Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Hierauf ging dieser zum Vater und sagte gerührt mit Hände-Drücken: »Wahrhaftig, Vater, Ihr sollet sehen, welche Wogen auch.....« Mehr konnt' er nicht vor Rührung oder Bescheidenheit sagen. »Konsideriere besonders, Peter, daß du Gott und dem Kaiser geschworen, bei Testamenten ›absonderlich derer Hospitäler und anderer notdürftiger Personen Sachen, desgleichen gemeine Wege befördern zu helfen‹. – Du weißt, wie schlecht die Wege ums Dorf sind, und unter den notdürftigen Personen bist du die allererste.« – »Nein, ich will die letzte sein«, versetzte der Sohn. Die Mutter gab dem Vater einen silberhaltigen Papier-Wickel – denn die Menschen versilbern, so zu sagen, die Pille des rohen Geldes einander durch Papier, erstlich aus feiner Schonung des fremden Eigennutzes, und zweitens, um es zu verstecken, wenn es zu wenig sein sollte –; der Vater drückt' es höflich in die fiskalische langgedehnte haarige Hand mit den Worten: »Pro rata, Herr Hoffiskalis! Es ist das Schwanz-Geld von unserer Kuh und etwas darüber. – Vom Kaufschilling des Viehs soll der Notarius auskommen in der Stadt. – Morgen reitet er das Pferd des Fleischers hinein, der sie uns abgekauft. Es ist blutwenig, aber aller Anfang ist schwer; beim Aufgehen der Jagd hinken die Hunde noch; ich habe manchen gelehrten Hungerleider gesehen, der anfangs von nichts lebte. – Sei nur besonders vigilant, Peter, denn sobald der Mensch auf der Welt einmal etwas Braves gelernt« – –

»Ein Notarius« – fing heiter Knoll unter dem Geld-Einstecken an und hielt die Pfeife lange ans Licht, eh' er fortfuhr – »ist zwar nichts Sonderliches, im Reiche seynd viel, nämlich Notarii, sagt der Reichs-Abschied von 1500 Art. XIV, wiewohl ich selber meines Orts nur Notarien machen kann, und doch kein Instrument.« –

»Wie mancher Pfalzgraf und mancher Vater« – sagte leise Goldine – »keine Gedichte, aber doch einen Dichter.« –

»Indes ist in Haßlau« – fuhr er fort – »so oft bald ein Testament, bald ein Interrogatorium, bald ein Vidimus, zuweilen, aber höchst selten eine donatio inter vivos zu machen; falls nun der junge Mensch advoziert« –

»Das muß mein Peter«, sagte Lukas –

»- Falls ers aber« – fuhr er fort – »recht macht, anfangs schlechte, zweideutige Prozesse mit Freuden annimmt, weil große Advokaten sie von der Hand weisen, letztere häufig konsultiert, sich windet und bückt und dreht« –

»So kann er ein rechtes Wasser auf desjenigen Mühle werden, der sein Vater ist, ja eine ganze Mühlwelle; er kann ihm ja nach Gelegenheit von Zeit zu Zeit ein beträchtliches Stück Geld zufertigen«, sagte der Vater –

»O meine Eltern, wenn ich das einmal könnte!« sagte leise Walt entzückt.

»O Gott, steh' mir bei,« sagte Lukas zornig, »wer denn sonst? Etwan dein Spitzbube, dein Landläufer und Querpfeifer, der Vult?« –

Dieser schwur auf seinem Baume, vor einem solchen Vater sich ewig zu verkappen.

»Falls nun« – fuhr Knoll lauter und unwillig über das Stören fort – »der junge Anfänger kein eingebildeter Narr oder Neuling ist, sondern ein Mensch, der bloß im juristischen Fache lebt und webt, wie hier sein vernünftiger Vater, der vielleicht mehr vom Jus versteht.....«

Nun konnte Lukas sich nicht mehr halten: »Herr Hoffiskalis! Peter hat seines Vaters Sinn nicht; mich hätte man jura lassen sollen. Gott! ich hatte Gaben und mein Pferdgedächtnis und Sitzfleisch. – Es ist nur ein schlechter Gerichtsmann, der nicht zugleich ein Zivilist – ein Kameralist – ein Kriminalist – ein Feudalist – ein Kanolist – ein Publist ist, soweit er kann. Längst hätt' ich dieses mein Amt niedergelegt – denn was zieh' ich weiter davon als jährlich 3 Scheffel Besoldung und die Faß-Kanne und viel Versäumnis und Verdrüßlichkeit –, wär' im ganzen Dorf ein Mensch zu haben, ders wieder nähme und scharmant versähe. Wo sind denn die vielen Schulzen hier zu Lande, die vier Schulzenordnungen im Hause haben wie ich, nämlich die alte gothaische, die kursächsische, die württembergische und die haarhaarische? – Und setz' ich nicht in jede Bücherlotterie und erstehe die gescheutesten Sachen, unter andern: ›Julii Bernhards von Rohr vollständiges Haushaltungs-Recht, in welchem die nützlichsten Rechtslehren, welche sowohl bei den Landgütern überhaupt, derselben Kaufung, Verkaufung und Verpachtung, als insonderheit bei dem Ackerbau, Gärtnerei etc. etc. und andern ökonomischen Materien vorkommen, der gesunden Vernunft, denen römisch- und teutschen Gesetzen nach ordentlich abgehandelt werden, allen denenjenigen, so Landgüter besitzen, oder dieselben zu administriren haben, höchst nützlich und ohnentbehrlich. Die andere Auflage. Leipzig, 1738. Verlegts J. Ch. Martini, Buchhändler in der Grimmischen Straße.‹ Es macht aber zwei Bände, sehen Sie!« – »Ich habe sie selber«, sagte Knoll. – »Nun wohl!« (schloß der Vater daraus weiter fort) »Muß ein Gerichtsmann nicht wie ein Hufschmidt die Taschen schon im Schurzfell bei der Hand haben, nicht erst in den Hosen? O du lieber Gott, Herr Fiskalis, wo zu pfänden ist – zu taxieren – zu einquartieren – mündlich und schriftlich Unzähliges anzuzeigen – wo Kränze um Brunnen zu machen, Zigeuner aus dem Lande zu jagen, auf Straßen und Feuerschau zu schauen – wo in Dörfern Pesten, Exzesse, Spitzbübereien sind: – da ist ja ein Gerichtsmann der erste dabei und zeigt die Sachen an, sowohl bei löblicher Landeshauptmannschaft als, wenn der Fall, bei der Ritterschaft. Was Wetter! da kann er nicht wie eine Kanzeluhr die Woche nur einmal gehen, Tag für Tag läuft er zum größten Schaden seiner Wirtschaft in alle Löcher – in alle Felder und Wälder – in alle Häuser und nachher in die Stadt und rapportierts mündlich, worauf ers schriftlich aus der Tasche zieht. Es sollen mir Pferdner und Anspänner oder Hintersättler hertreten und sagen: Lukas, lasse die Flausen! Du bist auch da und da fahrlässig gewesen! O solche große Verleumder! sehen sie denn nicht, daß ich mich darüber klaftertief in Schulden stecke, und wäre künftig der Notarius und Tabellio nicht....«

»Hör' einmal auf, Gerichtsmann«, sagte Veronika und wandte sich an den Fiskal, dessen Schuldner ihr Mann war – »Herr Fiskal, er sagt das nur so, um etwas zu sagen. Begehren Sie nichts? – Und ich habe nachher eine große Frage zu tun.«

Lukas schwieg sehr willig und schon gewohnt, daß in seiner Ehe-Sonatine die linke Hand, die Frau, weit über die rechte herauf griff in die höchsten Töne zum harmonischen Vorteil.

»Er schnapse gern vor dem Essen«, versetzte Knoll zu Walts Erstaunen über ein solches Postillions-Zeitwort von einem Stadt- und Hofmann.

Die Mutter ging und brachte in der einen Hand das Extrapost-Blut und Elementarfeuer, aber in der andern ein dickes Manuskript. Walt nahm es ihr blutrot weg. Goldinens Augen schimmerten entzückt. »Du mußt aus dem Liederbuch lesen,« sagte die Mutter, »der gelehrte Herr sollen sagen, ob es taugt. Herr Kandidat Schomaker will es sehr loben.«

»Und ich lob' es wirklich«, sagte Goldine. Da trat der Kandidat selber herein, warf sich bloß vor dem Fiskale krumm und salutierte mit blitzenden Augen. Er sah aus allen, daß die Freuden-Post des Testaments noch nicht in der Stube erschollen war. »Sehr spät,« sagte Lukas, »der exzellente Aktus ist ganz vorbei.« Ausführlich beteuerte der Kandidat, er sei erst gegen Vesperzeit aus der Stadt gekommen; »ich steh' auch« – sagte er und sah gern den Schulzen an, vergnügt, daß er nicht einen so vornehmen und bedenklichen Herrn wie Knoll beschauen mußte – »schon seit einer geraumen Vierteil-Stunde unten im Hofe, habe mich aber vor fünf Gänsen, welche vor der Türe Flügel und Schnabel gegen mich aufgemachet, nicht hereingetraut.« – »Nein, sechs warens«, sagte die satirische Jüdin. »Oder auch sechs«, versetzte er; »genung, eine ist genung, wie ich gelesen, um einen Menschen durch einen wütigen Biß ganz toll und wasserscheu zu machen.«

»Ah ça!« wandt' er sich zu Walten (mehr französisch konnt' er nicht), »Ihre Polymeter!« – »Was sinds?« fragte Knoll trinkend. »Herr Graf,« (sagte Schomaker und ließ die Pfalz weg) »in der Tat eine neue Erfindung des jungen Kandidaten, meines Schülers, er machet Gedichte nach einem freien Metrum, so nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben verlängert, seiten-, bogenlang; was er den Streckvers nennt, ich einen Polymeter

Vult fluchte aus Ungeduld zwischen den Äpfeln. Walt stellte sich endlich mit dem Manuskripte und mit dem Profil seiner Bogenstirn und seiner geraden Nase vor das Licht – blätterte über alle Beschreibung lange und blöde nach dem Frontispiz seines Musentempels – der Kandidat tat mit der einen Hand in der Weste, mit der andern in der Hose drei Streck-Schritte nach Vults Fenster, um hinaus zu – spucken. Stotternd, aber mit schreiender ungebildeter Stimme fing der Dichter an:


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