de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Dreiundneunzigster Brief

Der Chevalier Danceny an den Vicomte von Valmont.

O Freund! Ihr Brief hat mich erstarren machen. Cécile – Gott, ist es möglich? Cécile liebt mich nicht mehr. Ja, ich sehe diese entsetzliche Wahrheit durch den Schleier hindurch, mit dem Ihre Freundschaft sie verhüllt. Sie wollten mich auf den tödlichen Schlag vorbereiten – ich danke Ihnen für Ihre Bemühung; aber läßt sich die Liebe täuschen? Sie läuft allem entgegen, was sie beschäftigt; sie erfährt ihr Geschick nicht, sie errät es. Ich zweifle nicht mehr an dem meinen; sprechen Sie ohne Umschweife, Sie können es, und ich bitte Sie darum. Sagen Sie mir alles: was hat die Zweifel in Ihnen erregt, was sie bestätigt. Die kleinsten Einzelheiten sind wichtig. Trachten Sie vor allem, sich ihrer Worte zu entsinnen. Ein Wort statt eines andern kann einen ganzen Satz verändern; ein Wort ist oft doppelsinnig ... Können Sie sich nicht getäuscht haben? Ach, ich versuche mir es noch auszureden! Was hat sie Ihnen gesagt? Wirft sie mir etwas vor? Verteidigt sie sich nicht wenigstens wegen ihres Unrechtes? Ich hätte die Änderung voraussehen müssen, aus den Schwierigkeiten, die sie seit einiger Zeit in allem findet. Die Liebe kennt nicht so viel Hindernisse.

Was soll ich tun? Was raten Sie mir? Wenn ich versuchte, sie zu sehen! Ist dies denn unmöglich? Das Fernsein ist so grausam, so unheilvoll . . . Und sie hat ein Mittel ausgeschlagen, mich zu sehen. Sie sagen mir nicht, was es für eins war; wenn wirklich zuviel Gefahr dabei war, so weiß sie sehr wohl, daß ich nicht wünsche, daß sie zuviel wagt. Aber ich kenne auch Ihre Vorsicht, und kann, zu meinem Unglück, nicht an ihr zweifeln.

Was soll ich jetzt tun? Wie ihr schreiben? Wenn ich sie meinen Argwohn sehen lasse, betrübt sie das vielleicht; und wenn er ungerecht ist, würde ich mir je verzeihen, sie betrübt zu haben? Wenn ich ihn ihr verberge, dann betrüge ich sie, und ich kann mich bei ihr nicht verstellen.

O! wüßte sie, was ich leide, meine Pein würde sie rühren. Ich weiß, sie hat ein Herz, und ich habe tausend Beweise ihrer Liebe. Zu schüchtern ist sie, zu umständlich und verlegen – aber sie ist noch so jung! Und ihre Mutter behandelt sie so streng! Ich will ihr schreiben; ich will an mich halten; ich werde sie nur bitten, ganz auf Sie zu vertrauen. Wenn sie selbst dann noch sich weigert, so kann sie mir doch meine Bitte nicht übelnehmen; und vielleicht wird sie einwilligen.

Sie, mein Freund, bitte ich tausendmal um Verzeihung, für sie und für mich. Ich versichere Ihnen, sie fühlt den Wert Ihrer Sorge und ist dankbar dafür. Es ist nicht Mißtrauen, es ist Schüchternheit. Haben Sie Nachsicht mit ihr, das Schönste an der Freundschaft. Die Ihrige ist mir sehr wertvoll, und ich weiß nicht, wie ich mich für alles dankbar zeigen soll, was Sie für mich tun. Adieu, ich will sofort schreiben.

Ich fühle alle meine Befürchtungen wiederkommen; wer mir gesagt hätte, daß es mir je Mühe kosten würde, ihr zu schreiben! Ach, gestern noch war es meine süßeste Freude.

Adieu, lieber Freund; fahren Sie in Ihrer Mühe um mich fort und beklagen Sie mich.

Paris, den 27. September 17..


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