigstens sah ich ihn doch manchmal. Oft fühlte ich sogar, wenn ich es wagte, die Augen nach ihm zu wenden, seinen Blick auf mich gerichtet. Ja, meine Freundin, ich fühlte seinen Blick, und mir schien es, als wärmte er mir wieder die Seele; und ohne den Weg durch meine Augen trafen seine Blicke doch in mein Herz. Jetzt, in meiner schmerzvollen Einsamkeit, getrennt von allem was mir teuer ist, allein mit meinem Unglück, wird jeder Augenblick meines traurigen Daseins durch meine Tränen bezeichnet, und nichts mildert ihre Bitterkeit, kein Trost kommt zu meinen Opfern, und die bisher gebrachten haben nur dazu gedient, die mir noch fühlbarer zu machen, die mir zu bringen übrigbleiben. Gestern noch habe ich das aufs schmerzlichste empfunden. Unter den Briefen, die man mir brachte, war einer von ihm. Der Überbringer war noch zwei Schritte von mir entfernt, da hatte ich ihn schon unter den andern erkannt. Unwillkürlich stand ich auf; ich zitterte und hatte Mühe, meine Erregung zu verbergen; und dieser Zustand – war nicht ohne Lust. Allein im nächsten Augenblick ist diese trügerische Lust bald geschwunden, und nichts blieb mir, als noch ein Opfer zu bringen. Durfte ich denn diesen Brief öffnen, den ich doch zu lesen brannte? Kraft des Schicksales, das mich verfolgt, verursachen mir die Tröstungen, die sich mir scheinbar bieten, nur im Gegenteil neue Entbehrungen; und diese hier wurden um so grausamer durch den Gedanken, daß sie Herr von Valmont teilt.

Da steht er, dieser Name, der mich immer beschäftigt, und den hin zu schreiben mir so schwer wurde. Die Art Vorwurf, die Sie mir daraus machen, hat mich ganz erschreckt. Glauben Sie, ich bitte Sie, daß keine falsche Scham mein Vertrauen zu Ihnen beeinträchtigt hat; warum sollte ich mich scheuen, ihn bei Namen zu nennen? Ach! Ich erröte über meine Gefühle, aber nicht über den, der sie verursacht. Welcher andere wäre würdiger, sie einzuflößen! Indes, ich weiß nicht, warum dieser Name mir nicht ganz natürlich sich in meine Feder drängt; auch diesmal wieder brauchte es Überlegung, bis ich ihn hinschrieb. Ich komme wieder auf ihn.

Sie schreiben mir, er sei Ihnen »schmerzlich betroffen« über meine Abreise erschienen. Was hat er denn getan? Was hat er gesagt? Hat er davon gesprochen, nach Paris zurückzukommen? Ich bitte Sie, bringen Sie ihn so viel sie können davon ab. Wenn er mich richtig beurteilt hat, kann er mir wegen dieses Schrittes nicht zürnen, muß aber auch fühlen, daß es unwiderruflich so bleiben muß. Eine meiner größten Qualen ist, daß ich nicht weiß, was er denkt. Ich habe da zwar noch seinen Brief liegen . . . aber Sie sind sicher meiner Meinung, daß ich ihn nicht öffnen darf.

Nur Sie, meine nachsichtige Freundin, können es machen, daß ich nicht ganz von ihm getrennt werde. Ich will Ihre Güte nicht mißbrauchen; ich fühle sehr wohl, daß Ihre Briefe nicht lang sein können; aber Sie werden Ihrem Kinde nicht zwei Worte verweigern: eins, um seinen Mut aufrechtzuerhalten, und das andere, um es über diesen traurigen Mut zu trösten. Leben Sie wohl, meine ehrwürdige Freundin.

Paris, den 5. Oktober 17..


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