de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertsiebenundvierzigster Brief

Die Marquise von Merteuil an den Chevalier Danceny.

Endlich reise ich, mein jünger Freund, und morgen abend bin ich in Paris. Inmitten all des Durcheinanders, den ein Ortswechsel mit sich bringt, werde ich niemand empfangen. Aber wenn Sie mir etwas Wichtiges anzuvertrauen haben, so will ich mit Ihnen eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machen. Aber ich nehme nur Sie aus, und erbitte mir Stillschweigen über meine Ankunft. Selbst Valmont erfährt sie nicht.

Wer mir vor einiger Zeit gesagt hätte, daß Sie bald mein ausschließliches Vertrauen besitzen würden, dem hätte ich nicht geglaubt. Aber das Ihre hat das meine nach sich gezogen. Ich möchte fast glauben, daß Sie Geschicklichkeit darauf verwendet haben, vielleicht sogar etwas Verführung. Das wäre aber recht schlecht von Ihnen! Im übrigen wäre Ihre Verführung jetzt nicht gefährlich, denn Sie haben wirklich ganz anderes zu tun. Wenn die Heroine auf der Szene erscheint, so kümmert man sich wenig um die Vertraute.

Sie haben ja nicht einmal Zeit gefunden, mich von Ihren neuen Erfolgen zu unterrichten. Als Ihre Cécile abwesend war, da waren die Tage nicht lang genug, Ihre zärtlichen Klagen anzuhören. Sie hätten dem Echo vorgeklagt, wäre ich nicht dagewesen und hätte Ihnen zugehört. Als sie noch krank war, erwiesen Sie mir auch wieder die Ehre der Erzählung Ihrer Besorgnisse; Sie benötigten jemand, dem Sie sie sagen konnten. Jetzt aber, da die, die Sie lieben, in Paris ist, da es ihr gut geht, und besonders, da Sie sie öfters sehen, so genügt sie für alles, und Ihre Freunde sind Ihnen nichts mehr.

Ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf; es kommt von Ihren zwanzig Jahren. Von Alcibiades bis auf Sie weiß man, daß junge Leute die Freundschaft nur kannten, wenn sie einen Kummer hatten. Das Glück macht sie manchmal mitteilsam, aber nie vertraulich. Ich kann wohl wie Sokrates sagen: »Ich liebe es, daß meine Freunde zu mir kommen, wenn sie unglücklich sind.« Aber als Philosoph konnte er sie leicht entbehren, wenn sie nicht kamen. Darin bin ich nicht ganz so Philosoph wie er, und ich habe Ihr Schweigen mit der ganzen Schwäche der Frau empfunden.

Halten Sie mich deshalb nicht für anspruchsvoll, – dazu fehlt viel! Dasselbe Gefühl, mit dem ich diese Entbehrungen erkenne, läßt sie mich auch tapfer ertragen, wenn sie der Beweis oder die Ursache des Glückes meiner Freunde sind. Ich rechne deshalb auf Sie für morgen abend, nur insofern Sie die Liebe frei und unbeschäftigt läßt, und verbiete Ihnen, das geringste Opfer zu bringen.

Adieu, Chevalier; ich freue mich auf unser Wiedersehen wie auf ein Fest. Werden Sie kommen?

Schloß . . ., den 29. November 17..


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