Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Noch leiser hört' er seinen Namen; hinter ihm stand Spes und sagte: »Gehe gleich durch die große Saaltüre und siehe links draußen umher.« Es war Vult. Erfreuet fand er unter Unbekannten seinen lieben Bekannten wieder, den er auf seiner elysischen Insel herumführen konnte. Er ging hinaus; Spes ins fünfte Kabinet; draußen winkte sie ihm aus einer Türe hinein. Walt wollte den Bruder umarmen, aber dieser fuhr nach beiden Türschlössern: »Bedenke das Geschlecht unserer Masken!« und schloß zu. Er warf seine Larve weg, und eine seltsame heiße Wüsten-Dürre oder trockne Fieberhitze brach durch seine Mienen und Worte. »Wenn du je Liebe für deinen Bruder getragen,« – begann er mit trockner Stimme und nahm den Kranz ab und lösete das Weiberkleid auf – »wenn dir die Erfüllung eines innigsten Wunsches desselben etwas gilt, dessen Wichtigkeit du 24 Stunden später erfährst; – und ist es dir unter deinen Freuden nicht gleichgültig, ob er die kleinsten oder größten haben soll, kurz, wenn du eine seiner flehentlichsten Bitten erhören willst: so ziehe dich aus; dies ist die halbe; ziehe dich an und sei die Hoffnung, ich der Fuhrmann; dies die ganze.«

»Lieber Bruder,« – antwortete Walt erschrocken und ließ den im langen Erwarten geschöpften Atem los – »darauf kann ich dir, wie sich von selbst versteht, nur zur Antwort geben: mit Freuden.«

»So mache nur schnell«, versetzte Vult, ohne zu danken. Walt setzte hinzu, sein feierlicher Ton erschrecke ihn beinahe, auch fass' er den Zweck des Umtauschs wenig. Vult sagte, morgen werd' alles heiter entwickelt, und er selber sei gar nicht verdrüßlich, sondern eher zu spaßend. Unter dem wechselseitigen Entpuppen und Verpuppen fiel Walt auf den Skrupel, ob er aber als Maskendame mit Wina, einer Dame, den versprochenen Englischen tanzen könne: »O, ich freue mich so sehr darauf,« sagte er dem Bruder: »unter uns, es ist die allererste Angloise, die ich in meinem Leben tanze; aber auf mein heutiges Glück und auf die Maske muß ich ein wenig rechnen.« Da schossen auf Vults dürrem Gesicht lebendige Mienen auf. »Himmel, Hölle,« sagte er, »ebensoleicht nach dem Takte will ich niesen, oder die Arme zurückstrecken und meine Flûte traversière hinten anlegen, als, was du vorhast, nachtun. Deine Walzer bisher, nimm nicht die Nachricht übel, liefen als gute mimische Nachahmungen, teils waagrechte des Fuhr-, teils steilrechte des Bergmanns, im Saale durch, aber einen Englischen, Freund! und welchen? Ein teuflischer, nicht einmal ein irländischer wirds. Und erwägst du deine Mittänzerin, die ja schamrot und leichenblaß wird einsinken als eine Ritterin von trauriger Gestalt, als deine leidtragende Kreuzträgerin, sobald du nur stockst, plumpst, drunterfährst als Schwanzstern? – Aber dies ist nun alles so herrlich zu schlichten, als ich eben will. Der Pöbel soll nun eben sehen, daß der Fuhrmann sich entlarven und aus dem Tanz Ernst machen kann. Denn ich tanze in deiner Maske die Angloise. Sogar in Polen galt ich für einen Tänzer; geschweige hier, wo nichts von Polen tanzt als der Bär.«

Walt blieb einige Minuten still, dann sagte er: »Die Dame, wovon ich meinte, ist Wina Zablocki, der ich die Mühe bisher gemacht haben soll. Aber da sie meiner Maske den Tanz versprochen, wie willst du mich und den Wechsel entschuldigen bei ihr?« – »O dies ist eben unser Triumph« – (sagte Vult) – »aber du sollst nicht eher erraten, wie ich es mache, als morgen.« – Darauf entdeckte er ihm, er habe heute im Pharao so viel gewonnen, daß er durchaus ein Goldstück als Stückwerk zum Zerstücken von ihm annehmen müsse, wäre es auch nur, damit er unter den Zuschauern etwas zu tun habe, im Magenzimmer; dabei empfahl er ihm, sich als Spes mit keiner weiblichen Maske einzulassen, da aus einer guten Hoffnung leicht die andere werde.

Walts Abendstern trat allmählich wieder ins Vollicht, und als er Vulten die Halbbüste anlegte und ihm ins sehr ernste Gesicht und Auge sah, so sagte er heiß: »Sei froher! Freuden sind Menschenflügel, ja Engelsschwingen. Ich bin nur heute zu sehr von allem berauscht, als daß ich dir meinen Wunsch fein genug ausdrücken könnte, wie du noch mehr lieben solltest als mich.« –

»Liebe«, versetzte Vult, »ist, um in deiner Flötensprache zu reden, ewig ein Schmerz, entweder ein süßer oder ein bitterer, immer eine Nacht, worin kein Stern aufgeht, ohne daß einer hinter meinem Rücken untertaucht – Freundschaft ist ein Tag, wo nichts untergeht als einmal die Sonne; und dann ists schwarz, und der Teufel erscheint. –

Aber ernsthaft zu sprechen, die Liebe ist ein Paradies- und Spaßvogel – ein Phönixvogel voll weicher Asche ohne Sonne – ist zwar weiblichen Geschlechts, hat aber, wie die Ziege, Hörner und Bart, so wie wieder deren Ehemann wahre Milch hat.Nach Bechstein und andern Naturforschern hat der Bock so gut als der Amerikaner Milch, und das alte Sprichwort ist richtig. Es ist beinahe einerlei, was einer über die Liebe sagt oder einwirft; denn alles ist wahr, zu gleicher Zeit. – Hiemit setze ich dir den Blumenkranz auf und verkleide dich in das, was du hast, die Spes. Gehe aber durch meine Türe in den Saal, wie ich durch deine – sieh' zu, schweige still und trinke fort!«

Walten kams beim Eintritt vor, als sehe jeder ihm den Larventausch an und kundschafte seinen Kern hinter der zweiten Hülse leichter aus als hinter der ersten. Einige Weiber merkten, daß Hoffnung hinter den Blumen jetzt blonde Haare statt der vorigen schwarzen trage, maßen es aber der Perücke bei. Auch Walts Schritt war kleiner und weiblicher, wie sichs für Hoffnungen geziemt.

Aber bald vergaß er sich und Saal und alles, da der Fuhrmann Vult ohne Umstände Wina, die jeder kannte, an die regierende Spitze des englischen Tanzes stellte und nun zum Erstaunen der Tänzerin mit ihr einen Tanzabriß künstlich entwarf und, wie einige Maler, gleichsam mit dem Fuße malte, nur mit größeren Dekorationsstrichen. Wina erstaunte, weil sie den Fuhrmann Walt vor sich zu haben glaubte, dessen Stimme und Stimmung Vult wider Walts Voraussetzung hinter der Larve wahrhaft nachspielte, damit er nicht etwa als Lügner befunden werde, der sich für den Notarius nur ausgebe.

Spät am Ende des Tanzes ließ Vult im eiligen Händereichen, im Kreuzen, im fliegenden Auf- und Ableiten sich immer mehrere polnische Laute entwischen – nur Hauche der Sprache – nur irre, aufs Meer verwehte Schmetterlinge einer fernen Insel. Wie ein seltner Lerchengesang im Nachsommer klang Winen diese Sprache herab. Freudenfeuer brannten hinter ihrer halben Larve. Wie sie aus der einsylbigen Angloise in den sprachfähigen Walzer sich hinübersehnte, weil sie ihm ihr Erstaunen und Erfreuen gern anders als mit frohen Blicken sagen wollte, sahen seine, die keine frohen waren.

Es geschah. Aber das zuwehende Lob seiner so lange bedeckten Talente blätterte wieder eines auf, seine Bescheidenheit. Er habe, sagte er von sich in den besten Polonismen, so wenig Welt, so viel Einfalt wie wenig andere Notarien und heiße mit Recht Gottwalt, nämlich Gott walte! Doch sein Herz sei warm, seine Seele rein, sein Leben leise dichtend; und er nehme, wie er vorhin im ersten Walzer gesagt, den Larventanz im Erdensaal gern und froh vom Länderer und Schäferballet an bis zum Waffen- und Totentanz.

Da jetzt der zweite Teil der Musik in jene sehnsüchtige Überfülle, wie in tiefe Wogen, einsank, welche gewaltsamer als alle Adagios den innersten Boden der Sehnsucht heiß aus tiefem Meer aufhebt – und da die Menschen und die Lichter flogen und wirbelten – und das weite Klingen und Rauschen die Verhüllten wieder in sich selber einhüllte, so sagte Vult im Fluge, aber polnisch: »Mit großblätterigen Blumengewinden rauscht die Lust um uns. Warum bin ich der Einzige hier, der unaufhörlich stirbt, weil er keinen Himmel und keine Erde hat, Nonne? denn du bist mir beides. Ich will alles sagen, ich bin begeistert zur Pein wie zur Lust – willst du einen Gottverlaßnen aus einem Gottwalt machen? O gib ein Zeichen, aber eines Worts! Nur der Zunge glaube ich mein Hochgericht; sie sei mein Schwert, wenn sie sich bewegt, Nonne!«

»Gottwalt,« sagte Wina erschüttert und schwerer als er dem Tanze folgend, »wie könnte eine Menschenzunge dies sein? – Aber dürfen Sie mich so quälen und sich?« – »Nonne,« fuhr er fort, »der Laut sei mein Schwert!« – »Harter,« antwortete sie mit leiser Stimme, »Sie foltern härter zum Schweigen als andere zum Reden.«

Jetzt hatt' er alles, nämlich ihr Liebes-Ja für seinen Scheinmenschen oder Rollenwalt, und lachte den wahren aus, der als Rolle und als Wahrheit noch bloße Hoffnung sei und habe; allein sein erzürntes Gemüt bequemte sich nun zu keinem Schattendank, sondern hartstumm tanzte er aus und verschwand plötzlich aus dem fortjauchzenden Kreise.

Lange hatte sich Spes mit lauter Segnungen einer Doppelwonne in der Nähe gehalten und sich und Wina zum besten Tänzer Glück gewünscht, und in der Meinung, ihr sei gesagt, was ihn abbilde, hatte er ihre himmelsvollen Blicke ganz auf sich bezogen. Zum Unglück schöpfte er eben im Trinkzimmer, als der langweilige englische Tanz ausging, auf dessen Ende er seine Anreden verschoben – Vult schwebte eben in der tanzenden Liebeserklärung, und Spes stand mit dem Blumenkranze auf dem Kopfe und dem Flatterzettel der Inschrift am Kinne leerharrend da und mußte dem langen Walzer zusehen. Kurz vorher, ehe dieser schnell abbrach, kam die Sklavin der Tugend und zog Spesen in ein Nebenzimmer. Hundert der seltensten Ereignisse hoffte Spes. »So kennen Sie mich nicht mehr?« fragte die Maske. »Kennen Sie mich denn?« fragte Spes.

»Machen Sie nur einen Moment die Augen zu, so bind' ich Ihre Maske ab und meine dazu«, sagte sie. Er tats. Sie küßte ihn schnell auf den Mund und sagte: »Sie habe ich ja schon wo gesehen.« Es war Jakobine. In diesem Augenblick trat der General Zablocki durch eine zweite Tür hinein: »Ei Jakobine, schon wieder bei der Hoffnung?« sagte er und ging zurück. »Was meinte er damit?« sagte sie. Aber Walt lief erschrocken und halb nackt in den Saal und befestigte darin mit einiger Mühe die verschobene Maske wieder vor den bekränzten Kopf.

Wina und Vult waren nicht mehr zu finden; nach langem Suchen und Hoffen mußte er ohne Umtausch als Hoffnung nach Hause gehen. So schloß der Larventanz voll willkürlicher Verhüllungen endlich mit unwillkürlichen von größerer Schwere.


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