de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundachtunddreissigster Brief

Der Vicomte von Valmont an Frau von Tourvel.

Soeben erst, gnädige Frau, wurde mir Ihr Brief gebracht. Ich zitterte, als ich ihn las, und kaum läßt er mir die Kraft, darauf zu antworten. Welch entsetzliche Meinung haben Sie denn von mir! Ach, sicher habe ich unrecht, und zwar solches, daß ich es mir im Leben nicht verzeihen werde, selbst wenn Sie es mit Ihrer Nachsicht verdecken sollten. Aber wie fern ist immer, was Sie mir vorwerfen, meinem Herzen gewesen! Wie denn? Ich? Ich Sie demütigen? Sie erniedrigen? Wo ich Sie doch ebenso achte wie liebe; wo ich doch den Stolz erst kenne, seit Sie mich Ihrer würdig gefunden haben. Der Schein hat Sie betrogen; ich gebe zu, daß er gegen mich war; aber hatten Sie denn nicht in Ihrem Herzen das, was nötig war, dagegen anzukämpfen? Hat es sich nicht empört bei dem bloßen Gedanken, es könne sich über das meine zu beklagen haben? Sie aber glaubten ihm? Somit haben Sie mich nicht nur dieses abenteuerlichen Wahnsinns für fähig gehalten, sondern sogar gefürchtet, daß Sie sich ihm durch Ihre Güte gegen mich ausgesetzt haben. Ach, wenn Sie sich derart durch Ihre Liebe erniedrigt vorkommen, so bin ich also auch in Ihren Augen ganz schlecht?

Niedergedrückt von diesem schmerzlichen Gedanken, verliere ich die Zeit damit, ihn abzuwehren, anstatt ihn zu vernichten. Ich will alles gestehen; eine andere Erwägung noch hält mich zurück. Muß ich die Tatsachen nochmals wiedergeben, die ich so gerne ungeschehen machte, und Ihre und meine Aufmerksamkeit auf einen Augenblick der Verirrung lenken, den ich mit meinem Leben zurückkaufen möchte, dessen Ursache ich immer noch nicht begreife, und dessen Erinnerung auf ewig meine Demütigung und meine Verzweiflung sein wird? Ach! wenn meine Selbstanklage Ihren Zorn reizt, so haben Sie Ihre Rache wenigstens nicht weit zu suchen; es wird genügen, wenn Sie mich meinen Gewissensqualen überlassen.

Jedoch – wer wird es glauben? – dieser Vorfall hat zur ersten Ursache den mächtigen Zauber, dem ich bei Ihnen erliege. Er war es, der mich schon allzulange eine wichtige Angelegenheit vergessen ließ, und die nicht mehr länger hinausgeschoben werden konnte. Ich verließ Sie zu spät und fand die Person nicht mehr, die ich abholen wollte. Ich hoffte, sie in der Oper zu treffen, und mein Weg dahin war ebenfalls umsonst. Emilie, die ich da traf und die ich zu einer Zeit kannte, als ich Sie und die Liebe noch lange nicht kannte, Emilie hatte ihren Wagen nicht da und bat mich, sie in meinem Wagen nach Hause zu bringen, nur ein paar Schritte weit. Ich sah darin nichts weiter und willigte ein. Aber da traf ich Sie und ich fühlte sofort, daß Sie mich für schuldig halten würden.

Die Furcht, Ihnen zu mißfallen oder Sie zu betrüben, ist so mächtig in mir, daß sie bald bemerkt werden mußte und auch bemerkt wurde. Ich gestehe, ich ging sogar aus dieser Furcht so weit, das Mädchen zu veranlassen, sich nicht zu zeigen. Diese vom Zartgefühl eingegebene Vorsicht hat sich zum Schaden der Liebe gewendet. Wie alle ihres Standes fühlt sie sich einer angemaßten Macht gewohnheitsmäßig erst dann sicher, wenn sie sie mißbrauchen kann, und deshalb hütete sich Emilie wohl, eine so gute Gelegenheit dazu sich entgehen zu lassen. Je mehr sie meine Verlegenheit zunehmen sah, desto auffälliger zeigte sie sich; und ihre verrückte Heiterkeit, für deren Gegenstand – es macht mich erröten – Sie sich einen Augenblick haben halten können, hatte zur Ursache nichts anderes als meinen grausamen Schmerz. Und der kam wieder aus meiner Achtung und meiner Liebe.

Bis hierher bin ich wohl eher unglücklicher als schuldig; und da dieses Unrecht, »das für alle Welt eines wäre« und von dem allein Sie zu mir sprechen, nicht existiert, kann es mir vorgeworfen werden. Aber Sie schweigen umsonst über das Unrecht der Liebe. Ich aber werde darüber nicht das gleiche Stillschweigen bewahren; ein zu großes Interesse verpflichtet mich, es zu brechen.

Es ist nur mit Schmerz, daß ich in der Beschämung über diese unbegreifliche Verwirrung es über mich gewinne, die Erinnerung daran heraufzubeschwören. Durchdrungen von meinem Unrechte, würde ich mich darein finden, die Strafe dafür zu tragen; oder ich würde Verzeihung von der Zeit erwarten, von meiner ewig währenden Zärtlichkeit und von meiner Reue. Aber wie soll ich schweigen, wenn das, was mir zu sagen übrig bleibt, für Ihr Zartgefühl wichtig ist?

Glauben Sie nicht, daß ich nach einer List suche, um meinen Fehler zu entschuldigen oder zu mildern. Ich bekenne mich für schuldig. Aber nicht bekenne ich, und nie werde ich gestehen, daß diese demütigende Verirrung als ein an der Liebe begangenes Unrecht anzusehen sei. Eine Überrumpelung durch die Sinne, ein Moment des Selbstvergessens, dem bald Scham und Reue folgen – was hat das gemein mit einem reinen Gefühl, das nur in einer zartfühlenden Seele wohnen kann, sich nur durch Achtung in ihr erhalten kann und dessen Frucht das Glück ist! O, entweihen Sie nicht so die Liebe! Nehmen Sie sich besonders davor in acht, sich nicht selbst zu entweihen, indem Sie unter ein und demselben Gesichtspunkt vereinen, was niemals verwechselt werden darf. Lassen Sie diese entwürdigten Frauen sich vor einer Rivalität fürchten, deren Möglichkeit sie unwillkürlich fühlen, und die die Qualen einer gleich demütigenden wie grausamen Eifersucht durchmachen. Aber Sie! Wenden Sie Ihre Augen von diesen Dingen, die Ihre Blicke beschmutzen würden. Und rein wie die Gottheit, und wie diese sollen Sie die Beleidigung bestrafen, ohne sie zu empfinden.

Aber welche Strafe wollen Sie mir auferlegen, schmerzlicher als die, die ich bereits erdulde? Eine Strafe, die der Reue, Ihnen mißfallen zu haben, verglichen werden könnte, mit der Verzweiflung, Sie so gekränkt zu haben, mit dem niederdrückenden Gedanken, Ihrer nun weniger würdig zu sein? Sie denken ans Strafen! Und ich erbitte Trost von Ihnen; nicht, daß ich ihn verdiente, aber ich brauche ihn, und er kann mir nur von Ihnen kommen.

Wenn Sie plötzlich meine und Ihre Liebe vergessen, keinen Wert mehr auf mein Glück legen, und mich im Gegenteil ewigem Schmerz überlassen wollen, haben Sie das Recht dazu. Schlagen Sie zu! Sind Sie aber nachsichtiger oder zartfühlender, und erinnern Sie sich noch an das so zärtliche Gefühl, das unsere Herzen verband, an diese Wollust der Seele, immer neugeboren und immer lebhafter an diese so süßen, so beglückten Tage, die jeder von uns dem andern verdankte, an all diese Güter der Liebe, die sie allein uns verschafft, – vielleicht werden Sie dann die Macht, sie wieder auferstehen zu lassen, lieber üben als die, sie zu zerstören. Was sage ich Ihnen mehr? Ich habe alles verloren und alles durch meine Schuld; aber ich kann durch Ihre Gnade alles wieder erlangen. Die Entscheidung liegt jetzt bei Ihnen. Ich füge nur noch ein Wort hinzu: Gestern noch schwuren Sie mir, mein Glück sei sicher, so lange es von Ihnen abhinge! Ach, gnädige Frau, wollen Sie mich heute ewiger Verzweiflung ausliefern?

Paris, den 16. November 17..


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