de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundzweiundfünfzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Gewiß, Marquise, halten Sie mich nicht für so ungeübt, daß Sie dächten, ich hätte mich in bezug auf das Tête-à-tête, in dem ich Sie heute abend gefunden habe und des »erstaunlichen Zufalles«, der Danceny zu Ihnen führte, irreleiten lassen! Ihre geübte Physiognomie hat es ja wunderbar verstanden, den Ausdruck der Ruhe und Ehrlichkeit anzunehmen, und Sie haben sie auch durch keinen Satz verraten, der einer Frau manchmal in der Verwirrung oder in der Reue entschlüpfen kann. Ich gebe sogar zu, daß Ihre geschulten Blicke Ihnen vorzüglich gedient haben, und hätten sie nur ebensoviel Glauben wie Verständnis bei mir finden können, dann wäre ich allerdings weit von jedem Argwohn und hätte keinen Moment lang an dem großen Ärger gezweifelt, den Ihnen dieser »lästige Dritte« bereitete. Um nun aber nicht umsonst so große Talente zu entfalten, um den Erfolg, den Sie davon erwarteten, zu haben, kurz um die Täuschung, die Sie sich versprachen, wirklich hervorzubringen, hätten Sie doch zuvor Ihren Neuling von Liebhaber sorgfältiger ausbilden müssen.

Da Sie einmal damit beginnen, junge Leute zu erziehen, lehren Sie Ihre Zöglinge, nicht zu erröten und nicht beim geringsten Scherz die Fassung zu verlieren; nicht einer einzigen Frau wegen dieselben Dinge lebhaft zu leugnen, die er in Hinsicht auf alle andern Frauen nur gerade so so von sich weist. Lehren Sie die jungen Leute ferner, das Lob ihrer Geliebten anzuhören, ohne daß sie sich verpflichtet glauben, dafür zu danken. Und wenn Sie ihnen erlauben, Sie in Gesellschaft anzusehen, dann mögen sie wenigstens lernen, diesen leicht erkennbaren Blick des Eigentümers zu maskieren, den sie so ungeschickt mit dem Blick der Liebe verwechseln. Dann, aber erst dann können Sie sie öffentlich auftreten lassen, ohne daß ihre Leistungen der klugen Lehrerin Schande machen; und ich selbst werde glücklich sein, an Ihrem Ruhm mitwirken zu können und verspreche Ihnen, die Programme dieser neuen Schule auszuarbeiten und zu veröffentlichen.

Bis dahin muß ich bekennen, wie ich mich wundere, daß gerade ich es bin, den Sie wie einen Schüler zu behandeln sich vornehmen.

O, wie hätte ich mich bei jeder andern Frau gerächt! Was für ein Vergnügen ich mir daraus machen wollte! Und wie würde es leicht jedes übertreffen, was sie mir zu entziehen glaubte! Ja, es ist wirklich nur bei Ihnen so, daß ich lieber eine Genugtuung als Rache nehme. Und glauben Sie ja nicht, daß ich durch den mindesten Zweifel, die geringste Ungewißheit zurückgehalten werde! Denn ich weiß alles.

Sie sind seit vier Tagen in Paris. Und haben Danceny täglich gesehen und nur ihn allein gesehen. Sogar heute noch war Ihre Türe geschlossen, und es fehlte Ihrem Schweizer nur Ihre Dreistigkeit, daß er mich hinderte, bis zu Ihnen zu dringen. Ich sollte indes nicht zweifeln, schrieben Sie mir, daß ich als erster Ihre Ankunft erfahren würde, diese Ankunft, deren Tag Sie mir noch nicht bestimmen konnten, während Sie mir am Vorabend Ihrer Abreise schrieben. Wollen Sie diese Tatsachen leugnen, oder versuchen sich zu entschuldigen? Das eine ist so unmöglich wie das andere; und doch halte ich noch an mich! Bemessen Sie danach Ihre Macht. Aber glauben Sie mir, seien Sie dabei begnügt, sie erprobt zu haben und mißbrauchen Sie sie nicht länger. Wir kennen uns beide zu gut, Marquise, – das sollte Ihnen genügen.

Sie sind morgen für den ganzen Tag aus, sagten Sie mir. Sehr schön, wenn Sie wirklich aus sind; und Sie werden sich denken können, daß ich es erfahren werde. Aber schließlich kommen Sie am Abend doch wieder heim; und für unsere schwierige Aussöhnung werden wir bis zum nächsten Morgen nicht zu viel Zeit haben. Lassen Sie mich doch wissen, ob es bei Ihnen oder in Ihrem »andern Haus«, – Sie wissen schon – sein wird, wo wir unsere zahlreichen beiderseitigen Sühnopfer bringen werden. Und vor allem: Nichts mehr von Danceny. Ihr eigensinniger Kopf hat sich mit dem Gedanken an ihm vollgepfropft, und ich kann bei diesem Delirium Ihrer Phantasie nicht eifersüchtig sein. Aber bedenken Sie, daß von diesem Augenblick ab das, was nur eine Laune war, zur ausgesprochenen Bevorzugung werden würde. Ich glaube mich nicht für diese Demütigung geschaffen, und erwarte sie nicht von Ihnen zu erfahren.

Ich hoffe, daß Ihnen das gar nicht wie ein Opfer vorkommen wird. Aber wenn es Sie selbst etwas kostet, so meine ich, habe ich Ihnen ein schönes Beispiel dafür gegeben. Eine gefühlvolle schöne Frau, die nur für mich lebte, und die in diesem Augenblick vielleicht vor Liebe und Gram stirbt, ist wohl einen jungen Schüler wert, dem, wenn Sie wollen, weder Geist noch hübsches Gesicht fehlt, der aber weder von der Welt was weiß noch irgend Erfahrung hat.

Adieu, Marquise! Ich sage Ihnen nichts von meinen Empfindungen, die ich für Sie habe. Alles, was ich in diesem Augenblick tun kann, ist, mein Herz nicht auszuforschen. Ich erwarte Ihre Antwort. Bedenken Sie dabei, daß, je leichter Sie es haben, mich die mir zugefügte Beleidigung vergessen zu lassen, mit desto unverwischlicheren Zügen würde eine Weigerung Ihrerseits, ein einfacher bloßer Aufschub sie in mein Herz graben.

Paris, den 3. Dezember 17.. abends.


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