de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundfünfzehnter Brief

Frau von Tourvel an Frau von Rosemonde.

Meine liebe Freundin! Ich gebe meiner lebhaften Unruhe nach, und ohne zu wissen, ob Sie imstande sein werden, mir zu antworten, kann ich mich nicht enthalten, mich nach dem Zustande des Herrn von Valmont zu erkundigen, den Sie als gefahrlos bezeichnen, was mir aber doch keine solche Sicherheit gibt, wie, scheint es, Ihnen. Es ist nicht selten, daß Schwermut und Weltschmerz die Vorboten einer schweren Krankheit sind. Die Schmerzen des Körpers wie die des Geistes erregen das Bedürfnis nach Einsamkeit; und oft wirft man schlechte Laune dem vor, den man wegen seiner Leiden eigentlich bedauern sollte.

Mir scheint, daß er wenigstens jemanden um Rat fragen sollte. Wie kommt es, daß Sie, die Sie selbst krank sind, keinen Arzt bei sich haben? Der meine, den ich heute, wie ich Ihnen nicht verhehle, indirekt konsultiert habe, ist der Meinung, daß bei Menschen, die von Natur aus tätig sind, diese plötzliche Apathie niemals unbeachtet bleiben darf; und wie er mir gleichfalls sagte, weichen die Krankheiten der Behandlung nicht mehr, wenn diese nicht zur rechten Zeit in Angriff genommen wurden. Warum wollen Sie jemanden, der Ihnen so teuer ist, dieser Gefahr aussetzen! Was meine Unruhe verdoppelt, ist, daß ich seit vier Tagen keine Nachrichten mehr von ihm erhalte. Mein Gott! Täuschen Sie mich nicht über seinen Zustand? Warum sollte er auf einmal aufgehört haben mir zu schreiben? Wenn es nur darum wäre, weil ich ihm eigensinnig jeden Brief zurückschickte, so würde er, glaube ich, den Entschluß, nicht zu schreiben, schon früher gefaßt haben. Ohne an Vorgefühle zu glauben, bin ich seit einigen Tagen von einer Traurigkeit erfüllt, die mich erschreckt. Ach, vielleicht stehe ich am Vorabend des größten Unglückes!

Sie würden es nicht glauben, und ich schäme mich, es Ihnen zu gestehen, wie es mich schmerzt, diese selben Briefe nicht mehr zu erhalten, die zu lesen ich mich jedoch jetzt noch weigern würde. Ich war wenigstens sicher, daß er an mich denkt! Und ich sah etwas, was von ihm kam. Ich öffnete sie nicht, diese Briefe, aber ich sah sie an und weinte. Meine Tränen waren sanfter und leichter, und nur sie verscheuchten zum Teil diese gewöhnliche Beklemmung, die ich seit meiner Rückkunft empfinde. Ich beschwöre Sie, meine nachsichtige Freundin, schreiben Sie mir selbst, sobald Sie können; und inzwischen lassen Sie mich täglich wissen, wie es Ihnen und ihm geht.

Ich bemerke gerade, daß ich kaum ein Wort für Sie sagte, aber Sie kennen meine Gefühle, meine rückhaltlose Anhänglichkeit, meine zärtliche Dankbarkeit für Ihre gefühlvolle Freundschaft; Sie werden die Erregung verzeihen, in der ich mich befinde, der Angst vor dem Schlimmsten, dessen Ursache vielleicht ich bin. Großer Gott! dieser zur Verzweiflung treibende Gedanke verfolgt mich und zerreißt mir das Herz. Dieses Unglück fehlte mir noch, und ich fühle, ich bin geboren, es durchzumachen.

Leben Sie wohl, meine liebe Freundin; haben Sie mich lieb, und bedauern Sie mich. Werde ich heute einen Brief von Ihnen bekommen?

Paris, den 16. Oktober 17...


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