Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Er machte auch zur versprochnen Zeit die Gartentüre auf. In der Villa war Musik. Er verbarg sich und seine Wünsche in die schönste Grotte des Parks. Aus der Felsenwand hinter ihm drangen Quellen und überhängende Bäume. Vor ihm goß der glatte Fluß seinen langen Spiegel durch ein Auen-Land. Windmühlen kreiseten ungehört auf den fernen Höhen um. Ein sanfter Abendwind wehte das rote Sonnengold aus den Blumen höher um die Hügel. Eine weibliche Statue, die Hände in ein Vestalinnen-Gewand gehüllt, stand mit gesenktem Haupte neben ihm. Die Töne der Villa hingen sich wie helle Sterne ins Quellen-Rauschen und blitzten durch. Da Gottwalt nicht wußte, welches Instrument Klothar spiele: so gab er ihm lieber alle in die Hand; denn jedes sprach einen hohen, tiefen Gedanken aus, den er dem Herzen des Jünglings leihen mußte.

Er entwarf sich unter den süßen Klängen mehrmals den Umriß von der unerhörten Seligkeit, wenn der Jüngling auf einmal in die Grotte träte und sagte: »Gottwalt, warum stehest du so allein? Komme zu mir, denn ich bin dein Freund.«

Er half sich durch einige Streckverse an Jonathan (so wollt' er im Haßlauer Wochenblatte den Grafen verziffern), die ihm aber schlecht gelangen, weil sein innerer Mensch viel zu rege und zitternd war, um den poetischen Pinsel zu halten. Zwei andere Streckgedichte, unter welche er jene absichtlich im Wochenblatte zum Scheine mischen wollte, als sei alles Dichtung, waren viel besser und hießen so:

Bei einem Wasserfalle mit dem Regenbogen

O wie schwebt auf dem grimmigen Wassersturm der Bogen des Friedens so fest. So steht Gott am Himmel, und die Ströme der Zeiten stürzen und reißen, und auf allen Wellen schwebet der Bogen seines Friedens.

Die Liebe als Sphinx

Freundlich blickt die fremde Gestalt dich an, und ihr schönes Angesicht lächelt. Aber verstehst du sie nicht: so erhebt sie die Tatzen.

*

Eben kam der Gärtner und befahl ihm an, sich weg zu machen, weil man den Garten schließe. Er dankte und ging willig. Aber zu seinem Erstaunen fuhr er in der Theaterschneiders-Gasse nahe vor einem sechsspännigen Fackel-Wagen vorbei, worin Klothar saß nebst andern, so daß er im Garten manches, sah er, vergeblich empfunden. Er ging noch eine halbe Stunde vor Vults Fenstern auf und nieder, zwar ohne diesen zu sehen, der ihn sah, aber doch um ihn sich nahe zu denken.

Tags darauf hatt' er das Glück, den Grafen, der mit einer alten krummen Dame englisch sprach, auf einem Garten-Gange zu treffen und vor dessen ernstem schönen Gesicht den Hut mit Liebes-Augen zu ziehen. Er suchte ihm noch sechs- oder siebenmale aufzustoßen und zog ebensooft – aus Unbekanntschaft mit der Garten-Kleiderordnung – den Salutier-Hut, was zuletzt dem Grafen so verdrüßlich fiel, daß er unter Dach und Fach auswich. Auch der Gärtner, der längst über ihn und seine scharfen Beobachtungen des Land-Hauses seine eignen angestellt, wurde konfus und glaubte, etwas zu vermuten.

Noch spät abends kam ein Läufer vom polnischen General Zablocki – der in Elterlein das bekannte Ritterschloß hatte – mit dem Befehle, sich morgen ganz früh punkt 11 Uhr einzustellen, um etwas zu machen. »O lieber wenn doch mein Klothar ein Instrument bei mir bestellte! Gäb' es denn eine holdere Gelegenheit?« dacht' er. Punkt 11 Uhr kam derselbe Läufer und bestellt' ihn ab. Aber an der Wirtstafel vernahm er, welche Himmelskugel nahe vor ihm seitwärts weggezogen war.

Die Tisch-Genossenschaft vereinigte sich nämlich, das göttliche Gemüt einer gewissen »Generals- Wina« zu erheben ... Es gibt vielerlei Ewigkeiten in der armen zeitlichen Menschenbrust, ewige Wünsche, ewige Schrecken, ewige Bilder – so auch ewige Töne. Der Laut Wina, ja nur der verwandte Winchen, Wien, Mine, München, erfaßte den Notar ebensosehr, als wenn er an – Aurikeln roch, auf deren Duft-Wolken er sich so lange in neue ausländische Welten verschwamm, bis er entdeckte, daß er nur die frühesten seines Lebens tauig ausgebreitet sehe. Und die Ursache war eben eine. In seiner Kindheit war nämlich, da er an den Blattern blind dalag, ein Fräulein Wina, die Tochter des General Zablocki, dem das halbe Dorf oder die sogenannten Linken gehörte, mit der Mutter zum Schultheiß gekommen. In der Familie hatte sich erhalten, daß das kleine Mädchen gesagt, der arme Kleine sei ja sehr tot, und sie woll' ihm alle ihre Aurikeln geben, weil sie ihm keine Hand geben dürfte. Der Notar beteuerte, daß er sich es noch klar und süß erinnere, wie ihn Blinden der Aurikeln-Geruch durchdrungen und ordentlich berauscht und aufgelöset habe, und wie er ein peinliches Schmachten gefühlt, nur eine Fingerspitze des Kindes, dessen süßes Stimmchen ihm fern, fern herzukommen schien, anzurühren, und wie er die kühlen Blumenblätter an seinen heißen Lippen totgedrückt. Diese Blumen-Geschichte mußt' ihm, erzählt' er, in der Krankheit und nachher in der Gesundheit unzählige Male erzählt werden, er habe aber Wina nie aus seiner Kindheits-Dämmerung gelassen und sie später nie angesehen, weil er es für Sünde gegen dieses für das Tageslicht ordentlich zu heilige zarte Wesen gehalten. Wenn ansehnliche Dichter ihre Arme und Flügel zusammenstellen, um wie auf einem Minervens-Schilde eine Schönheit emporzuheben durch Wolken hindurch, über schwache Monde, mitten unter die Nacht-Sonnen hinein: so hob doch Walt die ungesehene, süß sprechende Wina viel höher, nämlich in das dunkle tiefste Sternenblau, wo das Höchste und das Schönste glüht und strahlt, ohne Strahlen für uns Tiefe; gleich den großen Zentral-Sonnen Herschels, welche durch ihre unendliche Größe ihren unendlichen Glanz wieder an sich ziehen und ungesehen in ihrem Feuer schweben.

Gottwalt fragte, ob diese Wina die Tochter Zablockis sei. Er hörte, es sei diese eben die Braut – Klothars. Welche Überraschung, sich einen männlichen, markigen, scharfen Geist und Freund mit der sanften Liebe zu denken, mit dem Dämpfer, der das Schmettern zu Nach- und Wiederklängen erweicht, einen Heros neben einer heiligen Jungfrau – und auf der andern Seite sich die Braut eines Freundes zu denken, diese höhere geistige Schwester, diese Gott geweihte Nonne im Tempel der Freundschaft (denn für eine schöne Seele gibt es keine schönere als des Freundes Geliebte) – – mehr Liebe und Freuden-Träume konnte eine einzige Nachricht schwerlich einem Menschen zuwerfen als die neue dem Notar, die neueste ausgenommen, daß heute beim General die Ehepakten aufgesetzet worden oder doch würden. Der Notar, der aus seiner Abbestellung das Widerspiel wußte, fuhr ordentlich vor der aufgeschobenen Herzens-Szene zusammen, die ihm entgangen war; »ich glaube, ich sterbe« – dacht' er – »vor Liebe gegen zwei solche Menschen, die ich auf einmal in ihrer fände; den Kontrakt würd' ich ohnehin mit zehntausend Fehlern aufsetzen, und stände mein Kopf darauf.«

Er hörte aber noch mehr. Der Graf, sagte die Wirtstafel, heirate sie bei seinem Reichtum nur der Schönheit und Ausbildung wegen, denn er habe zehnmal mehr Geld als der General Schulden. »Was tuts,« sagt' ein unbeweibter Komödiant, der Väter machte, »die Hehre soll die Liebe und Charis selber sein.« – »Zwar die Mutter in Leipzig, glaub' ich,« – versetzte ein Konsistorial-Sekretär – »konsentiert bequem, da sie lutherischer Konfession ist, so gut wie der Bräutigam; aber der Vater« – – »Wieso?« fragte der Komödiant. »Tochter und Vater sind nämlich Katholiken«, antwortete der Sekretär. – »Wird sie die Religion changieren?« fragte ein Offizier. »Das weiß man eben nicht« – (sagte der Sekretär) »bleibt sie inzwischen bei ihrer, so sind sehr viele Dinge vorher auszumachen; und beide müssen durchaus zweimal kopuliert werden, einmal von einem lutherischen Geistlichen, hernach von einem katholischen.« – »Ihr Konsistorien«, sagte der Offizier, »bleibt doch bei Gott ein ganzer wahrer diffiziler, nichtsnütziger, langweiliger Schnickschnack, der mich ordentlich revoltiert; wie stecht ihr ab gegen einen Feldprediger!« –

So beklommen, als (nach der medizinischen Geschichte) Leute erwachen, die in ihrem Schlafzimmer einen Pomeranzenbaum hatten, der in der Nacht die Blüten auftat und sie mit seinem Duft-Frühling überfiel: so stand Walt, mit der süß-nagenden Geschichte am liebewunden Herzen, vom Tische auf. Er wollte, er mußte die Brautleute sehen. Wina, die er früher als der Graf wenigstens gehört, konnt' er ordentlich bitten, ihn dem Bräutigam, und diesen, den er längst gesehen und gesucht, ihn der Braut vorzustellen. Sehr hatt' ihm an der Wirtstafel die Bemerkung gefallen, daß Wina eine Katholikin sei, weil er sich darunter immer eine Nonne und eine welsche Huldin zugleich vorstellte. Auch daß sie eine Polin war, sah er für eine neue Schönheit an; nicht als hätt' er etwa irgendeinem Volke den Blumenkranz der Schönheit zugesprochen, sondern weil er so oft in seinen Phantasien gedacht: Gott, wie köstlich muß es sein, eine Polin zu lieben – oder eine Britin – oder Pariserin – oder eine Römerin – eine Berlinerin – eine Griechin – Schwedin – Schwabin – Koburgerin – oder eine aus dem 13. Säkul – oder aus den Jahrhunderten der Chevalerie – oder aus dem Buche der Richter – oder aus dem Kasten Noäh – oder Evas jüngste Tochter – oder das gute arme Mädchen, das am letzten auf der Erde lebt gleich vor dem Jüngsten Tage. So waren seine Gedanken.

Den ganzen Tag ging er in neuer Stimmung herum – so kühn und leicht, als lieb' er selber, war ihm – und doch war ihm wieder, als wenn er zwar alle habe, aber keine – er wollte Winen eine Brautführerin zuführen, in die er selber sterblich verliebt wäre – er lechzete nach dem Bruder, nicht um ihn darüber zu belehren oder zu vernehmen, sondern um eine liebe Menschenbrust zum Druck an seine zu haben – ein großer Regenbogen abends in Osten spannt' ihn noch höher. Der leichte schwebende Bogen schien ihm ein offnes Farben-Tor für ein unbekanntes Paradies – es war der alte glänzende Siegesbogen der Sonne, durch welchen schon oft so viele schöne, tapfere Tage gegangen, so viele sehnsüchtige Augen gesehen. Auf einmal fiel ihm ein gutes Mittel ein, drei Wünsche zu befriedigen, zwei laute und einen stillen.


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