Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Sie kamen zu einer verwittibten schönen Stückjunkerin, die sich mit ihrem Stickrahmen (eine Paukendecke stickte sie) sehr nahe an das gleißend-gebohnte Klavier setzte, das sie ihn vielleicht stimmen ließ, um ihn für sich zu stimmen. Er horchte so vergnügt auf ihre Anreden, daß er einmal den Stimmhammer auf den Sangboden fallen ließ und ein paar Saiten abdrehte. Am Ende des Geschäfts zeigte sie ihm das musikalische Würfelspiel und bat ihn, damit zur Probe zu komponieren. Er tats und spielte seine erste Komposition vom Blatte; er wollte noch länger vorspielen – denn nie spielt der Mensch lieber als nach dem Stimmen –; aber der hinkende Notar setzt' ihm die Testaments-Klausel entgegen. Die Stückjunkerin machte selber einige prüfende Griffe – der Schoß-Hund sprang empor und ging mit vier dergleichen über die Tastatur und verstimmte ein wenig. Walt wollte nachhelfen; aber der hinkende Notar trieb ihn mit der Klausel von dannen. Er ging ungern. Sie war eine blonde Witwe von 30 Jahren, also um 5 oder 7 Jahre jünger als eine Jungfrau von 30. Es freuete ihn, daß die Saite doch einmal der herrufende Klingeldraht der Schönheit geworden; »aber Himmel,« dacht' er, »ein Stimmen kann ich ja im Doppelroman zur Einkleidung aller Zufälle gebrauchen!« –

Er mußte zum Polizei-Inspektor Harprecht, der, wie sein Protokollist sagte, mit einer Herde Töchter geschoren sei. Harprecht empfing ihn sehr verbindlich, stäubte ein altes Hackbrett eilig weiter ab und schob ihm dasselbe freundlich zum Stimmen vor. Töchter waren nicht zu sehen. Walt stutzte und sagte mit langer sanfter Höflichkeit Nein; er setzte auseinander, daß er, da in der 6. Klausel nur von Klavieren die Rede sei, durch heutiges Stimmen – morgendes versprach er ihm gern – gegen die vielen noch restierenden Stimm-Häuser auf der Liste (er wies sie vor) verstoßen würde, die alle ein gleiches Recht auf sein Stimmen ohne Geld besäßen. Auch der hinkende Notar sagte, unter Klavier könne nicht wohl ein Hackbrett begriffen werden.

»Oft doch« – versetzte mit alter Liebreichigkeit Harprecht, lächelnd bloß mit einem Mundwinkel, so wie er nur eine gerade Stirnfalte runzelte –; allein er sei vielleicht so billig als einer; und da er mit dem Hoffiskal Knoll ein Instrument gemeinschaftlich gemietet für ihre Kinder, so begleit' er ihn zum Stimmen desselben hin, um sich das Vergnügen seiner Gesellschaft etwas zu verlängern, dürf' aber gewiß bei der Testaments-Exekution darauf antragen, daß das Kompagnie-Instrument und also jeder Stimm-Fehler für zwei gelte, wobei ja Herr Harnisch genug an Zeit und Mühe erspare und gewinne. – »Wahrlich,« versetzte Walt, »ich wollt', es wäre recht, ich fragte nichts darnach.« Harprecht drückte ihm die Hand und sagte, einen solchen jungen Mann hätt' er längst zu finden gewünscht; und alle gingen. »Eben jetzt«, sagte Harprecht unterwegs, »ist Tanz- und Klavierschule bei Knoll und alle meine Töchter.«

Es wird nicht unter der Würde der Geschichte sein, hier anzumerken, daß Harprecht und Knoll sich ein einziges Spinett als eine Finger-Tenne und Palästra für ihre Jugend und deren partielle Gymnastik, ein passives Hammerwerk für ihr aktives, gemeinschaftlich bestanden von einem alten Kanzelisten, und daß das Spinett alternierend von einem Semester zum andern in den Häusern beider Dioskuren stand. Harprecht hatte sogar den Curas und Meidinger aus der Gymnasiumsbibliothek für die gallischen Stunden seiner Töchter geborgt und sagte, er schäme sich dessen gar nicht.

Der kürzere Weg zum Fiskal ging durch grüne, rote, blaue, bunte Gärten, denen der Vor-Herbst schon die Früchte färbte vor den Blättern; und Walt, dem die Vesper-Sonne so warm-freundlich ins Angesicht fiel, sehnte sich in den Abend-Glanz hinaus. »Wären Sie imstande,« sagte Harprecht, »so auf der Stelle ein Gedicht in Ihrer neuen Gattung, die man so lobt, auf was man will, zu machen –? Etwa ein Gedicht über die Dichter selber, z. B. wie sie glücklicherweise so hoch stehen auf ihrer fernen idealischen Welt, daß sie von der kleinen wirklichen wenig oder gar nichts sehen und also verstehen?« – Er sann lange nach; und sah gen Himmel; endlich schlug aus diesem der schöne Blitz eines Gedichtes in sein Herz. Er sagte, er hab' etwas; und bitt' ihn bloß, sich zu dessen Verständnis an die astronomische Meinung zu erinnern, daß das, womit die Sonne leuchtet, nicht ihr Körper sei, sondern ihr Gewölke. Er fing an und deklamierte, in die Sonne schauend:

Die Täuschungen des Dichters

Schön sind und reizend die Irrtümer des Dichters alle, sie erleuchten die Welt, die die gemeinen verfinstern. So steht Phöbus am Himmel; dunkel wird die Erde unter ihrem kalten Gewölke, aber verherrlicht wird der Sonnengott durch seine Wolken, sie reichen allein das Licht herab und wärmen die kalten Welten; und ohne Wolken ist er auch Erde.

*

»Hübsch und spitzig genug«, sagte der Inspektor mit aufrichtigem Lob einer Ironie, die er im Streckvers fand, die aber nicht der Dichter, sondern das Schicksal hineingelegt. – »In solcher Eile« – versetzte Walt – »kann man zwar wohl den Gedanken schaffen – denn jeder Gedanke des Menschen ist doch ein Impromptu –, aber gar zu schwer den rechten Versbau; ich gäbe ein solches Gedicht nie öffentlich.«

Sie traten ins laute Knollische Zimmer ein, wo außer dem Kompagnie-Spinett und dem Kompagnie-Musik- und Tanzmeisterlein noch der Zusammenwurf beider Nester war, die mit Füßen und mit Händen sausen und brausen wollten – lauter hagere, schmalleibige, hänghäutige, mokante, scharfe Mädchen-Figuren von jedem Alter, worunter zwei Knaben mitturnierten. Sämtliche Tanzschule harrete auf ihre Klavierschule, die wieder auf das Stimmen des Spinetts wartete.

Das Musikmeisterlein schwur, heute sei daran nichts zu brauchen, so toll klinge das Spinett. Gleichwohl hatte sich den Abend vorher der Polizei-Inspektor über das Spinett gemacht, um, wie er sagte zum Fiskal, der ihn vertrauend machen ließ, dem jungen Universal-Erben etwas vorzuarbeiten – hatte aber die meisten Saiten zu tief herabgelassen – ferner im Eifer der Vorarbeit zu dicke Nummern auf dreimal gestrichne Noten oder Tasten gespannt – und in der Tat genug gefehlt.

Walt fing an. Er sprengte eine Saite nach der andern entzwei. Harprecht kegelte mit Saiten-Rollen aus der einen Hand in die andere und trachtete sehr, wie er sagte, seinem jungen Freunde ein ziemlich langweiliges Geschäft zu versüßen durch Diskurse; auch reicht' er ihm die Saiten-Knäule, die er brauchte. Anfangs hielt der Notar den Tanz bei dem Klavierstimmen so gut aus, daß er sogar, da ihm keines Menschen Freudenstunde gleichgültig war, teils in das stimmende Oktaven- und Quinten-Probieren eine Art leichtern Tanz-Takt zu legen versuchte, teils ins Einhämmern der Stifte, so unangenehm ihm auch die sämtlichen Mädchen erschienen, die sogleich in den jüngsten Jahren die venia aetatisAlters-Erlaß. , die einem Freiherrn über 300 fl. in Wien kostet, auf dem Gesicht als Brautschatz mitgebracht.

Da aber jede Saite zersprang – und beinahe sein eignes Trommelfell, das er und andere spannten und aufschraubten –: so ersuchte er um erforderliche Stille. Man schwieg allgemein – er stimmte fort und lärmte allein – die Tanzschule samt dem Tanz- und Musikmeisterlein sah jede Minute dem Anfange der Klavierstunde entgegen – Walt durchschwitzte die Wind- und Meerstille – die Saiten sprangen jetzt statt der Tänzer – das Stimmen verstimmte sein Herz und Spinett – er hatte die annahende Nacht und die restierenden Stimmhäuser voll schönster Töchter und Zimmer im Kopfe – verdumpft hatt' er sich schon längst, weil keine Anspannung so hart ins Gehirn drückt als die des Ohrs – an siebenundzwanzig Saiten-Sprünge hatte der hinkende Referent schon zu Papier gebracht – und nun läutete die Abendglocke. – Mit Wut warf der Notar den Stimmhammer ins Zimmer und rief: »Der Donner unds ... Was ist das? – Doch der bürgerliche und kanonische Tag ist jetzt zu Ende, Herr Inspektor, und alles; die Saiten zahl' ich.«

Am Morgen darauf wurde ihm von Herrn Kuhnold der geheime Artikel des Regulier-Tarifs eröffnet, welcher bestimmt verordnete, daß ihn jede Saite, die er im Erb-Amte des Stimmens zerrissen hätte, ein Beet der Erb-Äcker kosten sollte, so daß er jetzt, nach dem Protokoll des Hink-Notars, um zweiunddreißig Saiten oder Beete ärmer war. Walt erschrak ungemein seines Vaters wegen. Aber als er dem regierenden redlichen Burgermeister in das traurige Gesicht recht sah, erriet er etwas, nämlich dessen ganze gestrige Güte, die ihm durch ein hoch gespanntes Instrument und durch jede andere Erleichterung und durch die Entfernung der schönen Töchter sowohl die Gelegenheit zu Saiten-Rissen im eignen Hause abschnitt als auch ein großes Stück Zeit zu mehreren in einem fremden. Dieser erquickende Gewinn einer schönen warmen Erfahrung erstattete ihm den metallischen Verlust so reichlich, daß er den Abschied vom Bürgermeister mit einer frohen dankenden Rührung nahm, die jener nur halb zu verstehen scheinen mußte.


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