Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 30: Mißpickel aus Sachsen

Gespräch über den Adel

Der Notar verlor jeden Tag seinen Bruder einmal. Er konnte dessen Verschwinden nicht fassen; die Sonnenfinsternis des Schmollgeistes war ihm eine unsichtbare. Bald hielt er ihn für ersoffen – bald für verreiset – bald für entlaufen – bald für beglückt durch ein seltenes Abenteuer. Er suchte den zweimal besiegelten Brief mit der Unsichtbarkeit zu kombinieren und rechnete einige Hoffnung heraus. Immer macht' er die Betrachtung, wie wenig auch die besten Gewinn- und Verlust-Rechnungen von der Zukunft in der dunkeln Rechenkammer, die uns verhangen ist, bestätigt werden! Welche freudige glänzende Bilder hatt' er sich nicht schon weit in seine Zukunft hineingestellt, welche Bilder davon, wie er mit seinem Bruder in täglicher Auswechselung wachsender Empfindungen und Ideen und Bekanntschaften leben und mit wenigen Freimäuerer-Zeichen der Verwandtschaft den Grafen in den feurigen Bund hineinziehen werde, indes aus allen nichts wurde als die gedachte Betrachtung! – Aber schon bei dem peloponnesischen Kriege – und überhaupt in der Geschichte der Völker sowohl als seines Lebens – hatt' er zuerst bemerkt, daß in der Geschichte – was sie einem alles motivierenden Dichter der Einheit ordentlich zum Ekel macht – so unendlich wenig Systematisches in Leid oder Freude vorfalle, und daß man eben darum bei der falschen Voraussetzung einer trüben oder lichten Konsequenz seine oder fremde Zukunft so schlecht errate; denn überall werden im historischen Bildersaal der Welt aus den größten Wolken kleine, aus den kleinsten große – um die größten Sterne des Lebens ziehen sich dunkle Höfe – und nur der verhüllte Gott kann aus dem Spiel des Lebens und der Geschichte einen Ernst erschaffen.

Die Botenfrau aus Elterlein brachte Walten folgendes Briefchen vom Bruder:
 

»Morgen abends komm' ich, geh mir entgegen. Eben schneidet Deine Mutter einer Bettlerin Brot vor; denn ich bin in Elterlein im Wirtshaus.

Ich habe seitdem in einigen bedeutenden Marktflecken geblasen für Geld; es wachsen freilich mehr Gräser als Blumen, doch heben jene diese, ich rede von Menschen. Es wird Dir anvertraut, daß ich vor meiner Abreise aus Haßlau so verstimmt war wie eine Wind-Harfe oder wie die Glocke einer Brockenkuh. Ich weiß nicht wovon; ich wollt' aber, ein bedeutender Freund, oder gar Du hättest meine Saiten so durcheinander geschraubt, kurz einer von Euch beiden hätte mich ein wenig beleidigt und meinen Schmollgeist zitiert. Ich würde mich – das hätte mich wieder ausgestimmt ohne Verlust von 32 Saiten oder Zähnen – mit ihm tüchtig überworfen haben; ich hätte häßlich gedonnert, gehagelt, gewettert; das macht, wie gesagt, gutes Blut.

Denn nichts ist schädlicher, Notarius, sowohl in Ehen als Freundschaften seiner Seelen, als ein langer unaufgelöseter Verhalt auf einem Mißton bei einem wechselseitigen fortwährenden Zusammenstimmen in allen zärtesten Pflichten, so daß die Narren sich abstoßen, ohne sonst zu verstoßen; da doch solche Seelen in jeder bedeutenden Spaltung auf nichts so eifrig denken sollten, als sie bis zum rechten Zanke zu treiben, worauf sich Versöhnen von selber einstellte. Der Braunstein liefert bei mäßiger Erhitzung Stickgas; aber zwing' ihn zum Glühen, so haucht er ja Lebensluft. Aus der Knallbüchse fliegt der Pfropf nicht anders heraus als durch einen zweiten.

Zum Glück können wir beide jeden Hader entraten, sogar den stärksten. Doch zurückzukommen – ich bekam bald Luft, sobald ich nur im Freien war und ritt und blies und schrieb. Erträgliche Sachen und Schwanzsterne setzt' ich für unsern Hoppelpoppel oder das Herz teils auf dem Sattel auf, teils sonst. Wahrlich ich wurde dir ganz gut; deswegen, glaub' ich, konnt' ichs ordentlich nicht lassen, sondern mußte nach Elterlein. Ich dachte: ›Dein Freund ist doch da so gewiß ans Licht gekommen, und seiner desgleichen‹, und was man so sagt, wenn man denkt.

Ein lang verschobenes Werk konnt' ich da verrichten. Da ich, wie ich dir öfters gesagt, dem entlaufenen jungen Harnisch Vult mit seiner Flöte mehrmals aufgestoßen: so konnt' ich dem alten Schulzen schöne Nachrichten und Briefe vom Wildfang geben. Ich ließ den Vater ins Wirtshaus kommen. ›Der und der Edelmann sei ich‹, (sagt' ich dem staunenden Manne) ›und sein Sohn sei mein Intimer – er befinde sich wohl auf den Postwagen, wo man ihn außer den Konzertsälen zu suchen habe – es geh' ihm so gut wie mir selber – er würd' ihn nicht kennen, ständ' er vor ihm da, so schön verändert sei er, schon mit der volljährigen Stimme, deren Diskantschlüssel der Bart dadurch abgedreht worden, daß er selber einen Bart bekommen – und er lass' ihn grüßen.‹ – Er versetzte, es freue ihn über die Maßen, daß ein solcher braver Herr wie ich gut auf seinen Halunken von Sohn zu sprechen sei, und es widerfahre ihm und dem Flegel eine wahre Ehre. Ich warf noch einiges ein zur Entschuldigung des guten abwesenden Menschen und reicht' ihm zum Behalten den bewußten Brief desselben aus Baireuth an mich, worin er, einige musikalische Klagen über die dasigen Ohren ausgenommen, fast bloß von seiner geliebten Mutter spricht. ›Auch dessen Herrn Bruder, jetzigen Notar, kenn' ich sehr wohl‹, fügt' ich bei und schlug vor seiner Nase einen schwachen Riß von deinen Höhen und Tiefen auf: ›mehr nicht als 32 Beete hat der admirable Mann sich mit dem Stimm-Hammer weg– (nicht zu–) geschlagen, und die Stadt hält es bei so vielen Saiten, die er unter sich hatte, mehr für ein Wunder als für einen Bock‹, sagt' ich, um ihn für deine künftige Nachricht davon auszurüsten mit dem lindesten Herzen von der Welt. Es wollte ihm aber schwer ein, das Herz; und er schimpfte auf deinen Kopf. ›Er erlebe wenig Freude an seinen Söhnen,‹ – beschloß er – ›und der Teufel könne die Spitzbuben holen, wenn er wolle.‹ Ich schickte den Bauer ganz kurz und hochtönig fort, da er zu vergessen anfing, daß seine Zwillinge meine Achtung in einigem Grade besäßen.

Abends – als ich auf der schönsten Höhe des Zablockischen Gartens lag und für uns eine Satire über den Adel entwarf und dabei der untergehenden Sonne ins große Engels-Auge sah, die ein lumpiges Dörfchen ebensogut als ihren Hof von Welten anschauet, und als über mir auf den leichten roten Wölkchen manche Bilder des Lebens dahinschifften, da erklang plötzlich eine köstliche kunstgerechte Singstimme, die mich aus allen Satiren, Träumen, untergehenden Sonnen wegjagte ins Ohr hinein, in dessen Labyrinth, wie im ägyptischen, Götter begraben liegen. Die Generals-Tochter sang; sie hatte, wie vornehme Mädchen auf ihren Rittergütern pflegen, der Sonne und der Einsamkeit – denn horchende Bauern sind nur stille Blumen und Vögel in einem Hain – ein ganzes leidendes Herz mit Tönen auseinandergetan. Sie weinte sogar, aber sanft; und da sie sich allein glaubte, trocknete sie die Tropfen nicht ab. Sollte der edle Klothar, dacht' ich, seine Braut in dunkle Farben kleiden, weil sie eine taille fine geben? – Das schwerlich!

Endlich sah sie mich, aber ohne zu erschrecken, weil der blinde Konzertist, wofür sie mich noch halten mußte, ja ihr nasses Auge und Angesicht nicht kennen konnte. Sie, die Unwissende, sah sich nach meinem Führer um, indes sie leise ihr Busenlied ertönen ließ. Bekümmert um den hülflosen Blinden, ging sie langsam auf mich zu, begann ein fremdes frohes Lied, um sich mir unter Singen so zu nähern, daß ich nicht zusammenführe, wenn man mich plötzlich anredete. Ganz nahe an mir unter den heitersten Tönen floß ihr Auge heftig über aus Mitleid, und sie konnt' es nicht eilig genug lichten, weil sie mich anschauen wollte. Wahrlich ein gutes Geschöpf, und ich wollt', es wäre keine Braut oder eine Frau! – Wie ein Rosenbeet blühten, zumal vor der Abendsonne, alle ihre wohlwollenden Gefühle auf dem kindlichen Gesicht; und bedenk' ich die zarten schwarzen Bogen der schönsten schwarzen Augen, so hatt' ich Augenlust und Augenbraunenlust zugleich und genug. Aber wie kann ein Mann zu einer Schönheit sagen: heirate mich meines Orts! da ja durch die Ehe, wie durch Eva, das ganze Paradies mit allen vier Flüssen verloren geht, ausgenommen den Paradiesvogel daraus, der schlafend fliegt? Eine schöne Stimme aber zu ehelichen durch Ehepakten – das ist Vernunft; außerdem daß sie, wie die Singvögel, immer wieder zurückkehrt – das Gesicht aber nicht –, so hat sie den Vorzug vor diesem, daß sie nicht den ganzen Tag dasteht, sondern manchmal. – Kenn' ich denn nicht mehr als einen abgeschabten Ehemann – gelb geworden gerade dadurch, wodurch gelbes Elfenbein weiß wird, durch langes Tragen an warmer Brust –, der sogleich die Farben änderte, wenn die Frau sang, ich meine, wenn das welsche Lüftchen aus warmer alter Vergangenheit närrisch und tauend das Polar-Eis seiner Ehe anwehte? –

Fast als schäme sich Wina, neben einem Blinden allein zu sehen, gab sie wenig auf die Himmelfahrt der Sonne acht. Sie hörte auf zu singen, sagte ohne Umstände, wer vor mir stehe, und fragte, wer mich geführet habe. Ich konnte sie unmöglich mit dem Geständnis guter Augen beschämen, doch versetzt' ich, es habe sich um vieles gebessert, ich sähe die Sonne gut, und nur nachts steh' es mit dem Sehen schlecht. Um einen Handlanger meiner Augen zu erwarten, fing sie ein langes Lob meiner Flöte an, der man in größter Nähe, sagte sie, nicht den Atem anhöre, und erhob die Töne überhaupt als die zweiten Himmels-Sterne des Lebens. ›Wie hält aber das Gefühl die immerwährenden Rührungen der Flöte aus, da sie doch sehr der Harmonika gleicht?‹ fragte sie. Wer so gut sänge, sagte ich, als sie, würde am besten wissen, daß die Kunst sich vom persönlichen Anteil rein halten lerne. Soviel hätt' ich sagen sollen, nur nicht mehr; aber ich kann das nie: ›Ein Virtuose‹, fügt' ich bei, ›muß imstande sein, während er außen pfeift, innen Brezeln feil zu halten, ungleich den Brezel-Jungen, die beides von außen tun. Rührung kann wohl aus Bewegungen entstehen, aber nicht Kunst, wie bewegte Milch Butter gibt, aber nur stehende Käse.‹

Sie schwieg sehr betroffen, als wäre sie du – nahm einige Dornenreiser weg, die mich Dornenstrauch stechen konnten – und sie dauerte mich halb, zumal als ich sehr ihrem zu häufigen Augenlider-Nicken zusah, das ihr lieblich lässet, ohne daß ich recht weiß warum.


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