Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 12: Unechte Wendeltreppe

Reiterstück

Früh am betaueten blauen Morgen stand der Notar schon unter der Haustüre reit- und reisefertig. Er hatte statt des Schanzloopers den guten gelben Sommer- und Frühlings-Rock von Nanking am Leibe, weil er als Universalerbe mehr aufwenden konnte, einen runden weißen braungeflammten Hut auf dem Kopf, die Reit-Gerte in der Hand und Kindestränen in den Augen. Der Schulz rief halt, sprang zurück und sogleich wieder her mit Kaiser Maximilians Notariatsordnung, die er ihm in die Tasche steckte. Drüben vor dem Wirtshause stand der knappe flinke Student Vult im grünen Reisehut und der Wirt, welcher der Familien-Antichrist und ein Linker war. Das Dorf wußte alles und paßte. Es war des Universalerben erster Ritt in seinem Leben. Veronika – die ihm den ganzen Morgen Lebensregeln für Eröffnung und Erfüllung des Testaments vorgezeichnet hatte – zerrete den Schimmel am langen Zügel aus dem Stall. Walt sollte hinauf.

Über den Ritt und Gaul wurde von der Welt schon viel gesprochen – mehr als ein Elterleiner versuchte davon ein leidliches Reiterstück zu geben, lieferte aber freilich mehr die rohen Farbhölzer auf die Leinwand als deren feinsten Absud – auch ist das mein erstes Tierstück von Belang, das ich in die Gänge dieses Werks aufhänge und festmache – –: ich werde demnach einige Mühe daran wenden und die größte Wahrheit und Pracht.

In der Apokalypsis stand so lang ein alter verschimmelter Schimmel, bis ihn der Fleischer bestieg und aus ihr in die Zeit herüberritt. Der poetische Lenz liegt weit hinter dem Gaul, wo er eignes Fleisch statt des fremden trug und mit eignen Haaren den Sattel auspolsterte; er hat das Leben und den Menschen – dieses reitende Folterpferd der wunden Natur – zu lange getragen. Der aus zitternden Fühlfaden gesponnene Notar, der den Tag vorher im Stalle um dessen Keilschrift der Zeit, um die Stigmen von Sporen, Sattel und Stangengebiß, herumging, hätte für Geld keinen Finger in die Narben legen können, geschweige am Tage darauf die Knuten-Schneide oder den Sporendolch. Hätte doch der Himmel dem Konföderations-Tiere des Menschen nur irgendeinen Schmerzenslaut beschert, damit der Mensch, dem das Herz nur in den Ohren sitzt, sich seiner erbarmte. Jeder Tierwärter ist der Plagegeist seines Tiers; indes er gegen ein anderes, z.B. der Jäger gegen das Pferd, der Fuhrmann gegen den Jagdhund, der Offizier gegen Leute außer dem Soldatenstande, ein wahres weichwolliges Lamm ist.

Dieser Schimmel betrat am Morgen die Bühne. Der Notar hatte den Tag vorher den Gaul an eine seiner Gehirnwände festgebunden und – wie die rechte Seite des Konvents und des Rheins – sich immer die linke vorgestellt, um daran aufzusteigen; – in alle Stellungen hatt' er in seinen vier Gehirnkammern das Schulroß gedreht, geschwind es links bestiegen und so sich selber völlig zugeritten für den Gaul. Dieser wurde gebracht und gewandt. Gottwalts Auge blieb fest an den linken Steigbügel gepicht – aber sein Ich wurd' ihm unter den Händen zu groß für sein Ich – seine Tränen zu dunkel für sein Auge – er besteige, merkt' er, mehr einen Thron als einen Sattel – die linke Roß-Seite hielt er noch fest; nur kam jetzt die neue Aufgabe, wie er die eigne linke so damit verknüpfen könnte, daß beide die Gesichter vorwärts kehrten. –

Wozu die teuflische Qual! Er probierte, wie ein preußischer Kavallerist, rechts aufzuspringen. Pfiffen Leute wie Vult und der Wirt seine Probe aus, so zeigten sie weiter nichts, als daß sie nie gesehen hatten, wie emsig preußische Kavalleristen auf dem rechten Bügel aufsitzen lernen, um gesattelt zu sein, falls einmal der linke entzweigeschossen wird.

Auf dem Sattel hat nun Walt als Selbst-Quartiermeister das Seinige zu tun, alles zu setzen – sich gerade und sattelfest –, auszubreiten – die Finger in die Zügel, die Rockschöße über den Pferderücken –, einzuschichten – die Stiefel in die Steigeisen –; und anzufangen – den Abschied und Ausritt.

An letztern wollte der gesetzte Schimmel nicht gerne gehen. Walts delikates Rückwärtsschnalzen mit der Gerte war dem Gaule so viel, als wichse man ihn mit einem Pferde-Haar. Ein paar mütterliche Handschläge auf den Nacken nahm er für Streicheln. Endlich kehrte der Gerichtsmann eine Heugabel um und gab ihm mit dem Stiel auf den Hinterbacken einen schwachen Ritterschlag, um damit seinen Sohn als Reiter aus dem Dorfe in die Welt zu schicken, sowohl in die gelehrte als schöne. Das war dem Tier ein Wink, bis an den Bach vorzuschreiten; hier stand es vor dem Bilde des Reiters fest, kredenzte den Spiegel, und als der Notar droben mit unsäglicher Systole und Diastole der Füße und Bügel arbeitete, weil das halbe Dorf lachte und der Wirt ohnehin, glaubte der Harttraber seinen Irrtum des Stehens einzusehen und trug Walten von der Tränke wieder vor die Stalltüre hin, stört' aber die Rührungen des Reiters bedeutend.

»Wart' nur!« sagte, ins Haus laufend, der Vater, kam wieder und langte ihm eine Büchsenkugel zu: »Setz' ihm die ins Ohr,« sagt' er, »so will ich kavieren, er zieht aus, weil doch das Blei die Bestie kühlen muß, glaub' ich.«

Kaum war das Rennpferd, wie ein Geschütz, mit dem Kopf gegen das Tor gerichtet und das Ohr mit der Schnellkugel geladen: so fuhr es durchs Tor und davon; – und durch das mit Augen bestellte Dorf und vor des Kandidaten Glückwunsch flog der Notarius vorüber, oben sitzend, mit dem Gießbuckel des ersten Versuchs, als ein gebogenes Komma. »Weg ist er!« sagte Lukas und ging zu den Heuschobern hinaus. Still wischte die Mutter mit der Schürze das Auge und fragte den Großknecht, worauf er noch warte und gaffe. Nur ein weinendes Auge hatte Goldine mit dem Tuche bedeckt, um mit dem andern nachzublicken, und sagte: »Es geh' Ihm gut!« und ging langsam in sein leeres Studierstübchen hinauf.

Vult eilte dem reitenden Bruder nach. Als er aber vor dem Maienbaume des Dorfs vorüberging und am Fenster die schönäugige Goldine und im Hausgärtchen die einsame Mutter erblickte, die mit tropfenden Augen, noch im Sitzen gebückt, große Bohnen steckte und Knoblauch band: so überströmte seines Bruders warmes mildes Blut plötzlich sein Herz, und er lehnte sich an den Baum und blies einen Kirchenchoral, damit beider Augen sich süßer löseten und ihr Gemüt aufginge; denn er hatte an beiden den kecken scharfen Seelen-Umriß innigst wert gewonnen.

Es war schade, daß der Notarius, der samt dem Schimmel auf Wiesenflächen zwischen grünschimmernden Hügeln, im blauen wehenden Tage flog, es nicht wußte, daß hinter ihm sein Bruder sein fernes Dörfchen und gerührte liebe Herzen mit Echos erfülle. Oben auf einem Berge legte Walt sich auf den Hals des Flugpferds, um aus dem Ohr die Druckkugel zu graben. Da er sie erwischt hatte: so trat das Tier wieder gesetzter einher als ein Mensch hinter einer Leiche; und nur der Berg schob es herunter, und in der Ebene ging es, wie ein silberner glatter Fluß, unmerklich weiter.

Jetzt genoß der zur Ruhe gesetzte Notarius ganz seine sitzende Lebensart auf dem Sattel und den weiten singenden Tag. Sein hoher Aufenthalt auf der Sattelwarte stellte ihm, diesem ewigen Fußgänger, alle Berge und Auen unter ihn, und er regierte die glänzende Gegend. An einer neuen Anhöhe stieg ein Wagenzug von sieben Fuhrleuten auf, den er gern zu Pferde eingeholt und überritten hätte, um nicht in seinen Träumen durch ihr Umschauen gestört zu werden; aber am Hügel-Fuße wollte der gerittene Blondin so gut die Natur genießen – die für ihn in Gras bestand – als der reitende und stand sehr fest. Walt setzte sich zwar anfangs dargegen und stark, wirkte auf viele Seiten des Viehs vor- und rückwärts; aber da es auf dem Feststehen bestand, ließ ers fressen und setzte sich selber herum auf dem Sattel, um die ausgedehnte Natur hinter sich mit seligen Blicken auszumessen und gelegentlich diese sieben spöttischen Fuhr-Hemden so weit vorauszulassen, daß ihnen nicht mehr unter die Augen nachzureiten war.

Am Ende kommt doch eines, ein Ende – der Bereiter wünschte am Hügelfuße, als er sich wieder vorwärts gesetzt, sich herzlich von der Stelle und etwa hinauf; denn die sieben Plejaden mußten nun längst untergegangen sein. Auch sah er den netten Studenten nachkommen, der das Besteigen gesehen. Aber setzte irgend jemand besondern Wert auf Ernte-Ferien, so tats der Schimmel – vor solcher Anhöhe vollends stand er im Drachenschwanz, im aufsteigenden Knoten – die Zäume, die Fußbälle auf der Erde, alle brachten ihn nicht vorwärts. Da nun der Notar auch die lebendige Quecksilberkugel jetzt nicht wieder mit diesem fixierten weißen Merkurius verquicken wollte – wegen der unglaublichen Mühe, sie aus dem Ohr zu fischen –: so saß er lieber ab und spannte sich seiner eigenen Vorspann vor, indem er sie durch den Flaschenzug des Zügels wirklich hinaufwand. Oben blühte frische Not: hinter sich sah er eine lange katholische Wallfahrt nachschleichen, gerade vor sich unten im langen Dorfe die böse Fuhr-Sieben trinken und tränken, die er einholen mußte, er mochte wollen oder nicht.


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