de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundachter Brief

Azolan an den Vicomte von Valmont.

Herr Vicomte! Nach Erhalt Ihres Briefes ging ich sofort zu Herrn Bertrand, der mir die fünfundzwanzig Louis auszahlte, wie Sie ihm befohlen haben. Ich habe zwei Louis mehr verlangt für Philipp, dem ich gesagt hatte, er soll auf der Stelle aufbrechen, wie es mir der gnädige Herr Vicomte befohlen haben, und der kein Geld nicht hatte. Ihr Herr Geschäftsführer wollte aber nicht, indem er sagte, er hätte keinen Auftrag von Ihnen dafür. Also war ich genötigt, sie von mir aus zu geben, und der gnädige Herr rechnet mir sie an, wenn er die Güte haben will.

Philipp ist gestern abend fort. Ich habe ihm dringend empfohlen, das Wirtshaus nicht zu verlassen, damit man ihn sicher findet, wenn man ihn braucht.

Gleich darauf bin ich zu der Frau Präsidentin, um Fräulein Julie zu besuchen; sie war aber aus, und ich sprach nur mit La Fleur, von dem ich nichts erfahren konnte, weil er seit seiner Ankunft nur zur Essenszeit im Hause gewesen. Es war der Zweite, der den Dienst getan hat, und der gnädige Herr wissen, daß ich den nicht kenne. Aber heute habe ich angefangen damit.

Ich ging heute früh wieder zu Fräulein Julie, und sie schien sehr erfreut, mich zu sehen. Ich fragte sie aus, warum ihre Herrin fortgereist ist, aber sie sagte, sie wüßte darüber nichts, und ich glaube, daß sie die Wahrheit gesagt hat. Ich warf ihr vor, daß sie mir von ihrem Abschied nichts gesagt habe, und sie versicherte mir, sie habe es selbst erst erfahren, als sie die gnädige Frau abends zu Bett brachte; so daß sie die ganze Nacht hindurch packen mußte, und das arme Mädchen keine zwei Stunden geschlafen hat. Sie ist an dem Abend erst nach ein Uhr aus dem Zimmer der gnädigen Frau gegangen und hat sie verlassen, wie diese sich zum Schreiben hinsetzte.

Am Morgen bei der Abfahrt hat Frau von Tourvel dem Hausmeister des Schlosses einen Brief übergeben. Fräulein Julie weiß nicht für wen; sie sagt, vielleicht für den Herrn Vicomte; aber der Herr Vicomte sagen mir davon nichts.

Während der ganzen Reise hat die Gnädige eine große Kapuze überm Gesicht gehabt, so daß man sie nicht sehen konnte; aber Fräulein Julie glaubt bestimmt, daß sie oft geweint hat. Sie sprach auf dem ganzen Wege kein Wort und wollte in *** nicht halten, wie sie auf der Hinfahrt getan hat; was Fräulein Julie nicht sehr angenehm war, die ja nicht gefrühstückt hatte. Aber, wie ich ihr sagte, die Herren sind die Herren. Bei der Ankunft hat sich die gnädige Frau ins Bett gelegt, blieb aber nur zwei Stunden liegen. Wie sie aufgestanden ist, hat sie den Schweizer rufen lassen und ihm Befehl gegeben, niemanden einzulassen. Sie hat überhaupt gar keine Toilette nicht gemacht. Sie hat sich zu Tisch gesetzt, aber nur ein wenig Suppe gegessen und ist gleich wieder hinein. Man hat ihr den Kaffee aufs Zimmer gebracht, und Fräulein Julie ist gleichzeitig hinaus. Sie hat ihre Herrin beim Ordnen von Papieren in ihrem Sekretär getroffen, und hat gesehen, daß es Briefe waren. Ich möchte wetten, es waren die vom Herrn Vicomte, und von den drei, die am Nachmittag bei ihr ankamen, hat sie den einen am ganzen Abend noch vor sich liegen gehabt! Ich bin ganz sicher, daß der auch vom Herrn Vicomte war. Aber warum ist sie denn so weggelaufen? Das wundert mich! Übrigens werden es der Herr Vicomte ja wissen. Und es geht mich auch nichts an.

Die Frau Präsidentin ist am Nachmittag in die Bibliothek und hat zwei Bücher herausgenommen, die sie mit in ihr Boudoir genommen hat; aber Fräulein Julie versichert, sie hätte den ganzen Tag keine Viertelstunde darin gelesen, und daß sie immer nur den gewissen Brief gelesen und geträumt und den Kopf in die Hand gestützt gesessen hat. Da ich mir dachte, der gnädige Herr würden sich freuen, wenn gnädiger Herr wüßten, was das für Bücher sind, und da Fräulein Julie es nicht wußte, so habe ich mich heute in die Bibliothek führen lassen, unter dem Vorwand, ich wollte sie ansehen. Es fehlten in der Reihe nur zwei Bücher: das eine ist der zweite Band der »Christlichen Gedanken«, und das andere der erste von einem Buch, das »Clarissa« heißt. Ich schreibe genau wie es dasteht; der gnädige Herr werden schon wissen, was es ist.

Am Abend haben die gnädige Frau nicht zu Abend gegessen, außer nur Tee.

Heute hat sie in aller Früh geklingelt und für gleich ihre Pferde verlangt und ist vor 9 Uhr in die Feuillantiner Kirche gefahren, wo sie die Messe gehört hat. Sie hat beichten wollen, aber ihr Beichtvater war nicht da und kommt erst in acht bis zehn Tagen zurück. Ich dachte mir, es sei gut, wenn ich das dem Herrn Vicomte melde.

Darauf ist sie nach Haus, hat gefrühstückt, und sich dann an den Schreibtisch gesetzt, wo sie über eine Stunde sitzen geblieben ist. Ich habe bald Gelegenheit gefunden zu dem, was der Herr Vicomte am meisten wünschen; denn ich war's, der die Briefe zur Post getragen hat. Für Frau von Volanges war keiner dabei; aber einen schicke ich dem gnädigen Herrn, der war für den Herrn Präsidenten. Mir kam vor, das müsse der interessanteste sein. Es war auch einer für Frau von Rosemonde dabei, aber ich habe mir gedacht, der gnädige Herr würden den auch so zu sehen bekommen, wenn er wollte, und so hab' ich ihn abgehen lassen. Im übrigen werden der Herr Vicomte wohl alles erfahren, denn die Frau Präsidentin schreibt ja auch an ihn. Ich kann für die Folge alle kriegen, die der gnädige Herr wünschen; denn es ist fast immer Fräulein Julie, die sie den Leuten gibt, und sie hat mir bestimmt versichert, aus Freundschaft für mich und auch zum gnädigen Herrn würde sie gerne tun, was ich will.

Sie hat nicht einmal Geld annehmen wollen, das ich ihr anbot; aber ich denke wohl, der gnädige Herr werden ihr ein kleines Geschenk machen wollen; und wenn das der Wille vom gnädigen Herrn ist und er mich damit betrauen will, so kann ich leicht erfahren was ihr Spaß macht.

Ich hoffe, der gnädige Herr werden nicht finden, daß ich nachlässig in seinem Dienst war, und es liegt mir sehr am. Herzen, mich von den Vorwürfen, die er mir macht, zu reinigen. Wenn ich von der Abreise der Frau Präsidentin nichts wußte, so ist daran im Gegenteil mein Eifer im Dienst des Herrn Vicomte schuld, denn aus Eifer bin ich um 3 Uhr früh aufgebrochen, so daß ich Fräulein Julie am Abend vorher nicht zu sehen bekommen habe, weil ich wie gewöhnlich in die Dienerherberge schlafen gegangen bin, um niemand im Schloß aufzuwecken.

Was den Vorwurf von Herrn Vicomte anbetrifft, ich sei oft ohne Geld, so kommt das erstens daher, weil ich mich gerne sauber halte, wie der gnädige Herr sehen können; und dann muß man ja doch auch die Ehre des Rockes bewahren, den man trägt. Ich weiß wohl, ich sollte vielleicht für die Zukunft etwas sparen, aber ich vertraue gänzlich der Großmut von Herrn Vicomte, der ein so guter Herr ist.

Was den Dienst bei Frau von Tourvel betrifft, indem ich in den Diensten des Herrn Vicomte bleibe, so hoffe ich, der gnädige Herr werden das nicht von mir verlangen. Bei der Frau Herzogin war es ganz was anderes; aber eine Livree werde ich bestimmt nicht tragen, und noch dazu eine Vom Beamtenadel, wo ich die Ehre gehabt habe, Jäger beim Herrn Vicomte zu sein. In allem andern können der gnädige Herr verfügen über den, der die Ehre hat zu sein, mit ebensoviel Respekt wie Anhänglichkeit, sein ganz gehorsamer Diener Roux Azolan, Jäger.

Paris, den 5. Oktober 17.., um 11 Uhr abends.


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