Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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»Nun«, begann Walt, »darf ich dir doch mit einiger Zufriedenheit berichten, daß der gute Mensch, weit entfernt, hartherzig zu sein, eben durch Arme selber ein Armer wird. Aus lauter guter Freude über ihn bezahlt' ich hinter seinem Rücken zwei Damenschneiderinnen; denn er selber braucht doch nur einen Herrenschneider, und zwar einen; so aber überall; z. B. die Bitterlich.«

Da entbrannte der Bruder – sagte, dies sei vollends der Satan, im Dezember Häuser anzuzünden, um einige Brände an Hausarme auszuteilen – niemand verschenke mehr als Personen, die man später henke – nichts sei weicher als Schlamm, der versenke – Tyrannen, solche Tränen-Räuber, sängen und klängen wie Seraphim, aber mit Recht, da Seraphim feurige Schlangen bedeuteten – und hass' er etwas, so sei es diese Mischung von Stehlen und Schenken, von Mausen und Mausern – –

»O Gott, Vult!« – sagte Walt – »kann der Sterbliche so hart richten? – Soll denn ein Mensch sich gar nicht ein wenig lieb haben und etwas für sich tun, da er doch den ganzen Tag bei sich selber wohnt und sich immer hört und denkt, was ihn ja schon mit den niedrigsten Menschen und Tieren zuletzt versöhnt, nämlich das Beisammensein? Wer nimmt sich denn eines armen Ichs von Ewigkeit zu Ewigkeit so sehr an als dieses Ich selber? – Ich weiß recht gut, was ich sage; und jeden Einwurf. Doch basta! – Nur möcht' ich wissen, wenn man wie du schon kalt und ohne Leidenschaft die armen Menschen so rauh richtet und nimmt: was dann werden soll in heftiger Hitze, wo man von selber übertreibt. Vielleicht wie mit deiner Uhr, wovon du mir sagtest, daß der Stift, bloß weil er eben und recht passe, in kalter Zeit gut tue, aber in der Hitze, weil er sich ausdehne, das Werk aufhalte.«

»Solltest du nicht getrunken haben?« – sagte Vult – »du sprichst heute so viel; aber in der Tat sehr gut.«

Nun bat ihn Walt, selber mitzutrinken und mit ihm hinabzugehen, um sich drunten mit eignen Ohren von seinem schönen Leben mit Flitte zu überreden. »Der Tollheit wegen tu' ichs,« versetzt' er, »ob ich gleich weiß, daß ich beiden bürgerlichen Narren einen Eitelkeits-Jubel über die Herablassung eines adeligen bereite; du aber mußt mich mit einer Feinheit zu entschuldigen wissen, die kaum zu schätzen ist.«

»Herr v. Harnisch« – führte drunten Walt ihn ein – »fand mich in meinem Zimmer; wie sollt' ich, Demoiselle, nun mein Vergnügen schöner teilen, als daß ichs mit ihm und mit Ihnen zugleich teilte.« Er warf dies so leicht hin und bewegte sich so leicht auf und ab – auf den teils von Flitte bisher polierten Rädern, teils auf den vom Wein eingeölten –, daß Vult ihn heimlich auslachte und sich dabei ärgerte; er verglich still den Bruder mit Minervens Vogel, mit einer Eule, der der Vogelsteller gewöhnlich noch einen Fuchsschwanz anheftet. Das erstemal, da ein Mensch, den wir vorher als unbeholfen gekannt, uns beholfen und gewandt vorübertanzt, will er unsrer Eitelkeit durch einen Schein der seinigen nicht sonderlich gefallen.

Vult war sehr artig – sprach über Malen und Sitzen – lobte Flittes Miniatur-Punktierkunst als ziemlich ähnlich, ob die Farben-Punkte gleich so wenig als roter und weißer Friesel ein Gesicht darstellten – und lockte dadurch den Bruder, der aufrichtiger lobte, in den Ausbruch der schelmischen Zartheit hinein: »Raphaela ist ja nicht weit von Raffael.«

Als jene indes nach ihrem Trauerreglement der Lust, sich ihr Freudenöl in Tränentöpfen zu kochen, auf des Flötenspielers Musik, dann schnell auf die Blindheit und deren schönen Eindruck auf andere verfiel und sich nach seinem Augen-Stand erkundigte, unterbrach Vult sie kurz: »Das war nur ein Scherz für mich und ist vorüber...... Herr Notar, wie können wir beide so müßig dastehen und reden, ohne zum Malen zu helfen?« – »Herr von Harnisch?« fragte Walt, ohne comment zu sagen. »Kann denn nicht einer von uns, Freund, vorlesen« – versetzte Vult – »ist nichts dazu da? – und ich dazu die Begleitung blasen? – Wie oft sah ich auf meinen Reisen, daß Personen, welche saßen, sich hoben und entfalteten, weil nichts die Physiognomie, welche der Maler auffangen will, in ein so schönes Leben setzt als eine mit Musik begleitete Vorlesung von etwas, das gerade anpaßt!« –

Raphaela sagte, sie nehme freilich ein Doppelgeschenk von Musik und Deklamation dankend an. Vult faßte einen nahen Musenalmanach – blätterte – sagte, er müsse klagen, daß in allen Musenkalendern leider der Ernst zu hart mit dem Spaß rangiere, wie in J.P.s Werken, wolle aber Hoffnung geben, daß er vielleicht durch Töne zu diesen Mißtönen Leittöne herbeischaffe – und reichte Walten eine Elegie, mit der Bitte, sie vorzulesen und darauf unbekümmert die satirische Epistel und dann das Trinklied.

Da dieser erfreuet war, daß er seinem Feuer eine Sprache, obwohl eine nachsprechende, geben durfte: so verlas er so heiß, laut und taub das sehr rührende Gedicht, daß er gar anfangs nicht vernahm, mit welchen närrischen 6/8 Takten, Ballett-Passaden, sogar mit einem Wachtelruf ihn der Bruder flötend sekundierte. Erst als er die satirische Epistel vorlas, hörte er in der Kälte einigen Wider-Ton, daß nämlich Vult dem Witze mit Lagrimosis-Passagen und einigen Sylben aus Haydns sieben Worten zur Seite ging; er nahm sie aber für Überreste voriger Rührung. Dem Trinkliede nachher setzte Vult mehrere Languidos-Halte, gleichsam schwarz und weiße Trauerschneppen, an. Der Widerstreit preßte den Zuhörern einen gelinden Angstschweiß aus, der eben, wie Vult fest behauptete, ein Gesicht, das sitze, beseele.

Aber plötzlich trat ein ganz anderer Miß- und Dur-Ton, der vier Fuß lang war, höflich mit dem Hut in der Hand ins Zimmer. Es kam nämlich der Reisediener des Kauf-Herrns in Marseille, bei welchem Flitte lange gewesen, und präsentierte ihm einen fälligen Wechsel, den er auf sich ausgestellt.

Flitte verlor die Farben, die er Raphaelen geliehen, und verstummte ein wenig, und wurde wieder reich an roter. Endlich fragte er den Reisediener: »warum er so spät am Verfalltage komme? Jetzt hab' er eben nichts.« Der Diener lächelte und sagte, er habe ihn vergeblich gesucht zu seinem Verdrusse, denn er müsse jede Minute fort, sobald er die Valuta habe. Flitte zog ihn aus dem Zimmer auf ein Wort; aber fast noch unter dem Worte trat der Fremde wieder mit gezuckten Achseln ein und sagte: »Entweder – oder –; in Haßlau gilt das sächsische Wechselrecht.« Lieber fuhr Flitte in die Hölle, welche wenigstens gesellig ist, als in die Einsiedelei des Kerkers; dennoch lief er ohne eine sanfte Miene auf und ab und murmelte fluchende Angriffe; endlich sagt' er französisch Raphaelen etwas ins Ohr. Diese bat den Reisediener so lange um Geduld, bis eine Antwort auf ein Blättchen von ihr zurück sei; es war eine Bitte an ihren Vater um Geld oder Bürgschaft.

Flitte setzte sich wieder zum Malen mit jener Folie des Stolzes nieder, wovon der Diener eigentlich den Juwel besaß. Walt jammerte leise und flatterte so ängstlich um den Bauer als Flitte in demselben und folgte jedem Umherschießen des eingekerkerten Vogels außen am Gitter nach. Vult beobachtete scharf den gewandten Diener: »Sollt' ich Sie nicht«, sagt' er, »in der Gegend von Spoleto schon gesehen haben, wovon die alten Römer, wie bekannt, die Opfer-Tiere hergeholt wegen der weißen Farbe?« – »Ich war nie da und reise bloß nördlich,« (sagt' er) »mein Name klingt zwar italienisch, aber nur meine Großeltern warens.« – »Er heißet Mr. Paradisi«, sagte Flitte.

Endlich kam Neupeters Antwort, Flitte sah keck mit Raphaela ins aufgehende Blatt: »Ich glaube, du bist betrunken. Dein Vater P. N.«

Mit großem Schmerzen blickte sie sinnend auf die Erde. Der Elsasser war von oben und von unten gerädert zu einem organischen Knäul und sann, wiewohl ins Blaue hinein. Paradisi trat höflich vor Raphaela und bat um Vergebung, daß er sie und die Gesellschaft in der schönen Stunde des Malens unterbrochen habe; »aber«, beschloß er, »Herr Flitte ist in der Tat ein wenig mit schuld.« – »O sacre!« sagte er, »was bin ich?« – »Sie kommen«, fragte Raphaela, »aus Norden wieder hiedurch? und wann?« – »In sechs Monaten, aus Petersburg«, sagte der Reisediener. Darauf blickte sie ihn, dann den Notar mit feucht-bittenden Augen an. »O, Herr Paradisi!« (fuhr dieser heraus) »ich will ein Wort mit wagen – ein Kriegszahlmeister, den Herr Flitte im Reichs-Anzeiger auffodert, muß ihn dann gewiß bezahlt haben –« – »Lassen Sie denn keine Bürgschaft bis zu Ihrer Rückkehr zu, edler Signore?« fragte Raphaela. »Herr Harnisch!« sprach sie und zog ihn in ihr Schlafzimmer. »Nur auf ein Wort, Herr Notar!« sagte Vult. »Gleich!« versetzte Walt und folgte Raphaelen.

»Ach guter Harnisch,« fing sie leise an, »ich bitte Sie mit Tränen – ich weiß, Sie sind ein edler Mensch und lieben den armen Flitte so aufrichtig – denn ich weiß es von ihm selber – Und er verdients, er geht Freunden durchs Feuer – Mit diesen meinen Tränen....« Aber eine nahe laute Trommelschule von Kriegs-Anfängern ein taub-stumm-machendes Institut, zwang sie, unwillig inne zu halten. Er blickte ihr unter der Lärmtrommel in die großen runden Regen-Augen und nahm ihre weiße Wachs-Hand, um etwan durch beides ihre Bitte zu erraten. »Mit Wonne tu' ich alles,« – rief er im wohlduftenden Kabinette voll Abendsonnen und roter Fenstervorhänge, voll Amor und Psychen und vergoldeter Standuhren mit herübergelegten Genien – »weiß ich nur was

»Ihre Bürgschaft für Herrn Flitten,« (fing sie an) »sonst muß er heute noch ins Gefängnis; – hier in Haßlau, ich beteure Ihnen, borgt und bürgt für ihn kein Mensch, selber mein lieber Vater nicht. – O wäre meine Wina da; – oder hätt' ich mein Nadelgeld noch....« –

Sie schlug ihren weißen Bettvorhang auf die Seite und wies ihn oben auf die kurze Furche des blendenden Deckbettes mit den Worten: »Da liegt er stets am Morgen, der holdselige Wurm, den ich ernähre, ein Soldatenkind – aber ich bürg' Ihnen für alles.« – »Herr Notarius Harnisch,« rief Vult aus dem Malerzimmer, »Sie sind hier nötig!« –

»Ich bin in der Tat selig« (sagte Walt und faltete die gehobnen Hände) – »Auch jene teuren Spielwaren dort auf dem Tisch schafften Sie für Kinder an?« – »Ach ich wollte lieber, ich hätte das Geld noch«, sagte Raphaela. – »Mit welcher Gesinnung ich Herrn Paradisin Bürgschaft leiste – denn ich leiste sie –, brauch' ich wahrlich Ihnen in solchem Zimmer nicht auszusprechen; glauben Sie mir!« sagt' er. Sie stürzte aus einer von ihr halb angesetzten Umarmung zurück, drückte die Hand und führte ihn daran heiter in die Gesellschaft zurück, der sie alles meldete. Der Reisediener dankte dem Mädchen lange und verbindlich, kam aber mit einer fein gekleideten Frage über des Bürgen Rückbürgschaft zum Vorschein. Sie schrieb hastig eine Bitte an ihren Vater, den der Diener längst für solid gekannt, damit er diesen über Walts künftige Reichtümer belehre und bewähre. Paradisi ging handküssend damit ab und versprach, wieder zu kommen.

Vult bat freundlich den Notar um einen Augenblick auf seinem Zimmer. Auf der Treppe dahin sagte er: »Himmel, Hölle! Rasest du? – Öffne nur hurtig! – Eile, fleh' ich! – O Walt, was hast du heute gemacht im Schlafzimmer! – Dreh' nicht – es ist Brot im Schlüssel – Klopf' ihn aus – Ist denn der Mensch ewig ein Hund, der zu passen hat? – Was hast du darin gemacht! – Wieder ein Ebenbild von dir; – wenn nun Feuer wäre! – Aber so bist du überall... Ein Ebenbild wäre mir daraus wahrlich lieber entgegengehüpft als du selber – Gottlob!« Die Stube war offen. Walt begann: »Ich erstaune ganz.« – »Du merkst also nicht,« sagte Vult, »daß alles ein vom Satan gedrehter Fallstrick ist, womit sie dich H. Bürgen würgen und in den Fußblock schnüren, damit du dich ihnen nach der dummen TestamentsklauselIn der neunten steht ausdrücklich: »Tagreisen und Sitzen im Kerker können nicht zur Erwerbzeit der Erbschaft geschlagen werden.« so lange verzinsest, als du sitzest?« – »Ich fürchte nichts«, sagte Walt. – »Du hoffest wohl,« versetzte Vult, »der alte Kaufmann werde dir den Kredit schon abschneiden, daß man deine Bürgschaft gar nicht annimmt?« – »Das verhüte der Himmel!« sagte Walt. – »Du verbürgst dich?« – »Bei Gott!« schwur Walt.

Der Flötenspieler sank jetzt steilrecht und versteinert auf den Stuhl, starrte waagrecht vor sich hin, jede Hand auf eines von den aufgesperrten, rechtwinklichten Knien gelegt, und wimmerte eintönig: »Nun so erbarm's denn Gott und wer will! Das sind also die Garben und Weinlesen, die ich davontrage nach allem Anspannen und Hiersein! Und der Teufel hauset, wie er will! Das ist der Lohn, daß ich wie der Rumormeister bald hinten, bald vornen im Heere ritt bei jedem Unfug. – – Nu so schwör' ich, daß ich tausendmal lieber einem Schiffsvolk mitten im Sturm auf einem Schaukel-Schiffe den Bart abnehmen will, als einen Dichter sauber scheren, den alles bewegt und erschüttert. Lieber den Brocken hinauf will ich als hinterster Leichenträger im Wedel-Mantel eine Leiche tragen und nachstemmen, als einen Poeten geleiten und fortschaffen hinauf und hinab; denn dem redlichen, nicht ganz viehdummen Bruder glaubt der Poet weniger als weichem Diebsgesindel, das ihn umstellt und mit Füßen tritt wie ein Töpfer den Ton, um ihn zu kneten.«

»Ich muß dir gestehen,« – erwiderte Walt sehr ernst – »daß der weichste Mensch zum ersten Mal hart werden könnte gegen einen harten, der über die Menschen stets ungerecht richtet.«

»Wie gesagt,« – fuhr Vult fort – »das tut er nicht, der Poet. Vergeblich reitet ihm ein leiblicher Zwillingsbruder, wie dem Suworow ein Kosak, nach und hat den leichten Nachtstuhl für ihn am Halse hängen, so daß er sich nur zu setzen brauchte aufs Gestelle – er tuts nicht, sondern er zeigt sich – und mehr dazu – der Welt« –

»An Menschheit glauben,« versetzte Walt, »an fremde und eigne – durch sein Inneres ein fremdes ehren und kennen – das ists, worauf das Leben und die Ehre ankommt; alles Übrige hole der Henker. Wie, größere Leute haben in größern Gefahren auf Leben und Tod vertrauet, ein Alexander hat seinen Schein-Gift während der Brief-Lesung seines Arztes getrunken; und ich sollte den heißen Tränen eines menschenfreundlichen Mädchens nicht glauben? Nein, lieber nehm' ich diesen Stab, der ein Bettelstab ist, und gehe damit, so weit mich meine Füße tragen...«


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