de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertunddreiundsiebzigster Brief

Frau von Rosemonde an Frau von Volanges.

Wenn ich genötigt gewesen wäre, meine liebe Freundin, mir von Paris aus die Aufklärungen, die Sie von mir über Frau von Merteuil verlangen, zukommen zu lassen und zu erwarten, wäre es mir noch nicht möglich, sie Ihnen zu geben. Und zweifellos hätte ich da nur recht unsichere Auskünfte erhalten. Aber es sind mir welche zugegangen, die ich nicht erwartete, und die zu erwarten ich keinen Anlaß hatte; und die haben nur zu viel Bestimmtheit! O, meine Freundin, wie hat diese Frau Sie getäuscht!

Es widerstrebt mir, auf diese schrecklichen Einzelheiten einzugehen. Was man aber auch immer darüber herumreden mag, seien Sie versichert, daß es immer noch nicht an die Wahrheit herankommt. Ich hoffe, meine liebe Freundin, Sie kennen mich gut genug, daß Sie mir aufs Wort glauben, und daß Sie von mir keinerlei Beweise verlangen. Es mag Ihnen genügen, zu erfahren, daß ich eine Menge Beweise habe, und daß ich sie in diesem Augenblicke in meinen Händen halte.

Nur mit großem Widerstreben bitte ich Sie auch, nicht von mir zu verlangen, daß ich meinen Rat in bezug auf Fräulein von Volanges begründe. Ich fordere Sie auf, sich dem Entschlusse, den sie gefaßt hat, nicht zu widersetzen. Sicher gibt es nichts, was einen berechtigen könnte, jemanden zum Eintritt in diesen Stand zu zwingen, wenn die betreffende Person nicht dazu berufen ist; manchmal ist es ein großes Glück, wenn es so ist; und Sie sehen, Ihre Tochter selbst sagt, Sie würden Ihre Gründe nicht mißbilligen, wenn Sie sie kennten. Der, der uns unsere Gefühle eingibt, weiß besser als unsere eitle Klugheit, was jedem frommt, und oft ist, was wie ein Akt der Strenge aussieht, im Gegenteil ein Akt seiner Milde.

Kurz, mein Rat, der, ich fühle es, Sie sehr betrüben wird und den ich, wie Sie mir glauben müssen, nicht ohne langes Besinnen gebe, geht dahin, daß Sie Fräulein von Volanges im Kloster lassen, weil sie das selbst gewählt hat; daß Sie sie in ihrem Entschluß eher ermutigen als ihr darin hinderlich sein mögen; und daß Sie, bis er zur Ausführung gelangt, nicht zögern sollen, die Verheiratung rückgängig machen.

Nachdem ich diese schweren Pflichten der Freundschaft erfüllt habe, und in meiner Ohnmacht irgendwelchen Trost beizufügen, bleibt mir nur noch, Sie um die Gunst zu bitten, mich über nichts, was diese traurigen Ereignisse angeht, mehr zu fragen. Lassen wir sie in der Vergessenheit sein, die ihnen gebührt, und ohne betrübendes und unnützes Wissen zu suchen, unterwerfen wir uns der Vorsehung und glauben wir an die Weisheit seiner Absichten mit uns, selbst dann, wenn wir sie nicht verstehen. Gott mit Ihnen, meine liebe Freundin.

Schloß . . ., den 15. Dezember 17..


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