Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Sehr früh bekam er am Morgen von Vulten ein Briefchen, mit einer versiegelten Inlage, überschrieben: »tempori!«

Jenes lautete:
 

»Freund, ich fodere nichts von Euch als eine kurze Unsichtbarkeit, bis mein Blinden- und Flötenkonzert gegeben ist, zumal da ich dazu Gründe habe, die Ihr selber habt. Schreiben können wir uns sehr. Wächst mein Erblinden so hastig fort wie bisher: so blas' ich den vierzehnten, obgleich als stockblinder Dülon, bloß um nur das arme Ohren-Publikum nicht länger aus einem Wochentagsblatt ins andere zu schleppen. – Ich bitt' Euch, macht kein Instrument, ohne mirs zu schreiben. – Ich hoffe, daß Ihr die Familien-Ehre schonet, wenn Ihr in den Webstuhl tretet, um das bewußte Freundschafts-Band zu weben, und daß Ihr darauf rechnet, daß ich nötigsten Falls auch ein paar Fußstöße im Stuhle mitzutun bereit wäre. Auf Beilage setzt Euer Siegel neben meines und schickt sie zurück; zu gehöriger Stunde wird sie vor Euch einst erbrochen. Addio!

v. d. H.

N.S. Man muß jetzt meiner Augen wegen mit ellenlangen Buchstaben an mich schreiben wie diese da.«

*

Letzteres tat Walt in seiner Antwort gern, aber der Blindheit gedacht' er nicht, aus Wahrheitsliebe. Er versprach alles Verlangte und beklagte leidend die Trennung einer so kurzen Vereinigung; beteuerte aber, daß Vult jeden Schritt und jedes Glück bei dem Grafen mit ihm schriftlich teilen solle. – Übrigens erkannte Walt in dieser Unsichtbarkeit den Bruder nur als einen rechten Weltluchs, der sich auch gegen das kleinste Wetter-Leuchten des Zufalls einbauet, das den Menschen oft mitten in seiner besten Dunkelheit vom Scheitel bis zur Sohle aufrecht erhellet.

Das geheime Paquet hätte man dem Notar ebensogut unversiegelt geben können, so sehr erfreute er sich, eine Gelegenheit der Treue gegen andere und sich zu erleben.

Das versiegelte Blatt lautete so:
 

»Da es ungewiß ist, ob du je diesen Brief an dich lesen darfst: so kann ich offen genug schreiben. Es hat mich ungemein und diese ganze Nacht durch gekränkt, lieber Bruder – wer weiß, ob wir uns noch so anreden bei dem Erbruche dieses Blattes, der entweder im schlimmsten oder im besten Falle geschieht –, daß du von der Freundschaft deines Bruders nicht so wie er von deiner befriediget wirst, sondern schon eine neue suchst. Daß ich deinetwegen im dummen Haßlau bleibe, oder daß ich für dich mit Würg-Engeln und Scharf- und Höllenrichtern mich herumschlagen würde – daraus kann nicht viel gemacht werden; aber daß ein Mensch, dem auf seinem Reisewagen das Herz halb ausgefahren, gerädert, ja abgeschnitten worden, doch für dich allein eines mitbringt, das darf er anrechnen, zumal in einem Tausche gegen deines, das zwar unbeschreiblich rein und heiß, aber auch sehr offen – der Windrose aller Weltgegenden – dasteht. Und nun wirds gar einem Grafen aufgemacht, der als Freund den Thron besteigt, indes ich auf dem Geschwister-Bänkchen oder Kinder-Stühlchen sitze – o Bruder, das durchbrennt mich. So rottenweise, so in der Landsmannschaft aller Menschen auch mit geliebt zu werden und um ein Herz sich mit seinem samt hundert andern Herzen wie ein Archipelagus von Zirkel-Inseln herumzulagern – – Freund, das ist mein Geschmack nicht. Ich muß wissen und halten, was ich habe.

Wollt' ich dir freilich meinen schwülen Giftbaum, worunter ich diese Nacht geschlafen, aufblättern: so kenn' ich dein schönes sanftes opferndes Gemüt; – aber lieber wollt' ich ihn ganz abernten, eh' ich so demütig wäre. Es verdrießet mich schon, daß ich vor dir nur so viel schon am Grafen getadelt. Sieh selber – wähle selber – nur deine Empfindung treibe dich, hinzu oder hinweg – Umgekehrt vielmehr werd' ich dir alle mögliche Flugwerke, Strickleitern und Schneckentreppen zum hohen Grafen machen und leihen, dem ich so gram bin; aber dann, wann du entweder ganz bezaubert, oder ganz entzaubert bist, lös' ich das Siegel von folgender Schilderung dieses Herrn:

Er ist nicht zum Ausstehen. Eitelkeit des Stolzes und Egoismus sind die beiden Brenn- oder Frostpunkte seiner Ellipse. Mir mißfällt ein junger elender Fant gar nicht – denn ich seh' ihn nicht –, der ein Narr ist, ein Bilderdiener seines Spiegelbilds, ein Spiegel seiner Pfauenspiegel; und so gern ich in effigie jedem männlichen Fratzen, der sich hinsetzen und als Elegant einem Mode-Journalisten sitzen kann, einen tapfern Fußtritt gäbe: so bekümmern mich doch die Narren zu wenig, ja, ich könnte einem, der frei seine Eitelkeit erklärte, solche nachsehen ... Hingegen einem, der sie leugnet – der den Pfauenschweif hinter den Adlersflügeln einheften will – der nur an Sonntagen schwarz gehet, weil da der Schornsteinfeger weiß gehet – der sehr ernst sich bloß die Glatze auskämmt – der wie eine Spinne nächtlich das Gewebe, womit er die Sums-Mücke Lob einfängt, wieder verschluckt und dann wieder ausspannt – und der die Ansprüche des Philosophen und Narren gern verbände – und der natürlich noch dabei vollends so egoistisch ist ... Ich sage egoistisch.

Macht sich ein Mensch, Bruder, aus den Menschen nicht viel, so bin ich stiller als einer dazu; nur mach' er sich auch nicht mehr aus sich, und im Streit-Fall seines und fremden Glücks wähl' er großmütig. Hingegen ein echter, recht frecher Selbstsüchtling, der ganz unverschämt gerade die Liebe begehrt, die er verweigert, der die Welt in einer Kochenille-Mühle mahlen könnte, um sich Weste und Wangen rot zu färben, der sich für das Herz der Allheit ansieht, deren Geäder ihm Blut zu- und abführt, und der den Schöpfer und Teufel und Engel und die gewesenen Jahrtausende bloß für die Schaffner und stummen Knechte, die Weltkugeln für die Dienerhäuser eines einzigen erbärmlichen Ichs nimmt: – Walt, es ist bekannt, einen solchen könnt' ich gelassen und ohne Vorreden totschlagen und verscharren. Die Leidenschaften sind doch wenigstens kecke, großmütige, obwohl zerreißende Löwen; der Egoismus aber ist eine stille sich einbeißende fortsaugende Wanze. Der Mensch hat zwei Herzkammern, in der einen sein Ich; in der andern das fremde, die er aber lieber leer stehen lasse, als falsch besetze. Der Egoist hat, wie Würmer und Insekten, nur eine. Du, glaub' ich, vermietest deine rechte an Weiber, die linke an Männer und behilfst dich, so gut du kannst, im Herzohr oder Herzbeutel. Vom Grafen will ich dir nichts sagen, als daß er als protestantischer Philosoph eine liebliche, aber katholische Braut – dir frappant ähnlich in der Liebe gegen jeden Atem des Lebens – schlechterdings aus ihrer Religion in seine schleppen will, bloß aus egoistischer stolzer Unduldsamkeit gegen einen stillen Glauben in der Ehe, der seinen als einen falschen schölte.

Und dieses Menschen Kebs-Braut wolltest du werden? – Es schmerzet mich jetzt, wo ich mich ins Kühle geschrieben, recht ins Herz hinein, daß du Sanfter bis dahin, bis zur Eröffnung dieses Testaments dieses Briefs, so manche Plage von zwei Spitzbuben erdulden wirst, wovon der zweite ich selber bin. Denn wie ich bis dahin schmollen, dich auf harte Proben stellen – z.B. auf die, ob meine Unsichtbarkeit, Ergrimmung und Ungerechtigkeit dir genug ans Herz gehe – und wie ich überhaupt des Teufels gegen dich sein werde, ist Gott und mir am besten bekannt; denn ich kenne meine Schmoll-Natur, welche – so sehr ich mir auf dieser Zeile das Gegenteil vornehme – so wenig als ein schwimmender Kork in einem Gefäß Wasser in der Mitte bleiben kann. Ach, auf jedem frischen Druckbogen des Lebens kommt immer unten der Haupttitel des Werks wieder vor.

Mein Übel aber eben ist der Schmollgeist, esprit de dépit d'amour, den mir eine der vermaledeitesten Feen muß in die Nasenlöcher eingeblasen haben. Eine schlimmere Bestie von Polter- und Plagegeist ist mir in allen Dämonologien und Geisterinseln noch nicht aufgestoßen. – Ordentlich als sei das Lieben nur zum Hassen da, erboset man sich den ganzen Tag auf das süßeste Herz, sucht es sehr zu peinigen, breitzudrücken, einzuquetschen, zu vierteilen, zu beizen – – aber wozu? – Um es halbtot an die Brust zu nehmen und zu schreien: o ich Höllenhund! So gottlos hielt ich mit Freunden Haus, noch gottloser freilich mit Freundinnen. – Dreitausendzweihundertundfünfmal söhnt' ich mich mit einer thüringischen Geliebten in dem kurzen Wonnemonde unserer Liebe aus – mit andern aber öfter –; und kündigte doch gleich darauf, wie ein kopulierter Fürst, die Seelen-Trauung wieder durch Kanonen-Schüsse und Mord-Knälle an, weil ich wieder den kleinsten schönsten allerliebsten Reif der Liebe für Schnee ansah. – Bei solchen Umständen, das schwur ich feierlich, heirate der Teufel oder ein Gott; denn ist die Person nicht abwesend, die man zu lieben hat (abwesend gehts sehr; auch brieflich), oder was ebensogut ist, abgegangen mit Tod (Liebe und Testament werden durch Sterben erst ewig): so hat man nach den bekannten wenigen Flitter-Sekunden seine Blei-Jahre, bringt sein Leben wie an einem Kamin hin, halb den Steiß im Feuer, halb den Bauch im Frost, oder wie ein Stück Eis im Wasser, oben von der schönen Sonne, unten durch die Wellen zerfließend. – Und da schaue Gott den Jammer! Jeder hüte sich, lehr' ich oft genug, vor dem sauern Schmoll- und Salzgeist, weils keinen schlimmern gibt. – Daß ich immer abreisete von alten Menschen zu neuen, muß ich eben tun, um nicht zu zanken, sondern noch zu lieben. Der Himmel weiß, wie ich dich peinigen werde. Aber vorausgesagt hab' ichs hier in bester Laune; und dann sei dieses Blatt, wenn es aufgemacht wird, mein Schirm-, mein Feigen-, mein Ölblatt.

Q. H.«


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