Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 23: Congeries von mäusefahlen Katzenschwänzen

Tischreden Klothars und Glanzens

Nachdem also Glanz geäußert hatte: »daß eben, da sich im Auge alle Gegenstände umwenden, also wir uns auch mit, wir mithin nichts von einem Umkehren spüren könnten« –

So entgegnete der Graf: »Warum wird denn das einzige Bild im Auge nicht mit umgekehrt? – Warum greifen operierte Blinde nichts verkehrt? – Was hat denn das Hautbildchen mit dem innern Bilde zu tun? Warum fragt man nicht auch, warum uns nicht alles ebenso klein als jenes Bildchen erscheine?« –

Glanz äußerte nach Garve: »unsere Vorzüge seien am Ende keine und daher Demut unsere Pflicht.«

Der Graf entgegnete: »So seh' ich wenigstens nicht, warum ich Bettler demütig gegen den zweiten Bettler sein soll; – und ist er gar stolz, so hab' ich ja einen zweiten Vorzug vor ihm, die Demut.«

Es wurde ein schöner Satz aus Glanzens gedruckten Reden angeführt: daß die Kinder für Geringschätzung des Alters die vergeltende Strafe gewiß von ihren eigenen Kindern empfangen würden.

Klothar entgegnete: »Folglich hat das gering geschätzte Alter auch einmal gering geschätzt; und es geht ins Unendliche, oder man kann die Strafe erhalten ohne die Sünde.«

Glanz äußerte, wie leicht das Gedächtnis zu überladen sei.

Klothar entgegnete: »Das ist bloß unmöglich. Ist denn, etwas zu behalten, eine Beschwerde für Gehirn oder Geist? Verspürt ein Mann den Schatz, den zwanzig Jahre Leben in ihm niederlegten, wohl an seinem Gedächtnis, als wäre dieses belasteter als in der Jugend? – Aber ferner: der Bauer trägt ebenso viele Ideen in seinem Gedächtnis als der Gelehrte, nur andere, Sachen, Bäume, Äcker, Menschen. Überladung des Gedächtnisses kann also nichts heißen als versäumte Kultur anderer Kräfte.«

Glanz äußerte, man könne bei den Endabsichten leicht sich Voltairens Spotte aussetzen, daß die Nase für die Brille geschaffen sei.

Klothar versetzte: »Und das ist die Nase auch: sobald alle Kräfte einer Welt berechnet wurden, mußte auch die Kraft in Anschlag kommen, Gläser zu schleifen.«

Glanz äußerte: er sei ja dafür und finde in allen seinen gedruckten Reden in der künstlichen Weltordnung einen unendlichen Verstand.

Klothar fragte: »Was soll gedachter Verstand dabei sein?«

Glanz äußerte: »Die Ursache.«

Jener entgegnete: »Jede künstliche Ordnung, z.B. im Körperbau, erklären Sie doch jetzt aus blinden Kräften, nicht aus einer fremden Schöpfung, diese Kräfte wieder aus blinden, und wo wollen Sie denn in der durchaus mechanischen Endlichkeit mit dem Blitze der Geistigkeit einschlagen?« –

Glanz äußerte spät darauf: eine hübsche eingeschränkte Monarchie wie in England sei wohl am besten für jeden.

Klothar versetzte: »Nur nicht für die Freiheit. Warum hatten nur meine Voreltern die Freiheit, sich Gesetze zu wählen, und ich nicht? Wohin ich fliehe, find' ich schon Gesetze. Das Ideal eines Staats wäre, daß die kleinsten Föderativstaaten, die sich immer freie Gesetze gäben, sich in Föderativ-Dörfer – dann in Föderativ-Häuser – und zuletzt in Föderativ-Individuen zerfälleten, die in jeder Minute sich ein neues Gesetzbuch geben könnten.«

Glanz äußerte, durch kleinere Staaten würden freilich eher die Kriege aufhören.

Klothar versetzte: »Gerade umgekehrt. An mehreren Orten zugleich und häufiger in der Zeit entständen sie. Soll auf der ganzen Erde der Krieg aufhören: so muß sie in zwei ungeheure Staaten sich geteilt haben; davon muß der eine den andern verschlingen, und dann bleibt im einzigen Staate auf der Kugel Friede, und die Vaterlandsliebe ist Menschenliebe geworden.«

Glanz glaubte beim Dessert wenigstens so viel äußern zu dürfen, daß es gut sei, daß die Aufklärung den Hexenglauben vertrieben.

Klothar entgegnete: »Noch nicht einmal untersucht hat sie ihn.« Glanz schüttelte leicht. »Ich weiß nicht,« fuhr jener fort, »welche von zwei Meinungen Sie haben, aber da Sie nur eine von beiden hegen können – entweder die, daß alles Trug des Zeitalters, oder die, daß etwas Wunderbares bei der Sache ist: so müssen Sie in beiden Fällen irren.«

Glanz schüttelte sehr, äußerte aber, er sei wie jeder Vernünftige der ersten Meinung.

Klothar versetzte: »Die Wundergeschichte der Hexen ist ebenso historisch bewiesen als die der griechischen Orakel im Herodot; und diese ists geradeso sehr als überhaupt alle Geschichte. Auch Herodot unterscheidet sehr die wahren von den bestochenen Orakeln. In jedem Falle war es eine große Zeit, wo noch Götter die Weltgeschichte lenkten und darin mitspielten; daher ist Herodot so poetisch wie Homer. – Gemeine Seelen machen in der Hexen-Geschichte alles zum Werk der Einbildung. Wer aber viele Hexenprozesse gelesen, findet es unmöglich. Eine durch Völker und Zeiten reichende Einbildung festgehaltener, nuancierter Tatsachen ist so unmöglich als die Einbildung einer Nation, daß sie einen Krieg oder König habe, der nicht ist. Will man die Einbildung als Kopie einer solchen allgemeinen Einbildung erklären, so hat man das Urbild vorher zu deduzieren. Meist waren alte, dürftige, einfältige Frauen die Aktricen des Trauerspiels, mithin gerade am wenigsten fähig der Phantasie; auch malt die Phantasie mehr ins Große und Verschiedene zugleich. Hier findet man nur erbärmliche wiederholte Geschichten der Nachbarschaft – der Buhle, der Teufel, begleitet in gemeiner Kleidung die Frau zu Fuße auf irgendeinen benachbarten Berg, wo sie Tanz, bekannte Spielleute, elendes Essen und Trinken, lauter Bekannte aus dem Dorfe antrifft und nach dem Tanze mit dem Buhlen wieder heimgeht. Die Versammlungen auf dem Blocksberge können bloß für dessen nächste Anwohnerinnen gelten; aber in andern Ländern wurde nur der nachbarliche Berg zum Tanzplatz gewählt. Will man alle Bekenntnisse für Lügengeburten der Folter erklären: so bedenkt man nicht, daß man in den Prozessen findet, daß sie oft nach der Tortur zwei, drei unbedeutende Bekenntnisse, die ihnen den Tod nicht ersparten, feierlich und ängstlich widerriefen; und daß also der halbe Widerruf das halbe Geständnis – besiegelt, umso mehr, da man in damaligen Zeiten zu religiös dachte, um mit Lügen auf der Zunge zu sterben.

Die berauschenden Getränke und Salben, womit sie sich sollen in den Traum vom Blocksberg und dergleichen gezaubert haben, sind nirgends aus den Akten erweislich oder nach der Physiologie möglich – da es kein Getränk gibt, das faktisch bestimmte Visionen erschüfe –; und dann, um nur beide zu brauchen, mußten sie sich ja schon für Hexen halten.«

Glanz äußerte: »Warum gibt es aber jetzt keine mehr? Und warum ist alles so natürlich und alltäglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin selber einräumten? Doch mach' ich diese Einwürfe gar nicht, Herr Graf, als wenn ich glaubte, daß Sie im Ernste jener Meinung wären.«


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