Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 17: Rosenholz

Rosental

In drei Minuten stand der Notar, dem Vults Verstimmung entgangen war, freudig auf dem grünen Wege nach dem Haßlauer Rosentale, das sich vom schönen Leipziger besonders dadurch unterscheidet, daß es sowohl Rosen hat als auch ein Tal und daher mehr der Fantaisie bei Baireuth ähnlich ist, die bloß die Zuckerbäcker-Arabesken und Phantasie-Blumen und Prunk-Pfähle vor ihm voraushat. Aus der Stadt zog er eigentlich kaum, denn er fand die halbe unterwegs; und alle seine Seelen-Winkel wurden voll Sonnenlicht bei dem Gedanken, so mitzugehen unter Leuten, die mitgehen, mitfahren, mitreiten. Rechts und links standen die Wiesen, die wallenden Felder und der Sommer. Aus der Stadt lief das Nachmittags-Geläute der Kirche in die grüne warme Welt heraus, und er dachte sich hinein, wie jetzt die Kirchengänger sich herausdenken und ihn und das freie luftige Leben göttlich finden würden, in den schmalen, kalten, steinernen Kirchen auf langen leeren Bänken einzeln schreiend, mit schönen breiten Sonnenstreifen auf den Schenkeln und mit der Hoffnung, nach der Kirche nachzumarschieren so schnell als möglich.

Die Zugherings-Herde von Menschen legte sich in die Bucht des Rosentals an. Die Laubbäume taten sich auf und zeigten ihm die glänzende offne Tafel des July-Sonntags, die aus einbeinigen Täfelchen unter Bäumen bestand – »köstlich«, sagte der Notar zu sich, »ist doch wahrlich das allgemeine Sesselholen, Zeltaufschlagen, Rennen grüner Lauferschürzen, Weglegen der Schauls und Stöcke, Ausziehen der Körke und Wählen eines Tischchens, die stolzen Federhüte zwischendurch, die Kinder im Grase, die Musikanten hinten, die gewiß gleich anfangen, die warmblühenden Mädchen-Stirnen, die durchschimmernden Gartenrosen unter den weißen Schleiern, die Arbeitsbeutel, die Goldanker und Kreuze und andere Gehenke auf ihren Hälsen und die Pracht und die Hoffnung, und daß noch immer mehr Leute nachströmen – – O ihr lieben Menschen, macht euch nur recht viel Lust, wünsch' ich!« –

Er selber setzte sich an ein einsames Tischchen, um kein geselliges zu stören. Vom Zuckerguß seines stillen Vergnügtseins fest überlegt, saß er daran, sich erfreuend, daß jetzt fast in ganz Europa Sonn- und Lusttag sei, und nichts begehrend als neue Köpfe, weil er jeden zwischen die Augen nahm, um auszufühlen, ob er dem roten Jüngling angehöre, wornach seiner Seele alle ihre Blütenblätter standen.

Ein Geistlicher spazierte vorüber, vor dem er sitzend den Hut abnahm, weil er glaubte, daß Priester, gewohnt, durch ihre Rockfarbe jeden Hut zu bewegen auf dem Lande, jedesmal Schmerzen in der Stadt empfinden müßten, wenn ein ganz fester vorbeiginge. Der Geistliche sah ihn scharf an, fand aber, daß er ihn nicht kenne. Jetzt trabten zwei Reiter heran, von welchen der eine wenig zu leben hatte, der andere aber nichts, Vult und Flitte.

Der Elsasser tanzte reichgekleidet und lustig – obgleich seine te deum laudamus in laus deo bestanden – nach seinem eignen Gesang vom Steigbügel unter seine Bekanntschaften, d.h. sämtliche Anwesende hinein; geliebt von jedem, dem er nichts schuldig war. Er überstand lustig eine kurze Aufmerksamkeit auf sich als den Menschen, der die Kabelsche Erbportion eingebüßet, welche er schon als Faustpfand so oft wie den Reliquienkopf eines Heiligen vervielfacht unter seine Gläubiger verteilt hatte, weil das marseillische Schiff, worauf er eine große, ebensooft verpfändete Dividende hatte, jedem zu lange ausblieb. Walt wunderte und freute sich, daß der singende Tänzer, der alle Weiber grüßte, der kühn ihre Fächer und Sonnenschirme und Armbands-Medaillons handhabte und kühner die Häng-Medaillen und Häng-Uhren von jeder weißen Brust mit den Fingern ans Auge erhob, sich gerade vor den Tisch der drei häßlichsten postierte, denen er Wasser und Aufwärter holte, sogar schöne Gespielinnen. Es waren die drei Neupeterischen Damen, bei welchen Gottwalt gestern drei Visiten-Karten abgegeben. Der Elsasser machte in kurzem umherlaufend das ganze Rosental mit dem dort sitzenden Nanking bekannt, der den alten Kabel beerbte; aber Walt, zu aufmerksam auf andere und zu wenig sich voraussetzend, entging durch sein menschenfreundliches Träumen dem Mißvergnügen, das allgemeine Schielen zu sehen. – Zuletzt trat Flitte gar zu ihm und verriet durch einen Gruß ihn der Kaufmannschaft. Unter allen sieben Erben schien der lustige Bettler gerade am wenigsten erbittert auf Walten zu sein; auch dieser gewann ihn herzlich lieb, da er zuerst den Spielteller der Musikanten nahm, belegte und herumtrug, und gern hätt' er ihm ein großes Stück der Erbportion oder des Testaments zum Lohne mit daraufgeworfen.

Der Notar war besonders auf die feinste Lebensart seines Bruders neugierig. Diese bestand aber darin, daß er sich um nichts bekümmerte, sondern auswärts tat, als sitz' er warm zu Hause und es gebe keine Fremden auf der Welt. Sollt' es nicht einige Verachtung oder Härte anzeigen, dachte Walt, durchaus keine fremde erste Stunde anzuerkennen, sondern nur eine vertraute zweite, zehnte etc.? – Dabei machte Vult das ruhigste Gesicht von der Welt vor jedem schönsten, trat sehr nahe an dieses, klagte, sein Auge komme täglich mehr herunter, und blickte (als Schein-Myops) unbeschreiblich kalt an und weg, als sitze die Physiognomie, verblasen zu einem gestaltlosen Nebel, an einer Bergspitze hängend vor ihm da. Sehr fiel dem Notarius – welcher glaubte, auch gesehen zu haben in Leipzig in Rudolphs Garten, was feinste Sitten und Menschen sind, und mit welchen forcierten Märschen junge männliche Kaufmannschaft weibliche bedient und bezaubert, gleichsam willige Kartesianische Teufelchen, die der Damenfinger auf- und niederspringen lässet – sehr fiel ihm Vults männliche Ruhe auf, bis er zuletzt gar seine Definition des Anstands änderte und sich folgende für den »Hoppelpoppel« aus dem weltgewandten Bruder abzog: »Körperlicher Anstand ist kleinste Bewegung; nämlich ein halber Schritt oder schwacher Ausbug statt eines Gemsensprunges – ein mäßiger Bogen des Ellenbogens statt einer ausgereckten spitzen Fechter-Tangente, das ist die Manier, woran ich den Weltmann erprobe.« –

Zuletzt wurde der Notar auch keck und voll Welt und Lebensart und stand auf mit dem Vorsatz, wacker hin und her zu spazieren. Er konnte so zuweilen ein Wort seines Bruders von der Seite wegschnappen; und besonders irgendwo den roten Liebling des Morgens auffischen. Die Musik, welche die Dienste des Vogelgesangs tat eben durch Unbedeutsamkeit, schwemmte ihn über manche Klippe hinüber. Aber welche Flora von Honoratioren! Er genoß jetzt das stille Glück, das er oft gewünscht, den Hut abzuziehen vor mehr als einem Bekannten, vor Neupeter et Compagnie, die ihm kaum dankten; und er konnte sich nicht enthalten, manche frohe Vergleichungen seiner jetzigen lachenden Lage im Haßlauer Rosental mit seiner sonstigen anonymen im Leipziger anzustellen, wo ihn außer den wenigen, die er nicht richtig bezahlen konnte, fast keine Katze kannte. Wie oft war er in jener unbekannten Zeit versucht, öffentlich auf einem Beine zu tanzen, oder auch mit zwei zinnernen Kaffeekannen in der Hand, oder geradezu eine Flammen-Rede über Himmel und Erde zu halten, um nur Seelen-Bekannte sich ans Herz zu holen! – So sehr setzt der Mensch – der älter kaum bedeutenden Menschen und Büchern zuläuft – jünger schon bloß neuen Leuten und Werken feurig nach.

Mit Freuden bemerkt' er im Gehen, wie Vult in seine Ruhe und Würde so viel insinuante Verbindlichkeit, und in sein Gespräch so viele selber an Ort und Stelle geerntete Kenntnisse von Europens Bilderkabinetten, Künstlern, berühmten Leuten und öffentlichen Plätzen zu legen wußte, daß er wirklich bezauberte; worin ihn freilich seine Verbindung mit seinen schwarzen Augen (darin bestand besonders seine schwarze Kunst bei Weibern) und wieder die Kälte, welche imponiert (Wasser gefriert sich immer erhoben), sichtbar unterstützte. Eine alte Hofdame des regierenden Häuschens von Haßlau wollte schwer von ihm weg; und bedeutende Herren befragten ihn. – Aber er hatte den Fehler, nichts so sehr zu lieben – das Bezaubern ausgenommen – als Entzaubern darauf, und besonders die Sucht, Weiber, wie ein elektrisierter Körper leichte Sachen, anzuziehen, um sie abzustoßen. Walt mußte über Vults Einfälle über Weiber bei Weibern selber erstaunen; denn er konnte im Vorübergehen recht gut vernehmen, daß Vult sagte: sie kehrten stets im Leben und sonst, wie an ihren Fächern, gerade die reichste bemalte Fläche andern zu und behielten die leere – und mehr dergleichen, als z.B.: sie machten, wie man die Coeurs auf Karten zu Gesichtern mit malerischer Spielerei umgewandelt, wieder leicht aus ihrem und einem fremden Gesicht ein Coeur – oder auch: die rechte poetische, aber spitzbübische Art der Männer, sie zu interessieren, sei, ihnen immer die geistige Vergangenheit, ihre Lieblingin, vortönen zu lassen, als z.B. welche Träume vergangen, und wie sich sonst das Herz gesehnt usw.; das sei die kleine Sourdine die man in die Weite des Waldhorns stecke, dessen nahes Blasen dann wie fernes Echo klinge.

»Sie pfeifen auf der Flöte?« sagte die Hofagentin Neupeter. Er zog die Ansätze und Mittelstücke aus der Tasche und wies alles vor. Ihre beiden häßlichen Töchter und fremde schöne baten um einige Stücke und Griffe. Er steckte aber die Ansätze kalt ein und verwies bittend auf sein Konzert. »Sie geben wohl Stunden?« fragte die Agentin. »Nur schriftliche,« versetzt' er, »da ich bald da, bald dort bin. Denn längst ließ ich in den Reichs-Anzeiger folgendes setzen:
 

›Endes Unterschriebener kündigt an, daß er in portofreien Briefen – die ausgenommen, die er selber schreibt – allen, die sich darin an ihn wenden, Unterricht auf der herrlichen Flûte traversière (sie hier zu loben, ist wohl unnötig) zu geben verspricht. Wie die Finger zu setzen, die Löcher zu greifen, die Noten zu lesen, die Töne zu halten, will er brieflich posttäglich mitteilen. Fehler, die man ihm schreibt, wird er im nächsten Briefe verbessern.‹
 

Unten stand mein Name. Gleicherweise kegle ich auch in Briefen mit einem sehr eingezognen Bischof (ich wollt', ich könnt' ihn nennen); wir schreiben uns, redlicher vielleicht als Forstbeamte, wie viel Holz jeder gemacht; der andere stellt und legt seine Kegel genau nach dem Briefe und schiebt dann seinerseits.«


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