de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertzweiundvierzigster Brief

Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont.

Mein Gott, Vicomte, wie Sie mit Ihrer Hartnäckigkeit lästig sind! Was geht Sie mein Schweigen an? Glauben Sie, ich schweige, weil mir Gründe zu meiner Verteidigung fehlen? Wollte Gott, es wäre so! Aber es ist nur, weil es mich Überwindung kostet, sie Ihnen zu sagen.

Sagen Sie die Wahrheit: machen Sie sich selbst etwas vor oder suchen Sie mich zu hintergehen? Der Unterschied zwischen Ihren Reden und Ihren Taten läßt mir keine andere Wahl. Was ist es nun in Wahrheit? Was wollen Sie, daß ich Ihnen sage, wo ich selbst nicht weiß, was darüber denken.

Sie scheinen sich Ihre letzte Sache mit der Präsidentin als ein großes Verdienst anzurechnen; aber was beweist sie denn gegen Ihr System oder das meine? Ganz sicher habe ich Ihnen nie gesagt, Sie liebten diese Frau so sehr, daß Sie sie nie betrügen, nicht jede Gelegenheit dazu ergreifen würden, die Ihnen leicht oder angenehm vorkäme. Ich zweifelte nicht einmal daran, es würde Ihnen gleich sein, bei einer andern, sogar bei der ersten besten, die Gelüste zu befriedigen, die diese allein geweckt hätte; und ich bin gar nicht überrascht, daß Sie in einer Ausschweifung des Geistes, die man Ihnen mit Unrecht abstritte, einmal aus Absicht das getan haben, was Sie tausendmal aus einer Gelegenheit taten. Wer wüßte nicht, daß das der gewöhnliche Lauf der Welt ist und Gewohnheit bei euch allen, wieviel eurer auch sind, vom Verbrecher bis zum unbedeutendsten Affen? Wer sich heut so etwas versagt, gilt für romantisch, und das ist, glaube ich, nicht der Fehler, den ich Ihnen vorwerfe.

Was ich aber sagte, dachte und noch denke, ist, daß Sie darum nicht weniger Ihre Präsidentin lieben; gewiß ja nicht mit einer sehr zärtlichen und reinen Liebe, aber so, wie Sie eben lieben können; mit einer Liebe, die Sie zum Beispiel bei einer Frau Reize oder Qualitäten finden läßt, die sie gar nicht hat; daß Sie ihr einen eigenen Rang geben und alle andern Frauen zweiten Ranges sein lassen; daß Sie sogar dann noch an ihr festhalten, wenn Sie sie beschimpfen – mit einem Wort, mit einer Art Liebe, wie ich mir denke, daß ein Sultan sie für seine Favoritsultanin empfindet, welche Liebe ihn nicht hindert, ihr oft eine ganz simple Odaliske vorzuziehen. Dieser Vergleich scheint mir um so zutreffender, als Sie genau wie der Sultan niemals weder der Geliebte noch der Freund einer Frau sind, sondern immer ihr Tyrann oder ihr Sklave. Darum bin ich auch ganz überzeugt, daß Sie sich recht klein, recht niedrig gemacht haben, um in Gnade wieder bei dem schönen Wesen aufgenommen zu werden! Völlig glücklich, das erreicht zu haben, verlassen Sie mich wegen dieses »großen Ereignisses«, sobald Sie den Zeitpunkt für gekommen halten, ihre Verzeihung zu erlangen.

Noch in Ihrem letzten Briefe sprechen Sie nur darum nicht und nichts sonst als von dieser einzigen Frau, weil Sie mir darin nichts von ihren »großen Angelegenheiten« sagen wollen. Die kommen Ihnen so wichtig vor, daß das Schweigen, das Sie darüber bewahren, Ihnen als große Strafe für mich erscheint. Und nach diesen tausend Beweisen Ihrer entschiedenen Vorliebe für eine andere fragen Sie mich ganz ruhig, ob noch »ein gemeinsames Interesse zwischen uns« besteht! Hüten Sie sich, Vicomte! Wenn ich einmal antworte, wird meine Antwort endgültig sein. Und wenn ich mich für heute vor einer Antwort fürchte, hätte ich vielleicht schon zu viel gesagt. Darum will ich auch absolut nicht mehr davon reden.

Alles, was ich tun kann, ist: Ihnen eine Geschichte erzählen. Vielleicht werden Sie keine Zeit haben, sie zu lesen oder ihr so viel Aufmerksamkeit zu schenken, daß Sie sie richtig verstehen, aber das steht bei Ihnen. Es ist dann schlimmstenfalls nur eine Geschichte verloren gegangen.

Ein Herr meiner Bekanntschaft hatte sich genau wie Sie in eine Frau verhaspelt, die ihm wenig Ehre machte. Zwischendurch hatte er wohl soviel Verstand, zu ahnen, daß früher oder später ihm dieses Abenteuer schaden würde. Aber so sehr er sich auch der Sache schämte, er hatte nicht den Mut zu brechen. Seine Verlegenheit war um so größer, als er seinen Freunden gegenüber sich gerühmt hatte, er sei gänzlich frei; und als er wohl wußte, daß man immer lächerlicher wird, je mehr man sich verteidigt. So lebte er, machte eine Dummheit nach der andern und sagte hernach immer: »Es ist nicht meine Schuld.« Dieser Herr hatte eine Freundin, die einen Augenblick Lust hatte, ihn in diesem Rauschzustand der Öffentlichkeit auszuliefern und seine Lächerlichkeit unauslöschlich zu machen. Da sie aber doch generöser war als boshaft, oder vielleicht auch aus einem andern Grunde, wollte sie ein letztes Mittel versuchen, um auf alle Fälle sagen zu können, wie ihr Freund: »Es ist nicht meine Schuld.« So schickte sie ihm also ohne jeden andern Kommentar den folgenden Brief, als ein Mittel, dessen Gebrauch ihn von seinem Übel heilen könne. Der Brief lautete:

»Alles wird schließlich langweilig, mein Engel, das ist ein Naturgesetz; es ist nicht meine Schuld.

Wenn mich also heute ein Abenteuer langweilt, das mich vier ganze tödliche Monate lang allein beschäftigt hat, ist es nicht meine Schuld.

Wenn ich zum Beispiel genau ebensoviel Liebe wie Du Tugend gehabt habe, und das will viel sagen, so ist es nicht erstaunlich, daß eins zur gleichen Zeit fertig ist wie das andere. Es ist nicht meine Schuld.

Daraus folgt, daß ich Dich seit einiger Zeit betrogen habe; aber Deine unerbittliche Zärtlichkeit zwang mich gewissermaßen dazu. Es ist nicht meine Schuld.

Heute verlangt eine Frau, die ich bis zum Wahnsinn liebe, daß ich Dich opfere. Es ist nicht meine Schuld.

Ich verstehe, daß das eine gute Gelegenheit ist, über Endbruch zu schreien; aber wenn die Natur den Männern nur Beständigkeit verliehen hat, während sie den Frauen Hartnäckigkeit gab, ist es nicht meine Schuld.

Glaub mir, suche Dir einen andern Liebhaber, so wie ich mir eine andere Geliebte gesucht habe. Der Rat ist gut, er ist sehr gut; wenn Du ihn schlecht findest, ist es nicht meine Schuld.

Adieu, mein Engel, ich nahm Dich mit Vergnügen, ich verlasse Dich ohne Bedauern; ich komme vielleicht wieder zu Dir zurück. Das ist der Lauf der Welt. Es ist nicht meine Schuld.«

Ihnen zu sagen, Vicomte, was für einen Effekt dieser letzte Versuch gehabt hat, und was daraus gefolgt ist, dafür ist jetzt nicht der rechte Augenblick: aber ich verspreche, es Ihnen in meinem nächsten Brief zu sagen. Sie werden darin auch mein Ultimatum finden in betreff der Erneuerung unseres Vertrages, die Sie mir vorschlagen. Bis dahin nur Adieu.

Noch etwas. Ich danke Ihnen für die Details über die kleine Volanges; es ist ein Artikel für die Skandalzeitung, aufzuheben bis auf den Morgen nach der Hochzeit. Inzwischen kondoliere ich Ihnen zum Verlust Ihrer Nachkommenschaft. Guten Abend, Vicomte.

Schloß . . ., den 24. November 17...


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