de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertvierundvierzigster Brief

Frau von Tourvel an Frau von Rosemonde.

Der Schleier ist gerissen, gnädige Frau, auf den das Trugbild meines Glückes gemalt war. Unheilvolle Wahrheit leuchtet mir und läßt mich einen sicheren und nahen Tod sehen, zu dem der Weg mir zwischen Scham und Reue vorgezeichnet ist. Ich werde ihn gehen ... Ich werde meine Qualen lieben, wenn sie mein Dasein abkürzen. Ich schicke Ihnen den Brief, den ich gestern erhalten habe, und füge nichts hinzu, er sagt alles selbst. Es ist jetzt keine Zeit mehr zum Klagen, es heißt nur noch leiden. Ich brauche kein Mitleid, nur Kraft.

Empfangen Sie, teure Frau, das einzige Adieu, das ich sagen werde, und erfüllen Sie meine letzte Bitte: mich meinem Schicksal zu überlassen, mich ganz zu vergessen, mich nicht mehr zu den Lebenden zu zählen. Es gibt im Unglück eine Grenze, hinter der selbst die Freundschaft unsere Leiden vermehrt und sie nicht heilen kann. Wenn Wunden tödlich sind, wird jede Hilfe unmenschlich. Jedes andere Gefühl ist mir fremd, außer dem der Verzweiflung. Nichts kann mir mehr nützen als die tiefe Nacht, in der ich meine Schande begraben will. Dort werde ich mein Vergehen beweinen, wenn ich noch weinen kann. Denn seit gestern habe ich keine Träne vergossen. Mein totes Herz gibt keine mehr.

Leben Sie wohl, gnädige Frau. Antworten Sie mir nicht. Ich habe bei diesem grausamen Brief den Schwur getan, keinen mehr anzunehmen.

Paris, den 27. November 17..


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