Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nachtrag zu
Nro. 56. Fliegender Hering

Das Vorstehende war zur Testaments-Exekution abgeschickt, als ich es von derselben – dem trefflichen Kuhnold – mit diesem Briefe wieder bekam:
 

Verehrtester Herr Legations-Rat! Ich glaube nicht, daß die Van der Kabelschen Erben das bloße Einheften der zugefertigten Dokumente, wie das Vultische Tagebuch ist, für eine hinlängliche Erfüllung der biographischen Bedingungen, unter welchen Ihnen das Naturalienkabinet testieret worden, nehmen werden. Und ich selber bin, gesteh' ich, mit den Vorteilen meines Geschmacks zu sehr dabei interessiert, als daß es mir gleichgültig sein sollte, Sie durch Vult verdrängt zu sehen. Ihr Feuer, Ihr Stil etc. etc. – – huldigen.Die Bescheidenheit erlaubt nicht, Lobsprüche stehen zu lassen, die, wie leicht zu erraten, den Gegenstand zu einem literarischen Pair ausrufen und die desto größer und folglich desto unverdienter sind, je feiner, gebildeter und aufrichtiger der Geschmack des Herrn Bürgermeisters bekanntlich ist.  –

Dazu steht noch vieles andere dagegen. Es kommen im Verfolge des Vultischen Tagebuchs – zumal im Februar, wo er in vollen Flammen tobt – Stellen vor, deren Zynismus schwerlich durch den Humor, weder vor dem poetischen noch sittlichen Richterstuhle, zu entschuldigen steht. Z.B. die am 4ten Februar, wo er sagt: »das junge Leben als eine Sonne verschlingend verdauen und es als einen Mond kacken« – Oder da, wo er dem dezenten Bruder, um ihn zu ärgern, erzählt, wie er, da er kein Wasser um sich gehabt, um es ins vertrocknete Dintenfaß zu gießen, sich doch so geholfen, daß er eintunken konnte, um sein Paquet Briefe, seinen »Briefbeutel«, zu schreiben. Das zweite mag eher hingehen, daß er, wenn er mit vielen Oblaten Paquete gesiegelt und doch keine Siegelpresse und keine Zeit, sondern zu viele Arbeit gehabt, sich bloß eine Zeitlang darauf gesetzt, um andere Sachen zu machen unter dem Siegeln. Es sind überhaupt, Verehrtester, in unserer Biographie so manche Anstößigkeiten gegen den laufenden Geschmack – vom Titel an bis zu den Überschriften der meisten Kapitel –, daß man ihn wohl mehr zu versöhnen als zu erbittern suchen muß.

Noch einen Grund erlauben Sie mir, da er der letzte ist. Unsere Biographie soll doch, der Sache, der Kunst, der Schicklichkeit und dem Testamente gemäß, mehr zu einem historischen Roman als zu einem nackten Lebenslauf ausschlagen; so daß uns nichts Verdrüßlicheres begegnen könnte, als wenn man wirklich merkte, alles sei wahr. Werden wir aber dieses verhüten – verzeihen Sie mein unhöfliches Wir –, wenn wir bloß die Namen verändern, nicht aber den Stil des Akteurs? Denn wird man uns nicht auf die Spur kommen schon durch Vults unverändert geliefertes Tagebuch allein, sobald man dessen Stil mit dem Stil des Hoppelpoppels (auch dieser Titel gehört unter die Gesamt-Rüge), den die Welt gedruckt in Händen hat und dessen Verfasser seit dem neulichen Artikel im literarischen Anzeiger jeder kennt, zusammenzuhalten anfängt? O ich fürchte zu sehr. –

Aber alle diese Noten stören die Verehrung nicht, womit ich ewig etc.

Kuhnold

*

Ich antwortete folgendes:
 

Ich fluche, aber ich folge. Denn was hälf' es, den Deutschen zuzumuten und das Beispiel zu geben, nur wenigstens auf dem Druckpapier – nicht einmal auf dem Reichsboden – so keck zu sein, als ihre Vorfahren im 16ten, 17ten Säkul auf beiden waren? Gedachte sagen, sie hofften seitdem von den Franzosen weiter gebracht zu sein. Unser Diamant der Freiheit ist aus unserem Ringe in einen Drachenkopf gekommen, wo er nicht eher glänzen kann, als bis wir im Drachenschwanze stehen.

Ich weiß nicht, ob ich mich dunkel erkläre, hoff' es aber.

Trefflichster! der Humorist hat zwar einen närrischen, widerlichen Berghabit zum Einfahren in seine Stollen; – er verleibt sich zwar nach Vermögen alle Aus- und Miß-Wüchse der Menschheit ein, um das Beispiel der Mißgeburten zu befolgen und zu geben, die in vorigen Jahrhunderten bloß darum mit fleischernen Fontangen, Manschetten und Pluderhosen geboren wurden, um damit der Welt, wie die Strafprediger errieten, ihre angezogenen vorzuwerfen; – und hiemit wäre Vult entschuldigt –; aber wie gedacht, ich folge und schlage nichts ein als den alten aristotelischen Mittelsteig, der hier darin besteht, daß ich weder erzähle, noch erdichte, sondern dichte; und wenn Skaliger in einem Werkchen von 8 Bogen über seine Familie imstande war, vierhundertundneunundneunzig Verfälschungen anzubringen, wie Scioppius gut erwiesenMencken de Charl. erud. ed. IV. : so dürfte in einem Werkchen von ebenso vielen Bänden die Doppelzahl davon ebensoleicht als nützlich ausfallen.

Vor dem Erraten der wahren Namen unserer Geschichte dürfen wir, Herr Bürgermeister, uns nicht ängstigen, da bisher für keine von allen Städten, die ich in meinen vielen Romanen abkonterfeiet habe, der Büschingische Name ausgespähet wurde, ungeachtet ich in einigen davon selber wohnte, sogar z.B. in Haelwebeemcebe und Efgeerenengeha.

Indes ersuch' ich die Testaments-Exekution, daß mir doch Vults Einleitung zu seinem Tagebuch samt unserem Briefwechsel darüber in den fliegenden Hering (Nro. 56) einzunehmen zugelassen werde, weil Sachen dadurch vorbereitet werden, die ohne das Tagebuch kein Mensch motivieren kann, nämlich Vults schnelles Einziehen und Verlieben. Wahrlich Sie, verehrlicher Stadtrat, sind glücklich und erfahren nichts von den Vater- und Mutterbeschwerungen erträglicher Autoren. Sie als Menschen stehen sämtlich unter dem herrlichen Satze des Grundes, und der Freiheit dazu, und alles, was Sie nur machen oder sehen, bekommen Sie sogleich schon motiviert – – Aber Dichter haben oft die größten Wirkungen recht gut fertig vor sich liegen, können aber mit allem Herumlaufen keine Ursachen dazu auftreiben, keine Väter zu den Jungfernkindern. Wie ihnen dann Kritiker mitspielen, die weniger mit als von kritischem Schweiße – der hier die Krankheit, nicht die Krisis ist – ihr Brot verdienen, wissen der Himmel und ich am besten.

Der ich verharre etc., etc.

J. P. F. R.

*

Meiner Bitte wurde, wie man sieht, willfahren.


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