Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Endlich fingen die in allen Konzerten eingeführten Hör-Ferien an, die Sprech-Minuten, in denen man erst weiß, daß man in einem Konzert ist, weil man doch seinen Schritt tun und sein Wort sagen und Herzen und Gefrornes auf der Zunge schmelzen kann. »Wer Henker«, sagt Vult sehr gut in einem Extrablatt seines Hoppelpoppels oder das Herz, überschrieben

Vox humana-Konzert

»Wer Henker wollte Ton- wie Dicht-Kunst lang' aushalten ohne das Haltbare, das nachhält? Beider Schönheiten sind die herrlichsten Blumen, aber doch auf einem Schinken, den man anbeißen will. Kunst und Manna – sonst Speisen – sind jetzt Abführungsmittel, wenn man sich durch Lust und Last verdorben. Ein Konzertsaal ist seiner Bestimmung nach ein Sprachzimmer; für den leisen Ton der Feindin und Freundin, nicht für den lauten der Instrumente hat das Weib das Ohr; wie ähnlicherweise nicht für Wohlgeruch, sondern nur für Geruch feindlicher und bekannter Menschen nach Bechstein die Nase der Hund hat. Bei Gott, man will doch etwas sagen im Saal, wenn nicht etwas tanzen. (Denn in kleinen Städtchen ist ein Konzert ein Ball, und keine Musik ohne Sphärentanz himmlischer Körper.) Dahero sollte das Pfeifen und Geigen mehr Nebensache sein und wie das Klingeln der Mühle nur eintreten, wenn zwei Steine oder Köpfe nichts mehr klein zu machen haben. Aber gerade umgekehrt dehnen – muß ich klagen, so gern ich auch allerdings einige Musik in jedem Konzerte verstatte, wie Glocken und Kirchenmusik vorher, eh Kanzeln bestiegen werden – sich die Spielzeiten weit über die Sprechzeiten hinaus, und mancher sitzt da und wird taub und darauf stumm, indes es doch durch nichts leichter wäre als durch Musizieren, Menschen, so wie Kanarienvögel, zum Sprechen zu reizen, wie sie daher nie länger und lauter reden als unter Tafelmusiken. – Nimmt man vollends die Sache auf der wichtigern Seite, wo es darauf ankommt, daß Menschen im Konzert etwas genießen, es sei Bier oder Tee oder Kuchen: so muß man, wenn man erfährt, daß das Musizieren länger dauert als das Trinken, gleichsam das Blasen zur Hoftafel länger als die Tafel selber, oder das Mühlen-Geklingel länger als das Zähne-Mahlen« – – – und so weiter; denn der Hoppelpoppel gehört in sein eignes Buch und nicht in dieses.
 

Jetzt, da sich die ganze neue Welt und Hemisphäre der Schönheiten vordrehte und aufstellte, mußte Wina zu finden sein. Raphaela stand schon herwärts gekehrt, aber die himmelblaue Nachbarin saß noch vor ihr. Der Notar erkundigte sich zuletzt geradezu bei Paßvogeln nach ihr. »Die«, versetzte der Hofbuchhändler, »neben der Demoiselle Neupeter – in Himmelblau mit Silber – mit den Perlenschnüren im Haar – sie war bei Hof – Jetzt steht sie auf – sie wendet sich wahrlich um. – Aber gibts denn schwärzere Augen und ein ovaleres Gesicht – ob ich gleich sehr wohl weiß, daß sie nicht regelmäßig schön ist, z.B. scharfe Nase und die ausgeschweifte Schlangenlinie des entschiedenen Mundes, aber sonst, Himmel!« –

Als Walt die Jungfrau erblickte, sagte die Gewalt über der Erde: »sie sei seine erste und seine letzte Liebe, leid' er, wie er will.« Der Arme fühlte den Stich der fliegenden Schlange, des Amors, und schauerte, brannte, zitterte, und das vergiftete Herz schwoll. Es fiel ihm nicht ein, daß sie schön sei, oder von Stand, oder die Aurikeln-Braut der Kindheit, oder die des Grafen; es war ihm nur, als sei die geliebte ewige Göttin, die sich bisher fest in sein Herz zu ihm eingeschlossen und die seinem Geiste Seligkeit und Heiligkeit und Schönheit gegeben, als sei diese jetzt aus seiner Brust durch Wunden herausgetreten und stehe jetzt, wie der Himmel außer ihm, weit von ihm (o! alles ist Ferne, jede Nähe) und blühe glänzend, überirdisch vor dem einsamen wunden Geiste, den sie verlassen hat, und der sie nicht entbehren kann.

Jetzt kam Wina an der angeklammerten Raphaela, die aus eitler Vertraulichkeit sich neben ihr unter die Menge drängen wollte, den Weg zu Walten daher. Als sie ganz dicht vor ihm vorbeiging und er das gesenkte schwarze Zauber-Auge nahe sah, das nur Jüdinnen so schön haben, aber nicht so still, ein sanft strömender Mond, kein zückender Stern, und worüber noch verschämte Liebe das Augenlid als eine Amors-Binde halb hereingezogen: so trat Walt unwillkürlich zurück, und ein körperlicher Schmerz drückte in seinem Herzen, als werd' es überfüllt.

Da auf der Erde alles so erbärmlich langsam geht, sie selber ausgenommen, und da sogar der Himmel seine Rheinfälle in hundert kleine Regenschauer zersetzt: so ist ein Mensch wie Walt ein Seliger, dem statt der von hundert Altären auffliegenden Phönix-Asche der Liebe und Schönheit ganz plötzlich der ausgespannte goldne Vogel farbeglühend am Gesicht vorüberstreicht. Den Zeitungsschreiber, den plötzlich Bonaparte, den kritischen Magister, den plötzlich Kant anspräche, würde der Schlag des Glücks nicht stärker rühren.

Die Menge verhüllte Wina bald, so wie den Weg auf der fernen Seite, den sie an ihre alte Stelle zurückgenommen. Walt sah sie da wieder mit dem himmelblauen Kleide; und er schalt sich, daß er vom verschwundenen Gesicht nichts behalten als die Augen voll Traum und voll Güte. Aber beides allein war ihm ein geistiges All. Das männliche Geschlecht will den Stern der Liebe, gerade wie die Venus am Himmel, anfangs als träumerischen Hesperus oder Abendstern finden, der die Welt der Träume und Dämmerungen voll Blüten und Nachtigallen ansagt – später hingegen als den Morgenstern, der die Helle und Kraft des Tags verkündiget; und es ist zu vereinigen, da beide Sterne einer sind, nur durch die Zeit der Erscheinung verschieden.

Obgleich Walt andere Mädchen jetzt in sein Auge einlassen mußte, so warf er doch ein mildes auf sie; alle wurden Winas Schwestern oder Stiefschwestern, und diese untergegangene Sonne bekleidete jede Luna – jede Ceres – Pallas – Venus mit lieblichem Licht, desgleichen andere Menschen, nämlich die männlichen, den Mars, den Jupiter, den Merkur – und sehr den Saturn mit zwei Ringen, den Grafen.

Dieser war Walten plötzlich näher gezogen – als sei der Freundschafts-Bund schon mündlich beschworen –; aber Wina ihm ferner entrückt – als stehe die Braut zur Freundin zu hoch. Ihren Brief ihr zu übergeben, dazu waren ihm jetzt Kraft und Recht entgangen, weil er besser überdacht, daß eine bloße Unterschrift des weiblichen Taufnamens nicht berechtigte, eine Jungfrau für die Korrespondentin eines Jünglings durch Zurückgabe bestimmt zu erklären.

Die Musik fing wieder an. Wenn Töne schon ein ruhendes Herz erschüttern, wie weit mehr ein tief bewegtes! Als der volle Baum der Harmonie mit allen Zweigen über ihm rauschte: so stieg daraus ein neuer seltsamer Geist zu ihm herab, der weiter nichts zu ihm sagte als: weine! – Und er gehorchte, ohne zu wissen wem – es war, als wenn sein Himmel sich von einem drückenden Gewölke plötzlich abregnete, daß dann das Leben luftig-leicht, himmelblau und sonnenglänzend und heiß dastände wie ein Tag – die Töne bekamen Stimmen und Gesichte – diese Götterkinder mußten Wina die süßesten Namen geben – sie mußten die geschmückte Braut im Kriegsschiff des Lebens ans Ufer einer Schäferwelt führen und wehen – hier mußte sie ihr Geliebter, Walts Freund, empfangen unter fremden Hirtenliedern und ihr rund umher bis an den Horizont die griechischen Haine, die Sennenhütten, die Villen zeigen und die Steige dahin voll wacher und schlafender Blumen – Er nötigte jetzt Cherube von Tönen, die auf Flammen flogen, Morgenröte und Blütenstaub-Wolken zu bringen und damit Winas ersten Kuß dämmernd einzuschleiern und dann weit davon zu fliegen, um den stummen Himmel des ersten Kusses nur leise auszusprechen.

Auf einmal als unter diesen harmonischen Träumen der Bruder lang auf zwei hohen Tönen schwebte und zitterte, die den Seufzer suchen und saugen: so wünschte Gottwalt mitzitternd, am Traum des fremden Glücks zu sterben. Da empfing der Bruder ein mißtöniges rauhes Lob; aber Walten war bei seiner heftigen Bewegung die äußere gar nicht zuwider.

Es war alles vorbei. Er strebte – und nicht ohne Glück – am nächsten hinter Wina zu gehen; nicht um etwa ihr Gewand zu bestreifen, sondern um sich in gewisser Ferne von ihr zu halten, mithin jeden andern auch und so als eine nachrückende Mauer von ihr das Gedränge abzuwehren. Doch drückte er unter dem Nachgange sehr innig ihre Hand im – Brief an Klothar.

Zu Hause setzt' er im Feuer, das fortbrannte, diesen Streckvers auf:

Die Unwissende

Wie die Erde die weichen Blumen vor die Sonne trägt und ihre harten Wurzeln in ihre Brust verschließt – wie die Sonne den Mond bestrahlt, aber niemals seinen zarten Schein auf der Erde erblickt – wie die Sterne die Frühlingsnacht mit Tau begießen, aber früh hinunterziehen, eh' er morgensonnig entbrennt: so du, du Unwissende, so trägst und gibst du die Blumen und den Schimmer und den Tau, aber du siehst es nicht. Nur dich glaubst du zu erfreuen, wenn du die Welt erquickst. O fliege zu ihr, du Glücklichster, den sie liebt, und sag' es ihr, daß du der Glücklichste bist, aber nur durch sie; und glaubt sie nicht, so zeig' ihr andere Menschen, der Unwissenden.

*

Beim letzten Worte stürmte Vult ohne Binde ungewöhnlich lustig herein.


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