de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundneunundzwanzigster Brief

Frau von Tourvel an Frau von Rosemonde.

Ich habe erst spät gestern Ihre Antwort erhalten, gnädige Frau, und hätte mir auf der Stelle das Leben genommen, wenn es noch mir gehörte. Aber ein anderer besitzt es; und dieser andere ist Herr von Valmont. Sie sehen, daß ich Ihnen nichts verhehle. Soll es sein, daß Sie mich Ihrer Freundschaft nicht mehr für würdig halten, so fürchte ich immer noch weniger sie zu verlieren, als sie zu erschleichen. Alles was ich Ihnen sagen kann, ist, daß ich, von Valmont vor die Wahl zwischen seinem Tode oder seinem Glück gestellt, ich mich für das letzte entschieden habe. Ich rühme mich dessen nicht, noch klage ich mich an: ich sage nur was ist.

Sie werden leicht nachfühlen, was nach all dem Ihr Brief für einen Eindruck auf mich gemacht haben muß, und alle die strengen Wahrheiten, die er enthält. Glauben Sie aber nicht, daß er Reue in mir wach werden ließ, noch daß er je in meinen Gefühlen und meinem Benehmen eine Änderung herbeiführen kann. Nicht, daß ich nicht grausame Momente hätte; aber wenn mein Herz ganz zerrissen ist, und wenn ich fürchte, meine Qual nicht länger ertragen zu können, da sage ich mir: Valmont ist glücklich, und alles verschwindet vor diesem Gedanken, oder vielmehr, er verwandelt alles in Freude.

Ich habe mich also Ihrem Neffen geweiht; für ihn bin ich ins Verderben gegangen. Um ihn gehen meine Gedanken, meine Gefühle, meine Handlungen. Solange mein Leben zu seinem Glück notwendig ist, wird es mir kostbar sein, und werde ich es für beglückt finden. Wenn er eines Tages anders darüber urteilt, wird er weder Klage noch Vorwürfe von mir hören. Ich habe meinen Blick schon auf diesen verhängnisvollen Augenblick zu richten gewagt, und mein Entschluß steht fest.

Sie sehen also, wie wenig mir die Furcht, die Sie zu haben scheinen, anhaben kann, nämlich, daß Herr von Valmont mich zugrunde richtet. Denn, bevor er dies wollte, wird er ja aufgehört haben, mich zu lieben, und was sind mir dann leere Vorwürfe, die ich nicht vernehmen werde? Er allein wird mein Richter sein. Da ich nur für ihn gelebt habe, so wird in ihm mein Gedächtnis ruhen; und ist er zu der Anerkennung gezwungen, daß ich ihn liebte, so werde ich genügend gerechtfertigt sein.

Nun haben Sie in meinem Herzen gelesen, gnädige Frau. Ich habe es vorgezogen, durch meine Offenheit Ihre Achtung zu verlieren, als durch die Lüge dieser Achtung unwürdig zu werden. Ich glaubte, Ihnen diese volle Offenheit für Ihre ehemalige Güte zu schulden. Jedes Wort mehr könnte Sie auf den Gedanken bringen, als sei ich stolz genug, noch auf Ihre Freundschaft zu rechnen, während ich mir im Gegenteil Gerechtigkeit widerfahren lasse, indem ich aufhöre, darauf Anspruch zu machen.

Ich bin achtungsvoll Ihre ganz ergebene und gehorsame Dienerin.

Paris, den 1. November 17..


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