Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Indes war sein ewiger Wunsch der, etwas zu sagen und von Klothar vernommen, wenn nicht gar angeredet zu werden. Aber es ging nicht. Dem Grafen war aus Achtung ein philosophischer Nachbar, der Kirchenrat Glanz, an die linke Seite gebeten – an die rechte die Agentin gesetzt; – aber er aß bloß. Walt sann scharf nach, inwieweit die vorsitzende Vorschrift feinster Sitten zu kopieren sei, kein Wort zu sagen zur Hausfrau. Er behalf sich, wie ein Verliebter, mit optischer Gegenwart auf Kosten der Zukunft. Es war ihm doch einige Erquickung, wenn der schöne gräfliche Jüngling etwas vom Teller nahm – oder die Flasche – oder froh umhersah – oder träumend in den Himmel hinter dem Fenster – oder in den auf einem lieblichen Gesicht. Aber bitterböse wurd' er auf den Kirchenrat, der einer so fruchttragenden Nachbarschaft ansitzen konnte ohne den geringsten schönsten Gebrauch von derselben, da er doch so leicht, dachte Walt, über Klothars Hand zufällig mit seiner hinstreichen könnte und vollends ihn ins Reden locken. Allein Glanz glänzte lieber – er war vergötterter Kanzelredner und Kanzelschreiber – auf seinem Gesicht stand wie auf den Bologneser-Münzen geprägt: Bononia docetBologna lehrt. – wie andere Redner die Augen, so schloß er die Ohren unter dem Flusse der Zunge – – Mit einer solchen Autors-Eitelkeit schloß er Klothars stolzen Mund. Darüber aber machte auch Walt seinen nicht auf. Er hielt es für Tisch-Pflicht, jedem Gesicht eine Freuden-Blume über die Tafel hinüber zu werfen – die Artigkeit in Person zu sein – und immer ein wenig zu sprechen. Wie gern hätt' er sich öffentlich ausgedrückt und ausgesprochen! Leider wie Moses saß er mit leuchtendem Antlitz und mit schwerer Zunge da, weil er schon zu lange mit dem Vorsatze gepasset, in das aufgetischte Zungen- und Lippen-Gehäcke, das er fast roh und unbedeutend fand, etwas Bedeutendes seinerseits zu werfen, da es ihm unmöglich war, etwas Rohes wie der Kaufmann zu sagen: ein Westfale, der einen feinen Faden spinnt, ist gar nicht vermögend, einen groben zu ziehen. Je länger ein Mensch seinen sonnigen Aufgang verschob, desto glänzender, glaubt er, müßt' er aufgehen, und sinnet auf eine Sonne dazu; könnt' er endlich mit einer Sonne einfallen, so fehlt ihm wieder der schickliche Osten zum Aufgang, und in Westen will er nicht gern zuerst empor. Auf diese Weise sagen nun die Menschen hienieden nichts.

Walt legte sich indes auf Taten. Die beiden Töchter Neupeters hatten unter allen schönen Gesichtern, die er je gesehen, die häßlichsten. Nicht einmal der Notarius, der wie alle Dichter zu den weiblichen Schönheits-Mitteln gehörte und nur wenige Wochen und Empfindungen brauchte, um ein Wüsten-Gesicht mit Reizen anzusäen, hätte sich darauf einlassen können, eine und die andere Phantasie-Blume in Jahren auf beide Stengel fertig zu sticken. Es war zu schwer. Da er nun gegen nichts so viel Mitleiden trug als gegen eine weibliche Häßlichkeit, die er für einen lebenslangen Schmerz hielt: so sah er die Blonde (Raphaela hieß sie), die ihm zum Glücke Blickschuß-recht saß, in einem fort mit unbeschreiblicher Liebe an, um ihr dadurch zu verraten, hofft' er, wie wenig er sich von ihren Gesichts-Ecken abstoßen lasse. Auch auf die Brünette, namens Engelberta, ließ er von Zeit zu Zeit einen sanften ruhenden Seitenblick anfallen, wiewohl er sie wegen ihrer Lustigkeit nur eines mattern Mitleids würdigte. Es stärkte und erquickte ihn ordentlich bei seinem Mitleiden, daß beide Mädchen mit Putz und Pracht jeden weiblichen Neid auf sich zogen; – als vergoldete Wirtschaftsbirnen, geschminkte Blatternarben, in herrlichen Franz gebundene Leberreime mußte man sie anerkennen. Hoch mußt' er bei dieser Denkungsart den sympathetischen Nachbar Flitte stellen, der mit ihm in Aufmerksamkeit und Achtung für dieselbe häßliche Raphaela wetteiferte! Er drückte Flitten – der als armer Teufel nichts weiter von der verhaßten Schönheit wollte als die Hand mit dem Heiratsgut – unter der Serviette die seinige; und sagte nach dem dritten Glas Wein: »Auch ich würde mit einer Häßlichen zuerst sprechen und tanzen unter vielen Schönen.« – »Sehr galant!« (sagte der Elsasser) »Sahen Sie aber je eine superbere Taille?« – Diese nahm jetzt erst der Notar an beiden Töchtern auf Erinnern wahr; wer sie köpfte, machte jede zur Venus, ja mit dem Kopfe sogar konnte jede sich für eine Grazie halten, aber in doppelten Spiegeln. Gelehrte kennen keine Schönheiten als physiognomische; Walt war majorenn geworden, ohne zu wissen, daß er zwei Backenbärte habe, oder andere Leute Taillen, schöne Finger, häßliche Finger usw. – »Wahrhaftig,« antwortete der Notar dem Elsasser, »ich wollte wohl einer Häßlichen ohne allen Gewissensbiß die schöne Taille ins Gesicht sagen und loben, um die Arme damit bekannt und darauf stolz zu machen.« Wenn Flitte etwas gar nicht begriff, so fragte er nichts darnach, sondern sagte schnell ja. Walt heftete jetzt in einem fort recht sichtbar die Augen auf Raphaelens Taille, um sie damit bekannt zu machen. Die Blonde schielte von seinen Blicken zurück und suchte sich tugendhaft zu beunruhigen über die Frechheit des jungen Harnisch.

»Wer mir lieber, Herr? die Blonde oder Braune?« (sagte der Hofagent, vom Weine lustig) – »Auf jeden Fall die Blonde, sag' ich; denn sie kostet vierteljährlich der Kassa zwölf Groschen weniger. Für 3 Tlr. 12 Gr. gutes Geld verkauft der Mundkoch Goullon in Weimar seine Flasche roten Schminkessig (vinaigre de rouge) nota bene für Blonde; für Braune hingegen jede um nette 4 Tlr.; hat sie vollends schwarzes Haar, so muß ich gar die Flasche zu 4 Tlr. 12 Gr. verschreiben. Raphel! du sollst leben!« – »Cher père,« versetzte sie, »nennen Sie mich doch nur Raphaela.« – »Er verdients,« (dachte Walt, betroffen über Neupeters Ungeschicklichkeit) »daß sie sagte: Scheer-Bär!« Denn so hatt' er verstanden.

»Heute gibt der arme blinde Baron sein Flöten-Konzert«, sagte schnell Raphaela; »ach! ich weiß noch, wie ich über Dülon geweint.« – »Ich weiß des Menschen Namen nicht« – sagte die brillantierte Mutter, namens Pulcheria, aus Leipzig, wohin sie beide Töchter mehrmals abgeführt, als in eine hohe Schule bester Sitten – »der Habenichts ist aber ein grober Knoll und dabei ein Flausenmacher.« – Walt arbeitete in sich, weinglühend, an der schnellsten Verteidigung. – »Sobald ein poweres Edelmännchen«, sagte Engelberta spöttisch, »nur etwas lernt und versteht, so nehm' ichs nicht so genau.« – »Wer weiß es denn,« sagte die Mutter, »was er auf der Flöte kann für Leute, die schon was gehört haben?« – »Er ist«, fuhr Walt in größter Kürze los, »nicht grob, nicht dürftig, nicht ungeschickt, nicht manches andere, sondern wahrlich ein königlicher Mensch.« Hinterher merkt' er selber die unabsichtliche Hitze in seiner Stimme und Kürze; aber seinen sanften Geist hatte die absprechende Kauffrau überrumpelt, die zwar in den Zeiten hübsch gewesen, wo sie Gellerten reiten sehen, die aber jetzt – aus ihren eignen Relikten bestehend – als ihr eignes Gebeinhaus – als ihre eigne bunte Toilettenschachtel – ihren kostbaren Anzug zum bemalten metallischen, mit Samt ausgeschlagenen, mit vergoldeten Handheben beschlagenen Prunksarg ihrer gepuderten Leiche machte. Walt hatte gar nicht wild sein wollen, nur gerecht. Man hörte seine vorlaute Phrasis mit kurzem Erstaunen und Verachten an. Neupeter aber nahm sofort den Faden auf: »Bulchen,« sagte er zur Frau in angetrunkener Barmherzigkeit, »ich will, weils doch eine arme Haut sein soll und noch dazu blind, drei Billette für euch Weibsen holen lassen vom powern Wicht.«

»Die ganze Stadt geht hin,« sagte Raphaela, »auch meine teuerste Wina. O! Dank, cher père! Wenn ich den Unglücklichen höre, zumal im Adagio, ich freue mich darauf, ich weiß, da ›sammlen sich alle gefangnen Tränen um mein Herz‹Die Redensart hat sie aus dem Hesperus. , ich denke an den blinden Julius im Hesperus, und Tränen begießen die Freuden-Blumen.«

Darauf sah sie nicht nur der Vater entzückt über ihren Sprechstil an – ob er gleich als ein alter Mann den seinigen fortackerte –, desgleichen Flitte begeistert, sondern auch der Notar begab sich mit innigstem Beifall wieder in ihr Gesicht herauf, voll kurzer Wünsche, letzteres wäre auszustehen oder doch zu heben durch Liebe, da er unter einem Dache mit ihr lebte. Aber ihm wurde durch Winas Ankündigung ein Sturm in die Seele geschickt – sein beseeltes Auge hing sich an ihren Bräutigam – als plötzlich wieder Raphaela die größten Revolutionen an dem Tische anstiftete durch die Frage an Glanz: »Wie kommts, Herr Kirchenrat, um auf Sehende zu kommen, daß alle Bilder im Auge verkehrt sind, und wir doch nichts verkehrt erblicken?«

Dann als der Kirchenrat langsam und langweilig die Sache aus seiner Lektüre so gut auseinandersetzte, daß die Tafel bewundern mußte: so fing der Graf Feuer. Es sei, daß er satt war des Essens – oder satt des Hörens – oder übersatt der Glanzischen theologischen Halbwisserei und lingua franca, jener schalen Kanzel-Philosophie, wovon ¼ moralisch, ¼ unmoralisch, ¼ verständig, ¼ schief ist und das Ganze gestohlen – genug, der Graf begann und unterhielt ein so langes heftiges Feuern gegen den Kirchenrat – wozu die nahe Nummer Congeries von mäusefahlen Katzenschwänzen aus- und eingeräumt wird –, daß er ordentlich nicht mehr Haß gegen das Mattgold der theologischen Moralisten und Autoren hätte zeigen können, wenn er auch der Flötenspieler Quod deus vult selber gewesen wäre, der sich allerdings so aussprach: »Von alten Schimmelwäldchen der Philosophen klauben sich die Theologen die abgefallnen Lese-Früchte auf und säen damit an. – Diese größten engsten Egoisten machen Gott zum frère servant der Pönitenzpfarren, wohin sie voziert worden, und auf dem Wege nach dem Filial glauben sie, die Sonnenfinsternis sei gekommen, damit sie weniger schwitzen und schattiger reiten – und so fegen sie die Herzen und Köpfe, wie in Irland die Bedienten die Treppen, mit ihren Perücken.«


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