Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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»Weiter kann auch kein Bettler« – sagte Vult – »aber du unterbrichst. So daß also, will ich nur noch zusetzen, die Alten nicht ohne Anspielung dem Gotte der Dichter einfältige junge Schafe geopfert. – Daher ein Reichs-Hofrats-Schluß jeden, der einen Band Gedichte bei Trattner verlegen lassen, sofort pro prodigo erklären sollte, da er in Betracht seiner ewigen göttlichen Apollos-Jugend von 15 Jahren zu bürgerlichen Handlungen, z. B. Schenken unter den Lebendigen, nicht fähig ist, welche Volljährigkeit befehlen..... Nun aber einmal gelassen, Bruder! Was ist denn das für ein Leben dahier, zum Sakrament? – Aber ganz ruhig! Vater, Mutter, Zwillingsbruder willst du Leuten opfern, von denen ich – nichts weiter sage? Bedenk' alles – siebzig eben gefällte Notariats-Bäume – eine so unerwartete Verkettung so vieler Ketten – manche deiner Irrsale auf dem Weg nach Rosenhof – und in der Tat bist du auch heute ganz.... belebt durch den Wein. – Am Ende fliegst du wohl gar mit Sperber- und mit Weihes-Fittichen um das Brautherz der Sitzerin, Fuchs, und brauchst den Pinsel-Bräutigam nur zum Lockvogel, du Raub- und Spaßvogel! Doch du wirst rot. Was Raphaelens Tränen anlangt – glaube mir, die Weiber haben größere Schmerzen als die, worüber sie weinen!«

»Gott, wie desto trauriger!« rief Walt. »Weiber und Müller«, sagte Vult, »halten versteckte Windlöcher, damit Mehl für sie verstäube, wenn der andere mahlt.« –

»Meinetwegen!« sagte Walt. »Ich gab einem Frauenzimmer mein Wort. Ich bürge. Gott dank' ich nur, daß er mir eine Gelegenheit bescherte, das Vertrauen zu zeigen, das man zu den Menschen haben soll, will man nicht das eigne verlieren. Soll es aber sein – lass' mich reden in dieser Stunde –, daß kein Gefühl mehr wahrsagt, soll der Glaube und die Liebe bluten und verbluten: o so freu' ich mich, daß ich die Wunde nur empfange, aber nicht schlage. Ich bürge entschieden. Vater-Zorn – aber kennt er in seiner Dorf-Welt meine höhern Verhältnisse? – und Mutter-Zorn – und Kerker und Not: es brech' ein; ich bürge. Zürne du. Ich bürge und gehe hinab.«

Vult hielt ordentlich noch an sich, ganz bestürzt und aus dem Sattel gehoben von Walts Sprüngen, der jetzt immer weniger zu regieren war, je mehr er ihn stach und trieb – vielleicht, weil der sanfteste Mensch, sobald man seiner Freiheit, statt zu schmeicheln, droht, spornstetigSo sagt man von Pferden, welche das Spornen zu nichts bringt als zum Stehen. wird –: »Du gehst,« sagte Vult, »(ich bitte dich gewiß ruhig) gehe bloß in dich. Fahre nicht, wie ein geblendeter Vogel, gerade in die Höhe! Kehr' um. Ich flehe dich, Bruder!« – »Und müßt' ich gleich ins Gefängnis, ich hielte Wort!« sagt' er. – »Verschimmle da«, sagte Vult; »ich wehr' es nicht; nur aber die klärste Vernunft und Billigkeit behalt' ihr Recht – nur das Gesindel triumphiere nicht – Am Ende wird noch dazu erfahren, daß ich mit dir verwandt bin, und ich werde so verflucht ausgelacht als einer von uns – Freund, Bruder, höre, Teufel!«

Er ging aber. »O du wahrer Linker!«So hießen in Elterlein bekanntlich die adeligen Insassen. (sagte glühend der Flötenist) »Doch zusehen will ich dir unten, wie du vor meinen Augen die Wintersaat zur herrlichsten Sommer-Ernte von Distelköpfen für Finken aussäest!«

Als sie eintraten, fanden sie das Liebes-Paar allein; der Reisediener war noch nicht zurückgekommen zu Vults Verdruß, der oben manche Reden lange gesponnen hatte, um versäumen zu lassen. Walts Gesicht glühte bewegt, auch die Stimme; dabei warf er Blicke auf Vult, in Angst, dieser werde grob. Aber gegen alles Erwarten war der Flötenspieler eine Flöte; er schauete so unbefangen an und sprach so sanft. »Malen Sie ganz lustig weiter«, sagte Vult zu Flitten. »Darüber kann wohl jeder sein Lied singen, über dergleichen Bußtexte; manche besitzen ganze Liederbücher. Ich habe selber einmal in diesem Gesange der drei Männer im Feuer auf eine Weise eine Stimme gehabt, daß ichs beinah' hier zum Besten geben möchte, wenn ich wüßte, daß es uns zerstreuete. Ich entsinne mich nämlich noch sehr wohl, daß ich vorher in London eine Zeitlang in einer Sakristei wohnte und nachts den Kniepolster des Altars als Kopfkissen unterhatte, weil mir die Gelder ausblieben, die ich aus Deutschland bezog. Nicht ganz reich, noch weniger bequem kam ich mit noch sechs Emigranten auf der Post nach Berlin, aber nicht blind, sondern samt unserer ganzen geldersparenden Gesellschaft für ein einmänniges Postgeld. Einer nämlich ließ sich stets einschreiben, welcher zahlte und öffentlich vor der Welt einsaß. Draußen stieg einer um den andern von uns auf, nach der ancienneté der Müdigkeit, indes die übrigen Deutschlandsfahrer neben dem Wagen auf beiden Seiten mitgingen; so daß vor dem zweiten Posthaus immer ein anderer Passagier absprang, als vor dem ersten aufgesprungen war. Die deutschen Posten fahren immer so gut, daß man schon mit fortkommt zu Fuße. In Berlin selber fuhr ich, weil mir die Gelder ausblieben, die ich aus England bezog, noch viel härter. Vom einzigen Berge da, monte di pietà, hatt' ich Aussicht; in großen Städten mietet man sich alles, Häuser, Pferde, Kutschen, böse Frauen, besonders aber zuerst Geld. In letzterem ging ich weit. Schulden führen wie andere Silber-Pillen erst den Morgen darauf, wenn man ausgeschlafen, das ab, was man noch hat. Eine Figurantin bei dem Ballet, welche ich heiraten wollte, weil sie die Unschuld selber war und folglich solche nie verlieren konnte, steigerte das Leid ohne Beileid, die Schulden, noch höher, weil wir die Flitter- und Honig-Wochen vor der Ehe abtaten, damit diese nachher ungestört aus einem Stück gemacht wäre; Flittern und Honig wollen aber gekauft sein. Wie wir freilich liebten, sie im bessern Sinne Figurantin, ich Figurist, mit welchen Konfigurationen – davon ist kein anderer Zeuge mehr da – denn sie wollte kein bloßes Bruststück – als ihr Herzgrubenstück, das ich in einer Ferne von 6 Schuhen malte, indem ich nämlich, selber ein lebendiges Kniestück, die niedrigen Beine aus Ehrfurcht hinter mich oder meine Schenkel zurückwerfend, vor ihr stand auf den bekannten Scheiben der Kniee. Ärzte haben oft bemerkt, daß plötzliches Erschrecken den Körper und dessen Finger so frostig-knapp einziehe und einklemme, daß Ringe, die letztern sonst nicht abzuschrauben waren, von selber abglitten. Es sollte mir so gut werden, etwas Ähnliches zu beobachten. Das gute Tanz-Wesen erschrak so fürchterlich, als ich nachher beschreiben werde, den 7. Februar im Karneval. Ich stieß bei ihr vorher meine gewöhnliche Anzahl Seufzer in einer Minute aus – nämlich vierundzwanzig, wovon, weil man in einer nur zwölfmal atmet, die Hälfte aus-, die Hälfte eingezogen wird –, tat die alten Wünsche, ich möchte meinen Seufzern Luft machen können, als ob ein Seufzer aus etwas anderm bestände, und rief endlich im Feuer aus: ›Wie viel, du Kostbare, bin ich Berlin schuldig, daß ich dich kennen lernte, Unbezahlbare‹ –: als plötzlich bei diesen Worten, wie bei Stichworten, meine ganze Dienerschaft von Lakaien und meine ganze Herrschaft von Hausherren an der Spitze eines Jockeys hereindrangen auf mein Theater – leider keines, worauf meine Kebsbraut sprang – und Dinge von mir verlangten, die ich natürlich nicht bewilligen konnte. Meiner Geliebten – die weniger darauf vorbereitet war als ich – entglitschte vom erschrocknen erkälteten Ringfinger unser großer Ring der Ewigkeit, und sie sagte im Schrecken ohne Bewußtsein verflucht grob: ›Herr von Lumpenhund!‹

Wer in Berlin war, wundert sich gar nicht, sondern weiß, wie man da zuweilen angeredet wird, wenn man zwar von Stand und folglich nicht zu bezahlen ist, aber auch nicht zu bezahlen hat. Ich mutmaße, ich wäre damals gestorben in der Friedrichs-Straße, wär' ich nicht zu meinem Glücke erkrankt an einem hitzigen Fieber. Die Krankheit – weniger der Arzt – rettete mich. Sie, Herr Flitte, wurden, hör' ich, von der Ihrigen auf dem Turm durch die Kunst gerettet; wahrscheinlich also eine ganz andere als die meinige. Mein Fieber organisierte mich so sonderbar, daß mir nicht nur die alten Haare ausfielen – bloß zu einem Titus behielt ich schwachen kurzen Pelz –, sondern auch die alten Ideen, vorzüglich verdrüßliche.

Platner bemerkt recht gut – so wie den teleologischen Vorteil davon –, daß das Gedächtnis des Menschen das Süße weniger fahren lasse als das Bittere.

Mit mir – obwohl nicht vom Krankenlager – standen meine Gläubiger auf. ›Trefflicher Herr Musikhändler Rellstab! – mein Bedienter versichert, Sie hießen so‹ – (sagt' ich zu dem bekannten Manne, meinem starken Gläubiger) ›eben mach' ich mich vom hitzigsten Fieber von der Welt auf und habe alles, 100000 Dinge, ja den Namen vergessen, den ich gewöhnlich unterschreibe. Erklären läßt sichs gut genug aus Physiologie, aus Schweißen, Fieberbildern und Ermattungen; aber verdrüßlich ists für einen Mann wie ich, der gern seine Nota von Musikalien abführt, und dem doch alles entfallen. In dieser Not bitt' ich Sie, so lange zu warten, bis ich mich der Sache entsinne, guter Rellstab; dann, wahrlich, haben Sie Ihr Geld auf der Stelle im Hause, was sich im anderen Sinne ohnehin versteht.‹

Darauf erschien der erste Theaterschneidermeister und Garderobier und ersuchte mich um das Seinige. Ich antwortete: ›Lieber Herr Freytag – denn Sie sind, höre ich, ein Namensvetter des heutigen Karfreitags –, entfährt jedem Schuldner so viel auf dem Krankenbette als mir (z.B. etwa den Blutschuldnern, Ehrenschuldnern), so ists schlimm für Gläubiger. Denn mir für meine Person ist rein alles entfallen, was ich schuldig bin; – Sie werden mir kaum glauben, wenn ich Sie an meine Krankenmatratze führe, wo ich so geschwitzt und gefiebert, daß ich nichts behalten habe. Münzen helfen hier wenig ohne Gedächtnis-Münzen; es ist aber betrübt, Rellstab.‹

Er heiße Freytag, sagt' er. ›Das hole der Teufel,‹ sagt' ich, ›brauch' ich auch gar einen Kor-Repetitor? Nun, ich will nicht vergessen, mich zu erinnern.‹ –

Der Kammerherr Julius..... trat ein und wünschte zu meiner Genesung sich sowohl Glück als die zwanzig Friedrichsd'or Spielgeld von mir. ›Ich soll Sie kennen‹, sagt' ich. – ›Quoddeusvult? – Ich hoffe, du verstehst mich‹, sagt' er. – ›Entschieden!‹ sagt' ich. ›Aber du erschrickst; denn wenn ich weiß, ob ich mehr dir oder dem Mann im Mond oder dem Großwesir Spielgeld schuldig bin: so will ich nicht krank gewesen sein. Recht hast du gewiß; aber sollte man sich denn nicht jedesmal, eh' man in ein hitziges Fieber verfällt, tausend Knoten ins Schnupftuch machen, um genesen manche besser zu lösen als durch das Zuwerfen des Schnupftuchs? Sprich, Kammerherr! – Pass' also, bis mir die Memorie wieder aufhilft! – aber verflucht fatal, daß ihr Leute vom Hofe ganz gegen Platners Bemerkung gerade nur das Fatale (weniger fast Fatalien) behaltet. Aber wie gehts übrigens? Revüe schon an?‹ – ›Wie, im Winter, Vult?‹ sagte Julius. ›Nun, du siehst es selber‹, sagt' ich. ›Was macht denn die liebenswürdige Königin? – Manches, glaub' ich, vergißt man weniger.‹ – Darauf bat ich ihn, nächstens mich zu erinnern, und wir schieden ganz gütlich.

Anders gings, als ich von der langen Brücke in die Königsstraße wollte und mich ein gebildeter Jude aufhielt: ›Lieber Moses!‹ sagt' ich, ›böse Nachrichten! das Fieber hat mich zu einem Titus geschoren.‹ – ›Böse!‹ unterbrach der Jude; ›wenn wir Juden einen schlimmen Fürsten malen wollen, so sagen wir: das ist ein wahrer Titus! – Die Titusköpfe bauen uns kein Jerusalem.‹ – ›Sonst‹ – fuhr ich fort – ›war Hebräisch, Judenteutsch, Neuhebräisch mein Fach, samt den Hülfssprachen, dem Chaldäischen, Arabischen – alles ist vergessen durchs starke Fieber, Moses – Sonst kannt' ich meine Schuldner auf hundert Schritte, die Gläubiger auf tausend weit.‹ – ›Wechsel‹, versetzt' er, ›sind da gut‹ und präsentierte mir einen fälligen noch über der Spree«.....

Hier machte aufgeheitert Herr Paradisi die Türe auf und dankte Raphaelen sehr für ihr Blatt und warf ein höfliches Auge auf Walt. Er nahm dessen Bürgschaft an. Selten war der Notarius seliger – und unseliger gewesen. Vults parodischer, zynischer Spaß hatte ihm allein rein-bitter geschmeckt – andern nur abgeschmackt –; indes ihn das neue Glück erquickte, Flittes Entsatz und Schutzgeist zu werden. Vor Vults Ohren und Augen wurde kühn und kalt die Wechselsache vollführt und geründet, und der Flötenspieler wurde über die so frei auseinanderblühende Gegenwart bestürzt und erzürnt, obwohl heimlich; so wenig verträgt sogar der Kraftmensch fremde Stärke und Konsequenz, sobald sie mehr wider ihn auftritt als für ihn, weil jeder überhaupt vielleicht von fremder mehr zu fürchten als zu hoffen hat.

Als der Wechsel erneuert war, schied der Flötenspieler sanft von der Gesellschaft, besonders von Walt. Dieser begleitete ihn nicht. Er fragte Flitten, ob er die wenigen Stunden, die etwa seiner Probe-Woche noch abgingen, nicht in seinem eignen Zimmer verbringen dürfe. Flitte sagte freudig ja. Raphaela drückte dankend Walten noch ihre zarte Hand in die seinige. Er ging in seine stille Stube zurück, und beim Eintritte war ihm, als wenn er in Tränen ausbrechen sollte, ob vor Freude, oder Einsamkeit, oder Trunk, oder überhaupt, das wußt' er nicht; am Ende vergoß er sie vor Zorn.


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