de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundzweiundsechzigster Brief

Frau von Tourvel an ... (Von ihr dem Kammermädchen diktiert.)

Grausames und böses Wesen, wirst Du nicht müde werden, mich zu verfolgen? Genügt es Dir nicht, daß Du mich gemartert, herabgewürdigt und erniedrigt hast? Willst Du mich bis ins Grab hinein verfolgen? Wie! Sind in diesem Ort der Finsternis, wo mich zu vergraben die Schande zwang, sind hier die Schmerzen ohne Aufhören, und ist die Hoffnung hier unbekannt? Ich erflehe keine Gnade, die ich nicht verdiene, damit ich ohne Klage leide, es ist genug, wenn meine Leiden meine Kraft nicht übersteigen. Aber mach meine Qualen nicht unerträglich. Laß mir meine Schmerzen, aber nimm mir die grausame Erinnerung an das Gute, das ich verloren habe. Wenn Du es mir schon entrissen hast, spiegle nicht meinen Augen das in Trostlosigkeit stürzende Bild vor. Ich war unschuldig und lebte in Frieden; als ich Dich sah, verlor ich die Ruhe; weil ich auf Dich hörte, wurde ich zur Verbrecherin. Der Du meine Fehler veranlaßt hast, mit welchem Recht bestrafst Du sie nun?

Wo sind die Freunde, die mich lieb hatten, wo sind sie? Mein Unglück entsetzt sie. Keiner wagt es, sich mir zu nähern. Ich bin in Drang und Not, und sie lassen mich ohne Hilfe! Ich sterbe, und niemand weint um mich. Aller Trost ist mir versagt. Das Mitleid hält am Rande des Abgrundes inne, in den der Verbrecher sich stürzt. Gewissensbisse zerreißen ihn, und sein Schreien hört niemand.

Und Du, den ich beleidigte, Du, dessen Achtung meine Verzweiflung noch vermehrt; Du, der Du doch allein das Recht hättest, Dich zu rächen, was tust Du fern von mir? Komm und strafe eine ungetreue Frau! Laß mich die verdienten Schmerzen erleiden. Ich hätte mich Deiner Rache schon unterworfen, aber der Mut gebrach mir, Dir meine Schande zu gestehen. Es war nicht Verstellung, es war, weil ich Dich achtete. Möge wenigstens dieser Brief dir meine Reue zeigen. Der Himmel hat für Dich Partei ergriffen; er rächt Dich für eine Beleidigung, von der Du nichts wußtest. Er selbst hat meine Zunge gebunden und meine Worte zurückgehalten; er fürchtete, Du möchtest mir den Fehler verzeihen, den er bestrafen wollte. Er hat mich Deiner Nachsicht entzogen, die seine Gerechtigkeit verletzt haben würde.

Unbarmherzig in seiner Rache, hat mich der Himmel dem ausgeliefert, der mich ins Verderben gestürzt hat. Es ist um ihn und durch ihn, daß ich leide. Umsonst will ich ihn fliehen, er verfolgt mich; er folgt mir; da ist er; er bestürmt mich ohne Unterlaß. Aber wie ist er nun anders als früher! Seine Augen drücken nur noch Haß und Verachtung aus. Seine Arme umschlingen mich nur, um mich zu zerreißen. Wer rettet mich aus seiner barbarischen Wut!

Aber wie! er ist es ...! Ich irre mich nicht; ihn sehe ich wieder, er ist es! O mein liebenswürdiger Freund, nimm mich in Deine Arme; verbirg mich an Deiner Brust; ja, Du bis es, Du bist es wirklich! Welche Täuschung voll Unheil konnte mir Dich unkenntlich machen? Wie habe ich, da Du fern warst, gelitten! Wir wollen uns nicht mehr trennen, wir trennen uns nie mehr! Laß mich Atem schöpfen. Fühle mein Herz, wie es schlägt! Ach, nicht mehr aus Furcht klopft es, es ist die süße, herzbewegende Liebe! Warum entziehst Du Dich meiner Zärtlichkeit? Gib mir Deine sanften Blicke! Was sind das für Ketten, die Du zu zerreißen suchst? Warum bereitest Du diesen Totenpomp? Was verändert denn Deine Zunge so schrecklich? Was tust Du? Laß mich, mir schaudert vor Dir! Gott! es ist wieder das Ungeheuer!

Freundinnen, verlaßt mich nicht! Du hast mir gesagt, ich soll ihn fliehen, – hilf mir, mit ihm zu kämpfen! Und Du, die Du nachsichtiger warst und mir versprachst, meine Leiden zu lindern, komm doch her zu mir. Wo seid Ihr beide? Wenn ich Euch schon nicht sehen darf, antwortet mir wenigstens auf diesen Brief, damit ich weiß, daß Ihr mich noch lieb habt.

Laß mich doch, Grausamer! Was für eine neue Wut packt Dich wieder? Fürchtest Du, ein sanftes Gefühl dringe nicht bis zu meiner Seele? Du verdoppelst meine Qualen, Du zwingst mich, Dich zu hassen. O, wie der Haß weh tut! wie er das Herz zerfrißt, das ihn hegt! Warum verfolgen Sie mich? Was können Sie mir noch zu sagen haben? Haben Sie mich denn nicht in die Unmöglichkeit versetzt, Sie anzuhören, wie auch zu antworten? Erwarten Sie nichts mehr von mir. Adieu.

Paris, den 5. Dezember 17..


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