de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Siebenundneunzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Ich wette, seit Ihrem Abenteuer erwarteten Sie täglich meine Komplimente und Glückwünsche, ja ich zweifle nicht einmal, daß mein langes Schweigen Sie in schlechte Laune gebracht hat. Aber was wollen Sie, ich war immer der Meinung, wenn man eine Frau nur noch zu loben braucht, kann man es ihr allein überlassen und zu was andern gehen. Indes danke ich Ihnen, was mich, und gratuliere Ihnen zu dem, was Sie betrifft. Ich will selbst, um Sie ganz glücklich zu machen, zugeben, daß Sie dieses Mal meine Erwartungen übertroffen haben – nun wollen wir sehen, ob ich meinerseits die Ihrigen wenigstens zum Teil erfüllt habe.

Nicht von Frau von Tourvel will ich Ihnen erzählen; ihr zu langsamer Gang mißfällt Ihnen; Sie lieben nur fertige Tatsachen. Das langsam sich Abspinnende langweilt Sie; und ich habe noch niemals so viel Vergnügen erlebt, als bei diesem vermeintlich langsamen Vorrücken.

Ja, ich liebe es, diese vorsichtige Frau zu studieren, wie sie, ohne es zu merken, in einen Pfad einlenkt, auf dem es kein Zurück gibt, und dessen gefährliche schiefe Neigung sie fortreißt und zwingt, mir gegen ihren Willen zu folgen. Da möchte sie, erschreckt über die Gefahr, den Schritt aufhalten und kann nicht. Ihre Mühe und ihre Geschicklichkeit können ihre Schritte wohl etwas verlangsamen, aber es muß doch einer auf den andern folgen. Zuweilen wagt sie nicht, der Gefahr ins Gesicht zu sehen, schließt die Augen, läßt sich gleiten, ergibt sich dem, was ich mit ihr tun will. Öfter aber belebt frische Furcht ihre Kraft, und in tödlicher Angst versucht sie es nochmals, umzukehren. Erschöpft ihre Kräfte, um ein kleines Stück Weg mühsam zu ersteigen – und gleich bringt sie wieder eine magische Kraft der gefährlichen Stelle näher, die sie eigentlich fliehen wollte. Da hat sie dann niemanden andern mehr als mich zu Führer und Stütze, denkt nicht mehr daran, mir den unvermeidlichen Sturz länger vorzuwerfen, fleht mich an, ihn aufzuhalten. Heißes Bitten, demütiges Flehen, alles was die Sterblichen in ihrer Angst der Gottheit darbringen, das empfange ich von ihr. Und Sie wollen, daß ich, taub ihren Bitten, selber diesen Kultus zerstöre, den sie mir weiht, und daß ich sie zu stürzen die Macht anwende, die sie zu ihrer Stütze anruft! Ach! Lassen Sie mir wenigstens Zeit, diesen Kampf zwischen Liebe und Tugend zu beobachten.

Was denn! Dasselbe Schauspiel, deswegen Sie ins Theater laufen, dem Sie wütend Beifall klatschen – halten Sie das für weniger anziehend im wirklichen Leben? Diese Gefühle einer reinen und zärtlichen Seele, die das Vergnügen nicht kennt, das sie begehrt und nicht aufhört, sich zu verteidigen, selbst wenn sie schon nicht mehr widersteht, Sie hören sie begeistert an; sollten sie wertlos sein für den, der sie verursacht? Das aber sind die köstlichen Genüsse, die diese himmlische Frau mir täglich bietet, und Sie werfen mir vor, daß ich ihre Süßigkeit auskoste! Ach! die Zeit wird nur zu schnell kommen, wo sie im Rang durch ihren Fall erniedrigt für mich nur mehr eine gewöhnliche Frau sein wird – wie alle andern.

Aber ich vergesse, während ich von ihr spreche, daß ich nicht von ihr sprechen wollte. Ich weiß nicht, welche Macht mich immer wieder zu ihr zurück führt, selbst wenn ich sie beschimpfe. Setzen wir die gefährlichen Gedanken an sie beiseite und kommen wir, ich will wieder ich sein, auf was Heiteres. Es handelt sich um Ihre Schülerin, die jetzt die meine geworden ist, und ich hoffe, hier werden Sie mich wiederkennen.

Da ich seit einigen Tagen von meiner zärtlichen frommen Frau etwas besser behandelt und deshalb etwas weniger mit ihr beschäftigt war, hatte ich bemerkt, daß die kleine Volanges wirklich sehr hübsch ist; und wenn es auch eine Dummheit ist, in sie verliebt zu sein wie Danceny, so wäre es vielleicht nicht weniger dumm von mir, bei ihr nicht jene Zerstreuung zu suchen, die ich in meiner Einsamkeit so nötig hätte. Es schien mir auch nur billig, mich für die viele Mühe zu entschädigen, die ich mir ihretwegen gab. Ich erinnerte mich zudem, daß Sie sie mir angeboten hatten, bevor Danceny etwas darein zu sagen hatte, und ich betrachtete mich für berechtigt, einige Abgaben zu verlangen von einer Ware, die er nur dank meiner Abweisung und Preisgabe besaß. Das hübsche Gesicht der kleinen Person, ihr frischer Mund, ihre kindliche Art, selbst ihre Ungeschicklichkeit bestärkten diese meine weisen Überlegungen, und ich beschloß, danach zu handeln: der Erfolg hat das Unternehmen gekrönt.

Schon suchen Sie zu erraten, durch welche Mittel ich den geliebten Liebhaber ausgestochen habe, welche Verführung diesem Alter, dieser Unerfahrenheit angemessen ist? Sparen Sie sich alle Mühe, ich habe gar keine Mittel angewandt. Während Sie mit Geschicklichkeit die Waffen Ihres Geschlechtes gebrauchten und triumphierten durch die Schlauheit, ließ ich dem Manne seine unverjährten Rechte und siegte durch die ihm zustehende Gewalt. Sicher, meine Beute zu fassen, wenn ich nur an sie heran konnte, brauchte ich List nur, um mich nähern zu können, und die List, deren ich mich bediente, verdient fast nicht diesen Namen.

Ich profitierte vom ersten Brief, den ich von Danceny für seine Schöne bekam, und nachdem ich sie durch das zwischen uns verabredete Zeichen aufmerksam gemacht hatte, verwandte ich meine Geschicklichkeit statt auf die Abgabe des Briefes darauf, die Gelegenheit dazu zu verpassen. Die Ungeduld, die ich dadurch erreichte, teilte ich scheinbar, und nachdem ich das Übel gestiftet hatte, verschrieb ich das Gegenmittel.

Das junge Fräulein bewohnt ein Zimmer, dessen eine Tür auf den Gang führt; aber, wie es sich schickt, hatte die Mutter den Schlüssel dazu bei sich. Es handelte sich nun darum, diesen Schlüssel zu kriegen. Nichts leichter als das; ich verlangte nur, ihn für zwei Stunden zu haben, und verbürgte mich, einen ähnlichen zu beschaffen. Dann würden Korrespondenz, nächtliche Zusammenkünfte und alles das leicht und bequem. Aber würden Sie es glauben, das schüchterne Kind hatte Angst und weigerte sich. Ein anderer wäre darüber verzweifelt gewesen; ich sah darin nur die Gelegenheit zu einem reizvolleren Vergnügen. Ich schrieb an Danceny und beklagte mich über sie, und machte das so gut, daß unser leichtsinniger Herr nicht nachgab, bis er selbst von seiner furchtsamen Geliebten erreicht hatte, daß sie meiner Bitte nachgab und sich ganz meinem Belieben anvertraute.

Ich war recht froh, ich gestehe es, auf diese Weise die Rolle gewechselt zu haben, und daß nun der junge Mann für mich tat, was ich nach seiner Rechnung für ihn tun sollte. Dieser Gedanke verdoppelte in meinen Augen den Wert des Abenteuers; ich beeilte mich darum auch, sobald ich den kostbaren Schlüssel hatte, davon Gebrauch zu machen. Das war die vorige Nacht.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß alles ruhig war im Schloß, habe ich, bewaffnet mit meiner Blendlaterne und in einer Toilette, die der Stunde und den Umständen angemessen war, Ihrem Mündel meine erste Visite gemacht. Ich hatte alles vorbereiten lassen (und das durch sie selbst), um ohne Geräusch eintreten zu können. Sie war im ersten Schlaf und in dem ihrer Jahre, so daß ich bis an ihr Bett kam, ohne daß sie erwachte. Erst versuchte ich noch weiter zu gehen und als Traum zu gelten. Aber ich füchtete die Überraschung und das Geräusch, das diese mit sich bringt, und so zog ich es vor, die schöne Schläferin vorsichtig zu wecken, und es gelang mir wirklich, den gefürchteten Schrei zu verhindern.

Nachdem ich ihre erste Furcht beruhigt hatte, erlaubte ich mir – ich war ja nicht zum Plaudern gekommen – einige Freiheiten. Zweifellos hat man ihr im Kloster nicht beigebracht, wie vielen Gefahren die schüchterne Unschuld ausgesetzt ist und was alles sie zu schützen hat, um nicht überrumpelt zu werden: denn während sie alle Aufmerksamkeit und alle Kräfte darauf verwandte, einen Kuß abzuwehren, der nur ein Scheinangriff war, blieb alles übrige ohne Verteidigung. Wie hätte ich davon nicht profitieren sollen! Ich änderte also meine Route und faßte Posto. Da glaubten wir uns beide verloren. Denn das kleine Mädchen wollte, ganz erschreckt, allen Ernstes schreien. Glücklicherweise erstickte ihre Stimme in Tränen. Sie war auch schon zur Klingel gesprungen, aber meine Geschicklichkeit hielt ihren Arm noch beizeiten auf.

»Was wollen Sie tun?« sagte ich. »Sich auf immer ins Verderben stürzen? Wenn jemand käme, was läge mir daran? Wen könnten Sie überzeugen, daß ich nicht mit Ihrem Willen hier bin? Wer anderer als Sie selbst könnte mir die Mittel geschaffen haben, hier herein zu kommen? Und dieser Schlüssel, den ich von Ihnen habe, nur durch Sie haben konnte, werden Sie sagen wollen, zu welchem Zweck Sie ihn mir gaben?« Diese kurze Rede hatte weder beruhigend auf ihren Zorn noch auf ihren Schmerz gewirkt, aber sie führte zur Unterwerfung. Ich weiß nicht, ob mein Ton so beredt war, – meine Gebärden waren es sicher nicht. Eine Hand war mit dem Zorn beschäftigt, die andere mit der Liebe, – welcher Redner könnte in einer solchen Lage Anspruch auf Anmut machen? Wenn Sie sich die Situation vorstellen, werden Sie zugeben, daß sie für einen Angriff günstig war; aber ich, ich verstehe von dem allen nichts, und, wie Sie sagen, führt die einfachste Frau, ein Schulmädel, mich wie ein Kind am Bande.

Dieses Schulmädchen fühlte inmitten ihrer Trostlosigkeit, daß irgend etwas geschehen und daß sie in Unterhandlung treten müsse. Da ihr Bitten nicht erhört wurde, mußte sie sich auf Anerbietungen einlassen. Sie glauben, daß ich den wichtigen Posten recht teuer verkauft habe, aber nein: ich habe alles für – einen Kuß versprochen. Zwar habe ich, als ich den Kuß hatte, mein Versprechen nicht gehalten, aber ich hatte gute Gründe. Hatten wir ausgemacht, daß er gegeben oder genommen werden sollte? Wir einigten uns auf einen zweiten, den ich bekommen sollte. Ihre Arme legten sich um meinen Leib, und ich drückte sie mit den meinen, und ich bekam den süßesten Kuß, richtig und tadellos: die Liebe hätte es nicht besser machen können.

So viel Ehrlichkeit verdiente eine Belohnung, und ich gewährte alsbald die Bitte. Die Hand zog sich zurück, aber ich weiß nicht durch welchen Zufall befand ich mich selber an ihrer Stelle. Sie vermuten mich da nun sehr eifrig und tätig, nicht wahr? Aber ich war's durchaus nicht. Ich habe einmal Geschmack an der Langsamkeit gewonnen, sage ich Ihnen. Einmal sicher hin zu kommen, warum dann die Reise beschleunigen?

In allem Ernst – ich war sehr froh, einmal die Macht der Gelegenheit zu beobachten, und hier fand ich sie, bar von jeder fremden Hilfe. Sie hatte nun doch gegen die Liebe zu kämpfen, gegen die Liebe, die von Scham und Angst vor der Schande gehalten, aber gestärkt ward durch die schlechte Laune, die ich erregt hatte und von der genug da war. Die Gelegenheit war allein da, aber da war sie, immer geboten, immer gegenwärtig, und die Liebe war abwesend.

Um meine Beobachtungen zu sichern, hatte ich die Bosheit, nur so viel Gewalt anzuwenden, daß man sich dagegen wehren konnte. Nur wenn meine schöne Gegnerin, meine Güte mißbrauchend, mir entschlüpfen wollte, hielt ich sie durch dieselbe Furcht, deren glückliche Wirkung ich schon erprobt hatte, fest. Nun: Die zärtliche Verliebte hat ohne Sorgen um ihre Eide zuerst nachgegeben und schließlich ... Nicht etwa, daß nach dieser ersten Niederlage Vorwürfe und Tränen nicht wieder kamen. Ich weiß nicht, ob sie echt oder gemacht waren, aber, wie es immer geht: sie hörten auf, sobald ich wieder anfing, Grund zu neuen Tränen zu geben. Kurz, von Schwäche zu Vorwürfen, und von Vorwürfen zu Schwäche haben wir uns erst getrennt, als wir sehr zufrieden miteinander waren und beide im Reinen über das Rendezvous von heute abend.

Erst bei Tagesgrauen kam ich wieder in mein Zimmer und war ganz kaputt von Ermattung und Schlaf. Und doch habe ich beides der Begier geopfert, heute morgen beim Frühstück zu erscheinen. Ich liebe bis zur Leidenschaft die Mienen des nächsten Tages. Sie können sich von diesen keine Vorstellung machen. War das eine Verlegenheit in der Haltung! Und ein behinderter Schritt! Und die Augen immer niedergeschlagen und so umrändert! Das sonst so runde Gesicht war ganz lang geworden! Es war sehr spaßhaft. Und zum erstenmal bezeugte ihr ihre Mutter eine wirklich zärtliche Teilnahme, erschreckt durch diese außerordentliche Veränderung. Auch die Präsidentin war mit viel Eifer um sie her. Oh! Was diese Sorgfalt betrifft, so war sie nur geliehen. Es wird ein Tag kommen, wo man sie ihr wird zurückerstatten können, und dieser Tag ist nicht fern. Adieu, meine schöne Freundin.

Schloß . . ., den 1. Oktober 17..


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