Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Beide Freunde gingen Arm in Arm, endlich Hand in Hand in den Straßen umher. Walts kurze Lustigkeit war dem tiefern Fühlen gewichen. Er sah sich oft um und in Vults Gesicht hinein: »So müssen wir bleiben in einem fort, wie jetzt«, sagt' er. Geschwind drückte ihm Vult die Hand auf den Mund und sagte: »Der Teufel hörts!« – »Und Gott auch«, versetzte Walt; und fügte dann leise, rosenrot und abgewandt hinzu: »In solchen Nächten solltest du auch einmal das Wort Geliebte! sprechen.« – »Wie?« sagte Vult rot, »dies wäre ja toll.« –

Nach langem Genuß des hellen Vorfestes sahen sie endlich Wina mit Engelberta wie eine weiße Blumen-Knospe in das Feuerhaus einschlüpfen. Hoffend auf die ausgearbeiteten Plane seiner Liebes-Erklärung und so glücklich wie ein Astronom, dem sich der Himmel aufklärt, ehe sich der Mond total verfinstert, suchte Vult jetzt die Ohren des Bruders in etwas vom Liebhaber-Theater wegzustellen, indem er ihm vorhielt, wenn er in einiger Ferne, z.B. unten im Park zuhorchte, würden ihn die Töne viel feiner ergreifen. »Guckst du mir über die Achsel: so ists soviel, als schnaubest du selber mit ins Flötenloch hinein, wobei wenig zu holen ist; und was überhaupt die Heldin des ganzen Musikfestes zu einem Lager, das zwei junge Männer vor ihrem eignen im Bette aufschlagen, sagt, braucht doch auch Bedacht, mein Walt!« – »Da es dir so lieb ist, so wend' ich nichts ein«, sagte dieser und ging in den kalten Garten, wo der blendende Schnee so gut gestirnt war als der tiefe Äther.

Aber oben ging es wider Vults Vermuten, doch nicht wider dessen Wunsch. Engelberta versicherte, ihre Schwester würde, da sie Flöte und Stimme so kenne, vom ersten Anklang erwachen und alles verderben. »So muß die Musik in größter Ferne anfangen und wachsend sich nähern.« – »Gut, das geschieht im Park«, sagte Wina und eilte hinab. Auf der Treppe, hinter nahen Ohren, nahm Vult eiligst alle musikalische Abreden mit ihr, damit er auf dem einsamern Park-Wege nichts zu machen brauchte als seine Eroberung. Zu seinem Schrecken stand jetzt wie eine stille Pulverschlange, die bloß auf das Loszünden wartete, der Notar auf der Hauptstraße, der mit seiner heitern Miene sich und andern versprach, mitzugehen und alles zu begleiten. Wina gab ihm einen freudigen Morgen-, dann noch einen Neujahrs-Gruß und die Frage: »Geht nicht alles vortrefflich?« – »Sta, Sta, Viator!« sagte Vult und winkte ihm heftig rückwärts, still zu liegen – was jener nachdenkend vollzog, »weil ich ja«, dacht' er, »nicht weiß, was er für Ursachen dazu hat«.

»Ein wahrer, inniger Mensch und Dichter«, begann Vult. »Seine Gedichte sind himmlisch«, versetzte sie. »Dennoch haben Sie uns beide als Verfasser verwechselt?« (fragt' er rasch, weil ihm wie einem Ewigen und Seligen jetzt nichts fehlte als Zeit) »Ein solcher Irrtum verdient nicht die geringste Verzeihung, sondern Dank. Eine andere, aber richtigere Verwechslung denk' ich mir eher –« (Wina sah ihn scharf an.) »Denn ich und er haben ein Paar gegenseitige Zwillings-Geheimnisse des Lebens, die ich niemand in der Welt entdecke – außer Ihnen, denn ich vertraue Ihnen.« – »Ich wünsche nichts zu wissen, was Ihr Freund nicht gern erlaubt«, versetzte sie.

Jetzt sprang er, weil das Entdeckungs-Gespräch viel zu lange Wendungen nahm und er vergeblich auf langsamere Schritte sann, um ihr näher zu kommen, plötzlich vor eine Linde und las davon folgende Tafelschrift von Raphaelen ab: »Noch im Mondenschimmer tönen Bienen in den Blüten hier und saugen Honig auf; du schlummerst schon, Freundin, und ich ruh' hier und denk' an dich, aber träumst du, wer dich liebt?«

»Eilen wir nur«, sagte sie. »Wie köstlich ist Ihr Auge wieder hergestellt!« – »Ich nehme auch alles lieber von Amor an, besonders die Giftpfeile, als die Binde; ich sah Sie stets, verehrte Wina, wer dabei von uns beiden am meisten gewinnt, das weiß nicht ich, sondern Sie«, sagte er mit feiner Miene.

»Schön«, fuhr er fort, »hat der Dichter in Ihren Gesang die Zeile eingewebt: ›träumst du, wer dich liebt?‹« – Darauf drehte er sich halb gegen sie, sang ihr leise diese Zeile, die er absichtlich zu diesem Gebrauche komponiert, ins treuherzige Angesicht, und sein schwarzes Auge stand im langen Blitze der Liebe. Da sie schwieg und stärker eilte: so nahm er ihre Hand, die sie ihm ließ, und sagte: »Wina, Ihr schönes Herz errät mich, Ihnen will ich anders, ja, wenns nicht zu stolz ist, ähnlicher erscheinen als der Menge. Ich habe nichts als mein Herz und mein Leben; aber beides sei der Besten geweiht.« – »Dort, Guter!« sagte sie leise, zog ihn eiliger an die Stelle, wo sie spielen wollten; dann stand sie still, nahm auch seine andre Hand, hob die Augen voll unendlicher Liebe zu ihm empor, und auf ihrem reinen Angesicht standen alle Gedanken klar, wie helle Tautropfen auf einer Blume. »Guter Jüngling, ich bin so aufrichtig als Sie, bei diesem heiligen Himmel über uns versichere ich Sie, ich würd' es Ihnen offen und froh gestehen, wenn ich Sie liebte, in dem Sinne, worin Sie es wahrscheinlich meinen. Wahrlich, ich tät' es kühn aus Liebe gegen Sie. Schon jetzt schmerzen Sie mich. Sie haben meinen Morgen gestört, und meine Raphaela wird mich nicht froh genug finden.«

Vult zog, schon ehe sie die letzten Worte sagte, die Flötenstücke heraus, setzte sie zusammen und gab, nur einen Blick hinwerfend, ein stummes Zeichen anzufangen. Sie begann mit erstickter Stimme, eine kurze Zeit darauf mehr forte, aber bald ordentlich.

Walt durchschnitt den Hauptgang unten hin und her, um beiden nachzublicken, bis sie ihm ferne in den Mondschimmer wie zergingen. Endlich hörte er den wunderbaren Gruß-Gesang an die Schlafende, seine eigenen Worte, aus der Dämmer-Ferne und sein Herz in eine fremde Brust versetzt, wie es der armen Schläferin droben, an die selber er bisher gerade am wenigsten gedacht, die Worte sagt: »Erwache froh, geliebtes Herz!« – Er sah deshalb aufrichtig mit Glückwünschen an ihr Fenster hinauf, um sich zu entschuldigen, und wünscht' ihr alles, was Leben und Liebe Schönes zu reichen haben, unter dem größten Bedauern, daß ihr Flitte gerade verreiset sein mußte. »Möchtest du dich doch, gutes Mädchen,« dacht' er, »täglich für immer schöner halten, wär' es auch nicht ganz wahr! Und deine Mutter, deine Wina müsse auch so denken, um sich sehr an dir zu freuen!«

Auf einmal hört' er Engelberta, die ihm riet, er möge, wenn er sich warm laufen wolle, lieber ins Haus hinauf. Da ihn nun diese Aufmerksamkeit eines Zeugen störte: so ging er ins nahe Rindenhaus, wo er nichts sah als über sich das nächtliche Himmelsblau mit dem hereinstrahlenden Monde, und nichts hörte und in sich hatte als die süßen Worte der fernen zarten Lippen. Er sah hinter der Rinde die schimmernde Wildnis des Himmels aufgetan, und er jauchzete, daß das neue Jahr in seiner mit Sternen besetzten Morgenkleidung so groß und voll Gaben vor ihn trat.

Nun kam Wina, die melodische Weckerin zum Wiegenfesttage, immer näher mit stärkeren Tönen, Vult hinter ihr, um die heißen Tränen des Unmuts, die er neben der Flöte nicht trocknen konnte, niemand zu zeigen als der Nacht. In der Nähe gab ihr Engelberta auf das Schlafzimmer der Schwester und Walts Rinden-Rotunda winkende Zeichen, welchen sie zu folgen glaubte, wenn sie sich in die Rotunda singend verbarg, um da sich und ihr Frühlings-Lied von der erwachenden Freundin finden zu lassen.

Sie fand den Notar mit dem Auge auf dem Monde, mit dem Geiste in dem blauen Äther – ihre näheren Töne und Vults fernere hatten ihn berauscht und außer sich und außer die Welt gesetzt. Eigentlich versteht niemand als nur Gott unsere Musik; wir machen sie, wie taubstumme Schüler von Heinecke Worte, und vernehmen selber die Sprache nicht, die wir reden. Wina mußte fortsingen und die Anrede durch ein englisches Anlächeln ersetzen.

Da er gleichfalls nichts sagen durfte, so lächelte er auch an, und sehr, und schwamm vor ihr in Liebe und Wonne. Als sie nun die schöne melodische Zeile sang: »Träumst du, wer dich liebt?« und sie so nahe an seiner Brust die heimlichen Laute derselben nachsprach: so sank er auf die Knie, unwissend, ob zum Beten oder zum Lieben, und sah auf zu ihr, welche vom Mond wie eine obenherabgekommene Madonna umkleidet wurde mit dem Nachglanze des Himmels. Sie legte sanft die rechte Hand auf sein weichlockiges Haupt; – er hob seine beiden auf und drückte sie an seine Stirn; – die Berührung lösete den sanften Geist in Freudenfeuer auf, wie eine weiche Blume in üppiger Sommernacht Blitze wirft – Freudentränen, Freudenseufzer, Sterne und Klänge, Himmel und Erde zerrannen ineinander zu einem Äthermeere, er hielt, ohne zu wissen wie, ihre Linke an sein pochendes Herz gedrückt, und der nahe Gesang schien ihm wie einem Ohnmächtigen aus weiten Fernen herzuwehen.

Die Flöte stand ganz nahe, das letzte Wort wurde gesungen. Wina zog ihn sanft von der Erde auf; er glaubte noch immer, es töne um ihn. Da kam mit freudigem Ungestüm Raphaela hineingestürzt, an die Brust der Geberin des schönsten Morgens. Wina erschrak nicht, aber Gottwalt – sie gab der Freundin eine ganze Freundin. Sie sagte zu Gottwalt, der nicht sprechen konnte: »Wir sehen uns abends wieder, am Montage?« – »Bei Gott«, antwortete er, ohne das Mittel zu kennen. Jetzt trat Vult hinzu und empfing von Raphaela lauten Dank, und er verließ schweigend mit Walt den seltsamen Garten.

Oben hing sich dieser warm an seinen Hals. Vult nahm es für Freuden-Lohn seiner Bemühung um Raphaelens Morgenfest und drückt' ihn einmal an die Brust. »Laß mich reden, Bruder«, begann Walt. »O laß mich schlafen, Walt«, versetzte er – »nur Schlaf her, aber rechten tiefen, dunkeln; wo man von Finsternis in Finsternis fällt. O Bruder, was ist recht derber Schlaf nicht für ein köstlicher weiter Landsee für beidlebige Tiere, z. B. einen Aal, der matt vom schwülen Lande kommt, und der nun im Kühlen, Dunkeln, Weiten schwanken und schweben kann! – Oder leugnest du so etwas, und mehr?« – »Nun, so gebe dir Gott doch Träume, und die seligsten, die ein Schlaf nur haben kann«, sagte Walt.


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