de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundvierundsiebzigster Brief

Frau von Volanges an Frau von Rosemonde.

Ach, meine Freundin! Mit welch entsetzlichem Schleier umhüllen Sie das Geschick meiner Tochter! Und Sie scheinen zu befürchten, daß ich ihn aufzuheben versucht sein könnte! Was verbirgt er mir denn, was das Herz einer Mutter noch mehr betrüben könnte, als der schreckliche Verdacht, dem Sie mich preisgeben? Je mehr ich Ihre Nachsicht, Ihre Freundschaft kenne, desto stärker werden meine Qualen. Zwanzigmal habe ich seit gestern aus dieser grausamen Ungewißheit heraus Sie bitten wollen, mich ohne Schonung und Umschweife zu unterrichten, und jedesmal zitterte ich bei dem Gedanken an die Bitte, die Sie an mich stellten, keine Frage an Sie zu tun. Schließlich stehe ich bei einem Auskunftsmittel, das mir noch einige Hoffnung läßt, und ich erwarte von Ihrer Freundschaft, daß Sie mir diesen Wunsch nicht abschlagen: nämlich, daß Sie mir sagen, ob ich ungefähr verstanden habe, was Sie mir etwa zu sagen haben, daß Sie sich nicht scheuen mögen, mich alles wissen zu lassen, was mütterliche Nachsicht zudecken kann, und was wieder gutzumachen unmöglich ist. Wenn mein Unglück über dieses Maß hinausgeht, dann willige ich ein, daß Sie sich nur durch Schweigen erklären. Hören Sie also, was ich schon wußte, und wie weit meine Befürchtungen gehen können.

Meine Tochter zeigte Neigung zu Chevalier Danceny, und ich bin unterrichtet worden, daß sie Briefe von ihm bekam und sogar beantwortete; aber ich glaubte, es wäre mir zu verhindern gelungen, daß diese kindlichen Verfehlungen gefährlichere Folgen haben. Heute, da ich alles fürchte, kann ich es wohl möglich denken, daß meine Wachsamkeit getäuscht wurde, und ich fürchte, daß meine Tochter sich hat verführen lassen und dadurch ihre Verirrungen vollständig gemacht hat.

Ich erinnere mich noch verschiedener Umstände, die diese Befürchtung vielleicht rechtfertigen. Ich schrieb Ihnen, daß meine Tochter bei der Nachricht vom Unglück des Herrn von Valmont unwohl geworden ist. Vielleicht bezog sich diese Empfindlichkeit nur auf den Gedanken an die Gefahren, die Herr von Danceny in diesem Kampfe eingegangen war. Als sie dann nachher so viel weinte, als sie erfuhr, was man alles über Frau von Merteuil sagte, war das, was ich für freundschaftlichen Schmerz hielt, vielleicht nur die Wirkung der Eifersucht oder des Ärgers darüber, ihren Geliebten treulos zu finden. Ihr letzter Schritt läßt sich, scheint mir, auch daraus erklären. Oft glaubt man sich von Gott berufen, nur darum, weil man die Menschen haßt. Endlich: angenommen, diese Tatsachen stimmen, und daß Sie darum wissen, dann haben Sie sie ohne Zweifel genügend gefunden zur Rechtfertigung des strengen Rates, den Sie mir gaben.

Wenn es aber so wäre, würde ich meine Tochter zwar tadeln, aber doch glauben, daß ich es ihr schuldig bin, alles zu versuchen, ihr die Qualen und Gefahren eines vorübergehenden und trügerischen Berufes zu ersparen. Wenn Herr von Danceny nicht alles Ehrgefühl verloren hat, so wird er sich nicht weigern, das Unrecht wieder gut zu machen, das er allein verschuldet hat, und ich darf wohl noch glauben, daß die Verbindung mit meiner Tochter vorteilhaft genug ist, daß er sowohl wie auch seine Familie sich geschmeichelt fühlen können.

Dies ist, meine liebe und würdige Freundin, die einzige Hoffnung, die mir bleibt. Bestätigen Sie mir sie rasch, wenn es Ihnen möglich ist. Sie können sich denken, wie sehr ich mich sehne, daß Sie mir Antwort geben, und welch schwerer Schlag Ihr Schweigen für mich wäre.

Ich war im Begriffe, meinen Brief zuzuschließen, als ein Bekannter zu Besuch kam und mir den traurigen Auftritt erzählte, dem Frau von Merteuil vorgestern ausgesetzt gewesen ist. Da ich niemanden all diese letzten Tage gesehen habe, wußte ich nichts von dieser Geschichte. Hier der Bericht, wie ich ihn von einem Augenzeugen habe.

Als Frau von Merteuil vorgestern, Donnerstag, vom Lande zurückkam, fuhr sie bei der Comédie Italienne vor, wo sie eine Loge hat. Sie war allein darin, was ihr schon ungewöhnlich vorkommen mußte, kein Herr kam sie während der ganzen Vorstellung besuchen. Vor dem Weggehen trat sie, wie es Brauch ist, in den kleinen Salon, der schon voller Leute war. Sofort erhob sich eine Unruhe, für deren Gegenstand sie sich aber sichtlich nicht hielt. Sie bemerkte einen leeren Platz auf einer der Polsterbänke, ging hin und setzte sich. Aber sofort standen alle Frauen wie auf Verabredung auf und ließen sie ganz allein. Diese deutliche Kundgebung der Entrüstung wurde von allen Männern gebilligt und ließ das Murmeln sich verdoppeln, das bis zur Katzenmusik sich steigerte.

Damit ihrer Demütigung nichts erspart bleibe, wollte es ihr Unglück, daß Herr von Prévan, der sich seit jenem Abenteuer nirgends mehr gezeigt hatte, im selben Augenblick den kleinen Salon betrat. Sobald man ihn bemerkte, bildeten alle Herren und Damen einen Kreis um ihn, begrüßten ihn mit Beifall, und das alles vor den Augen der Frau von Merteuil. Man versichert, daß diese immer noch ausgesehen hat, als höre und sehe sie nichts, und daß ihre Miene sich nicht das geringste änderte! Das halte ich nun für etwas übertrieben. Wie dem aber auch sei, diese für sie so schimpfliche Situation währte bis zu dem Moment, wo man ihren Wagen meldete; Und bei ihrem Weggang verdoppelte sich das skandalöse Geschrei. Es ist schrecklich, mit dieser Frau verwandt zu sein. Herr von Prévan wurde an demselben Abend sehr lebhaft von allen anwesenden Offizieren seines Korps begrüßt, und man bezweifelt nicht, daß er bald wieder Rang und Stellung zurückbekommt.

Derselbe, der mir diese Details gebracht hat, sagte mir noch, daß Frau von Merteuil die Nacht darauf ein lebhaftes Fieber bekam, das man zuerst für eine Folge der Szene in der Comédie gehalten hat; seit gestern abend wisse man aber, daß die schwarzen Blattern bei ihr sehr bösartig ausgebrochen sind. Es wäre wirklich ein Glück für sie, wenn sie daran stürbe. Man sagt auch noch, dieses Abenteuer würde ihr bei ihrem Prozeß, der dicht vor dem Urteil steht, sehr schaden, und sie hat dazu, wie man behauptet, sehr viel Gunst nötig, wenn sie ihn gewinnen will.

Gott befohlen, meine gute und würdige Freundin. Ich sehe in alledem wohl die Bösen bestraft, aber ich sehe keinen Trost darin für ihre unglücklichen Opfer.

Paris, den 18. Dezember 17..

(Dieser Brief blieb unbeantwortet.)


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