de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundfünfunddreissigster Brief

Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont.

Wirklich, Vicomte, Sie sind wie die Kinder, vor denen man nichts sagen darf und denen man nichts zeigen kann, ohne daß sie es gleich haben wollen! Ein einfacher Gedanke, der mir kommt, und bei dem ich mich, ich sagte es Ihnen auch noch, nicht aufhalten will, wenn ich auch mit Ihnen davon spreche, – den mißbrauchen Sie, um darauf meinen Willen hinzulenken, mich darauf festzulegen, während ich davon loszukommen suche; und machen, daß ich gewissermaßen gegen meinen Willen Ihre törichten Wünsche teile! Ist es denn vornehm von Ihnen, mich allein die ganze Last der Vorsicht tragen zu lassen? Ich sage es Ihnen nochmals, und wiederhole es mir noch öfter, die Einrichtung, die Sie mir vorschlagen, ist ganz unmöglich. Wenn Sie auch den ganzen Edelmut dabei betätigten, den Sie mir in diesem Moment zu erkennen geben, glauben Sie denn, daß ich nicht auch mein Zartgefühl habe, und daß ich Opfer annehmen wollte, die Ihrem Glücke schaden?

Ist es denn wahr, Vicömte, daß Sie sich über das Gefühl, das Sie an Frau von Tourvel knüpft, Täuschungen machen? Das ist Liebe, oder es hat nie welche gegeben! Sie leugnen sie zwar auf hundert Arten, beweisen sie aber auf tausend. Was sind denn zum Beispiel das für Ausflüchte, die Sie sich selbst gegenüber gebrauchen (denn Sie sind, glaube ich, mir gegenüber aufrichtig), Sie schreiben der Lust an der Beobachtung den Wunsch zu, den Sie weder verbergen noch unterdrücken können: diese Frau zu behalten. Sollte man nicht glauben, daß Sie nie eine andere Frau glücklich gemacht haben, vollkommen glücklich? Ach, wenn Sie daran zweifeln, dann haben Sie sehr wenig Gedächtnis! Aber nein, das ist es nicht. Ihr Herz hintergeht ganz einfach Ihren Geist, und läßt ihn mit faulen Gründen sich zufrieden geben. Ich aber, die ich ein großes Interesse daran habe, mich hier nicht zu irren, bin nicht so leicht zu befriedigen.

So habe ich ja wohl Ihre bedachte Höflichkeit bemerkt, und daß Sie alle Worte sorgsam unterdrückten, von denen Sie gedacht haben, sie hätten mir mißfallen. Ich habe aber doch gesehen, daß Sie, ohne daß Sie es selbst bemerkten, darum doch noch dieselben Gedanken darüber hegten. Gewiß: es ist nicht mehr die anbetungswürdige, die himmlische Frau von Tourvel, aber es ist eine »erstaunliche« Frau, eine »zartfühlende und feinempfindende Frau«, eine Frau, daß man »von ihrer Art keine zweite trifft«. Und ebenso ist es mit dem unbekannten Reiz, der nicht der »stärkste« ist. Gut, mag sein; da Sie ihn aber bis jetzt noch nie gefunden hatten, ist es wohl sehr glaubhaft, daß Sie ihn in Zukunft ebensowenig finden würden, und der Verlust, der Ihnen dadurch entstände, wäre darum nicht weniger unersetzlich. Das sind, Vicomte, entweder sichere Symptome von Liebe, oder man muß darauf verzichten, je eines finden zu wollen.

Seien Sie versichert, daß ich dieses Mal ohne Verstimmung zu Ihnen spreche. Ich habe mir geschworen, mich keiner mehr hinzugeben; ich habe nur zu gut eingesehen, daß Verstimmungen zu gefährlichen Fallen werden können. Glauben Sie mir, seien wir nichts als gute Freunde, und lassen wir's dabei. Sie sollten mir Dank für den Mut wissen, womit ich mich verteidige. Ja, Mut; denn man braucht ihn manchmal, sei es auch nur, um nicht einen Entschluß zu treffen, von dem man fühlt, daß er schlecht ist.

Es ist also nur noch, um Sie durch Überredung zu meiner Ansicht zu bekehren, daß ich auf Ihre Frage betreffs der Opfer antworte, aber die ich beanspruchen würde und die Sie mir nicht würden bringen können. Ich gebrauche absichtlich das Wort »beanspruchen«, weil ich weiß, daß Sie mich sofort anspruchsvoll finden werden. Aber um so besser! Weit entfernt, mich über Ihre Weigerung zu ärgern, werde ich Ihnen, sogar dafür danken. Schauen Sie, Ihnen gegenüber will ich doch nicht heucheln – das hab' ich wirklich nicht nötig.

Ich würde also beanspruchen – sehen Sie die Grausamkeit! – daß diese seltene, diese erstaunliche Frau von Tourvel nichts anderes als eine gewöhnliche Frau sein sollte, eine Frau, wie sie eben eine ist; denn darüber darf man sich nicht täuschen: dieser Zauber, den man in den andern zu finden glaubt, liegt nur in uns selbst, und es ist nur die Liebe, die den geliebten Gegenstand so sehr verschönt. So unmöglich auch ist, was ich da von Ihnen verlange, würden Sie vielleicht doch einen Versuch machen, es mir versprechen, ja selbst schwören; aber ich gestehe: leeren Reden würde ich nicht glauben. Es könnte mich nur Ihr ganzes Verhalten überzeugen.

Das ist aber noch nicht alles; ich wäre launenhaft. An dem Opfer der kleinen Cécile, das Sie mir so freundlich anbieten, wäre mir doch gar nichts gelegen. Ich würde im Gegenteil sogar verlangen, diesen mühevollen Dienst weiter zu besorgen bis auf weitere Befehle von mir, sei es, daß mir auf diese Weise meine Macht zu mißbrauchen gefiele; sei es, daß ich nachgiebiger oder gerechter mich damit begnügte, über Ihre Gefühle zu verfügen, ohne Ihr Vergnügen stören zu wollen. Wie auch immer, ich würde Gehorsam verlangen, und meine Befehle würden streng sein.

Es ist ja wahr, daß ich mich dann verpflichtet fühlen würde, Ihnen zu danken, vielleicht sogar, kann man's wissen? Sie zu belohnen. Sicher würde ich diese Abwesenheit abkürzen, die mir unausstehlich werden würde. Ich würde Sie endlich wiedersehen, Vicomte, ich würde – Sie wiedersehen ... wie? ... Aber Sie vergessen doch nicht, daß das nur ein Gespräch ist, die bloße Erzählung eines unausführbaren Planes, und ich will nicht die einzige sein, die es vergißt ...

Wissen Sie, daß mein Prozeß mich ein wenig beunruhigt? Ich wollte endlich aufs genaueste wissen, welches Mittel ich in der Hand habe; meine Advokaten kommen mir wohl mit ein paar Gesetzen und besonders mit vielen »Autoritäten«, wie sie sie nennen, aber ich kann weder viel Vernunft noch viel Gerechtigkeit darin erkennen. Ich bin fast so weit, es zu bereuen, den Ausgleich abgelehnt zu haben. Indes beruhige ich mich mit dem Gedanken, daß der Prokurator geschickt, der Advokat beredt und die Prozeßführerin hübsch ist. Wenn diese drei Mittel nichts mehr gelten sollten, müßte man den ganzen Prozeßgang ändern, und was würde dann aus dem Respekt vor den alten Gebräuchen!

Dieser Prozeß ist das einzige, was mich hier zurückhält. Der des Belleroche ist beendet: vom Gericht erledigt, Unkosten vergütet... Der Herr ist schon so weit, sich nach dem Ball heute abend zu sehnen – die richtige Sehnsucht eines Unbeschäftigten! Er hat seine ganze Freiheit – wieder nach meiner Rückkehr in die Stadt. Ich bringe ihm dieses schmerzhafte Opfer und tröste mich mit der Hochherzigkeit, die er darin findet. Adieu, Vicomte, schreiben Sie mir oft; das Detail Ihrer Freuden wird mich einigermaßen entschädigen für die Langeweile und den Ärger, den ich hier habe.

Schloß . . ., den 11. November 17..


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