Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 20: Zeder von Libanon

Das Klavierstimmen

Es ist bekannt, daß nach der sechsten Klausel des Testamentes der Notar auch einen Tag lang stimmen muß, um zu erben. Längst hatt' ihn außer Vult noch sein Vater, der nicht erwarten konnte, wie der sogenannte Regulier-Tarif oder die geheimen Artikel Fehler setzen und strafen würden, um Verwaltung dieses Erb-Amts als des kürzesten angelegen, um hinter die Ehrlichkeit des sel. Testators zu kommen; aber Walt hatte beiden stets das Unrecht entgegengesetzt, den alten gebenden Mann für einen Schelm zu halten. Aus schönern Gründen hingegen konnt' er jetzt stimmen, wenn er wollte; diese waren die dreifache Hoffnung, er werde, da sein Stimm-Amt vorher im Wochenblatt dem Publikum mußte angeboten werden, in die vornehmsten Häuser und Zimmer kommen – die schönsten Töchter vorfinden (denn Töchter und Instrumente sind nicht weit auseinander) – und wohl auch die köstlichen Mahagony-Piano von Schiedmaier aufdecken, auf deren Tasten Klothar und Wina die beringten Finger gehabt.

Walt betrieb feurig die Sache ohne alles Ratfragen. Er zeigte seinen Willen den Testament-Exekutoren oder dem regierenden Bürgermeister Kuhnold an. Dieser eröffnete ihm, daß er nach dem geheimen Regulier-Tarif 4 Louis aus der Erbschaftskasse erhalte, weil der Testator ihn keiner Verbindlichkeit fremder Bezahlung aussetzen wollen. Wie ein Vater ermahnte er ihn, sein Ohr unter dem Stimmen nicht zu zerstreuen, und er würde ihm deutlicher raten, sagt' er, wenn es seine Pflicht erlaubte. »Auch ich geb' Ihnen ein Instrument«, setzt' er mit einem wohlwollenden Lächeln dazu. Walt – in die Liebe verliebt – erinnerte sich mit Vergnügen an Kuhnolds bekannte fruchttragende Ehe voll Töchter.

Die Sache wurde ins Wochenblatt gesetzt.

Der einsylbige Vult schrieb nach der Erscheinung desselben einen ganzen, fast ernsthaften Kautelar-Bogen voll Predigten über Saiten-Nummern, Saiten-Sprengen und falsche Temperaturen, samt dem Flehen, doch nur einen Tag lang kein Dichter zu sein. »Sondern Instrumente, statt zu machen wie ein Notar, zu stimmen wie ein ordentlicher Regensburger Komitial-Mensch.«

Am Abend vor dem Stimm-Tag erhielt Walt die Liste der Stimmhäuser; aber darunter war weder sein Wohnhaus – Neupeter war zu stolz dazu – noch Klothars und Zablockis ihre, doch sonst hohe genug.

Als er am Morgen zuerst bei Kuhnold – nach der ancienneté des Meldens hatt' er zu hausieren – als Stimmer ankam: fand er im netten, glatten Klavier-Zimmer statt der Demoiselles Kuhnold den oben gedachten hinkenden grämlichen Notar, den der Fiskal Knoll, als der Kardinalprotektor der sieben Erben, hergeschickt zum Zeugen aller Fehler, weil ein Notar, wie Deutschland weiß, zwei Zeugen schwer wiegt, folglich für das Jus gerade jener nervus probandi und erster Grundsatz des Widerspruchs, jene geistige tonica dominante oder Primzahl ist, wornach so lange schon die Weltweisen wettrennen, um solche nur zu sehen; daher der Jurist in Minuten mehr beweiset als der Philosoph in Säkuln. –

Auch war Knoll weitläuftig schriftlich darauf bestanden, den Stimm-Tag durchaus nicht zu Walts Notariats-Zeit zu schlagen – was sich, replizierte Kuhnold, ja von selber verstanden hätte.

Das heiter-geordnete Zimmer ohne Töchter trug indes überall die Farben-Asche weiblicher Schmetterlings-Flügel, bunte Arbeiten und Arbeitszeug schöner Finger. Das Pianoforte war fast wie gestimmt, nur zu hoch um einen Ton – eine Stimmgabel lag dabei – auf den Tasten waren die Nummern der Saiten, auf dem Sangboden neben den Stiften das Tasten-Abc mit schwärzerer Dinte retouchiert – für Stille war in der Nachbarschaft gesorgt – und Kuhnold kam zuweilen nachschauend, aber ohne ein Wort zu sagen. Er bot den Notarien ein Frühstück an. »Wollte Gott,« dachte Walt, »eine oder die andere Tochter trüg' es herein!« Eine runzlige ehrliche männliche Haut von mehr Jahren als Haaren bracht' es so freundlich, als sei sie in der Tat der Wirt. – –

Redlicher Bürgermeister von Haßlau, lasse mich in dieser Minute, wo ich eben die folgende Nummer und Naturalie Großmaul oder Wydmonder samt Dokumenten von dir und der Post erhalte, die Geschichte mit der Versicherung stören, daß ich wissen würde, wie hoch ich dich zu stellen habe – wärest du auch weniger der Schirmherr des ewig in Schlingen gehenden Notars –, schon daraus, mein' ich, daß du erstlich einen ganz alten (wahrscheinlich beweibten) Bedienten hast, und daß er zweitens noch vergnügt aussieht.

Beide Notarien frühstückten, und der Exekutor sprach, während die Wachparade gleichsam mit ihrem Rauschgold und Knallsilber auf den Uniformen, mit einem Geschrei auf der Trommel, das nicht bloß an die Haut des sie überziehenden Tiers erinnerte, vorbeimarschierte und niemanden sonderlich die Stimme und das Stimmen zuließ. Da hinter der Parade noch Musik englischer Bereiter zog: so versicherte Kuhnold, jetzt höre niemand sein Wort, geschweige den zärtesten Mißton.

So ging der ganze Vormittag unter fehler- und töchter-losem Stimmen vorüber und beide Notarien zum Essen, jeder ganz verdrüßlich, der hinkende darüber, daß er wie ein Narr dagesessen ohne das geringste mögliche Niederschreiben, der stimmende, daß er niemand gesehen. In gewissen Jahren versteht das männliche – und das weibliche Geschlecht unter Niemand das eigne, und unter Jemand das andere.

Zu Buchhändler Paßvogel zogen darauf beide Notars. Dem Flügel des Stimm-Hauses fehlte nicht so sehr die Stimmung als Saiten dazu. Statt des Stimmhammers mußte Walt mit einem Gewölb-Schlüssel drehen und arbeiten für Musikschlüssel. Ein geschmücktes schönes Mädchen von 15 Jahren, Paßvogels Nichte, führte einen Knaben von 5, dessen Sohn, in seinem Hemde herum und suchte leise-singend eine leise Tanz-Musik aus den zufälligen Stimm-Tönen zusammenzuweben für den jungen Satan. Der Kontrast des kleinen Hemdes und der langen Chemise war artig genug. Plötzlich sprangen die drei Saiten a, c, h, nach Haßlauer offiziellen Berichten, welche gleichwohl nicht festsetzen, in welchen gestrichnen Oktaven. »Ja lauter Lettern aus Ihrem Namen, Herr Harnisch«, sagte Paßvogel. »Sie wissen doch die musikalische Anekdote von Bach. Es fehlt Ihnen nur mein p!« – »Ich stimme am b,« sagte Walt, »aber für das Springen kann ich nicht.« – Da der hinkende Notar so viel Verstand besaß, um einzusehen, daß ein Stimm-Schlüssel nicht drei Saiten auf einmal sprenge: so stand er auf und sah nach und fands. »Aus dem Ach wird ja ein Bach!« (scherzte der Buchhändler ablenkend). »Was macht der Zufall für Wortspiele, die gewiß keine Bibliothek der schönen Wissenschaften unterschriebe oder schriebe!« Allein der hinkende Notar versicherte, die Sache sei sonderbar und protokoll-mäßig; und als er noch einmal den Sangboden besah, guckte gar hinter der Papier-Spirale aus dem Resonanz-Loche eine – Maus heraus. »Die hats gemacht«, sagt' er, schrieb es nieder und schüttelte so, als ob er vermute, der Buchhändler habe sie aus Absichten in den Sangboden schießen lassen. Walt fragte auf einmal sich besinnend: »Stimm' ich denn fort? Ich sehe überall die Mausspuren, und alles springt.« Er legte den Gewölb-Schlüssel sanft hin. Paßvogel wollte als hitziger Mann ausfallen. Aber Walt entkräftete ihn durch die Erklärung, er wolle in der Stadt herumstimmen und zu ihm zuletzt, aber bei andern Saiten kommen.

Sie gingen zu Herrn van der Harnisch, der sich auch auf die Liste gesetzt. Er sagte, er erwartete jede Stunde sein Miet-Pantalon, und ließ beide fast eine ganze lauern. Es verschnupfte ordentlich den hinkenden Notar, der noch dazu nicht faßte, wie der stimmende den Edelmann so liebreich anschauen konnte. Walt schrieb alles dem brüderlichen Sehnen nach Wiedersehen zu, indes Vult dabei die Absicht hatte, dem Tage und Band-Wurm, der an der Erbschaft fraß, ein Stück abzureißen. Endlich ließ er beide unverrichteter Sache abziehen, nachdem er sie ein paarmal gefragt, ob sie noch da wären, weil er sie nicht höre in seiner Blindheit.


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