de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundzweiundzwanzigster Brief

Die Marquise von Merteuil an den Chevalier Danceny.

Ich habe Ihren Brief erhalten, mein allzu junger Freund, aber ehe ich Ihnen danke, muß ich Sie zanken, und mache Sie darauf aufmerksam: wenn Sie sich nicht bessern, so bekommen Sie von mir keine Antwort mehr. Geben Sie doch, wenn Sie mir folgen wollen, diesen Schmeichelton auf, der doch nur mehr so Jargon ist, wenn es sich nicht um Liebe handelt. Ist denn das der Stil der Freundschaft? Nein, mein Freund, jedes Gefühl hat die Sprache, die ihm zukommt, und sich einer andern bedienen, heißt den Gedanken, den man äußert, maskieren. Ich weiß wohl, daß unsere kleinen Frauen nichts davon verstehen, was man ihnen sagen will, wenn es nicht in dieses gebräuchliche Rotwelsch übersetzt ist; aber, ich gestehe es, ich glaube zu verdienen, daß Sie mich von denen ausnehmen. Es tut mir wirklich leid, mehr als ich sollte, daß Sie mich so schlecht beurteilten.

Sie werden also in meinem Briefe nur das finden, was dem Ihrigen fehlt: Aufrichtigkeit und Einfachheit. Ich werde Ihnen zum Beispiel sagen, es würde mich sehr freuen, Sie zu sehen, und daß ich verstimmt bin, um mich herum nur langweilige Leute zu haben, statt Leute, die mir gefallen. Sie aber übersetzen denselben Satz so: »Lehren Sie mich da zu leben, wo Sie nicht sind« – so daß, wenn Sie, wie ich vermute, bei Ihrer Geliebten sind, Sie nicht bei ihr leben könnten, ohne daß ich nicht die Dritte dabei wäre. Wie jämmerlich! Und die Frauen, »denen doch immer fehlt so zu sein wie ichh«, finden Sie vielleicht auch, daß Ihrer Cécile das fehlt? Sehen Sie, dahin führt eine Sprache, die man heute so mißbraucht, und die deshalb noch unter den Komplimenten steht, und nichts ist als Formel, an die man nicht mehr glaubt als an den »sehr untertänigen Diener«.

Mein lieber Freund, wenn Sie mir schreiben, tun Sie's doch, um mir wie Sie denken und fühlen mitzuteilen, und nicht, um mir solche Phrasen zu machen, die ich, ohne Sie, mehr oder weniger gut in jedem Moderoman finden kann. Ich hoffe, Sie nehmen nicht übel, was ich Ihnen da sage, selbst dann nicht, wenn Sie etwas schlechte Laune darin finden sollten; denn ich bin wirklich etwas verstimmt. Um aber auch nur den Schein des Fehlers zu vermeiden, den ich Ihnen vorwerfe, werde ich Ihnen nicht sagen, daß diese Verstimmung vielleicht etwas vermehrt wird durch die Trennung von Ihnen. Alles in allem genommen sind Sie, scheint mir, mehr wert, als ein Prozeß und zwei Advokaten, vielleicht sogar auch mehr als mein »Anbeter« Belleroche.

Sie sehen, statt sich über meine Abwesenheit zu bekümmern, sollten Sie sich dazu gratulieren, denn ich habe Ihnen noch nie ein so schönes Kompliment gemacht. Ich glaube, das Beispiel steckt mich an, und ich sage Ihnen auch Schmeicheleien. Aber nein, ich will lieber aufrichtig bleiben: meine offene Aufrichtigkeit allein versichert Sie meiner zärtlichen Freundschaft, und des Interesses, das sie mir einflößt. Es ist sehr angenehm, einen jungen Freund zu haben, dessen Herz anderweitig beschäftigt ist. Das ist nicht das System aller Frauen, aber das meinige. Es scheint mir, man gibt sich mit mehr Vergnügen einem Gefühl hin, von dem man nichts zu befürchten hat. Auch habe ich, zu Ihrem Glücke vielleicht, früh genug die Rolle einer Vertrauten übernommen. Aber Sie suchen sich Ihre Geliebte so jung aus, daß Sie mich zum ersten Male daran erinnert haben, daß ich alt zu werden anfange! Das ist wohlgetan von Ihnen, daß Sie sich auf diese Weise auf eine lange Karriere der Beständigkeit vorbereiten, und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, daß sie gegenseitig sein möge.

Sie haben recht, den zärtlichen und ehrbaren Motiven nachzugeben, die, wie Sie mir sagen, »Ihr Glück verzögern«. Die lange Verteidigung ist das einzige Verdienst derer, die nicht immer widerstehen, und was ich bei jeder andern als bei einem Kinde wie die kleine Volanges unverzeihlich fände, wäre, wenn sie eine Gefahr nicht zu fliehen verstünde, vor der sie zur Genüge gewarnt war durch das eigene Geständnis ihrer Liebe. Ihr Männer wißt nicht, was Tugend ist und was es kostet, sie zu opfern! Aber wenn eine Frau nur wenig nachdenkt, muß sie wissen, daß, unabhängig von dem Fehltritt, den sie begeht, eine Schwäche für sie das größte Unglück bedeutet; und ich begreife nicht, daß irgend eine unterliegt, wenn sie nur einen Augenblick zum Überlegen hat.

Bestreiten Sie das nur nicht, denn das ist es hauptsächlich, was mich an Sie fesselt. Sie werden mich von den Gefahren der Liebe retten; und obschon ich mich auch ohne Sie gut zu verteidigen wußte, danke ich Ihnen doch etwas dafür, und werde Sie darum nur besser und mehr liebhaben.

Daraufhin, mein lieber Chevalier, bitte ich Gott, daß er Sie in seiner heiligen Gnade erhalte.

Schloß . . ., den 22. Oktober 17..


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